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Draußen hatte man einen Pfad durch den Schnee auf der Brücke freigeschaufelt, um das Kommen und Gehen zwischen Dorf und Kloster zu erleichtern. Er führte sonst nirgendwohin, deshalb wusste niemand so recht, warum Lord Wolvercote es für notwendig erachtet hatte, einen Wachposten auf die Brücke zu stellen. Aber dort stand einer, der sich angesichts einer Schar schwarzgekleideter verschleierter Frauen, von denen jede ein Kreuz auf der Brust trug, dennoch zu fragen bemüßigt sah: »Wer da?«

Schwester Havis ging auf ihn zu, wie Cross in der Nacht zuvor auf seinen Kameraden zugegangen war. Adelia rechnete schon fast damit, dass sie ihn niederschlagen würde; zuzutrauen wäre es ihr, so wie sie aussah. Doch stattdessen drückte die Priorin die gesenkte Pike mit dem Handrücken beiseite und marschierte weiter.

»Nix zu machen, mein Freund«, sagte Fitchet beinahe mitfühlend zu dem Wachposten. »Wenn die ein göttliches Anliegen haben, is nix zu machen.«

Adelia hatte die zwei Erhängten ja schon kurz vom Boot aus gesehen, doch da war sie zu durchgefroren, zu verängstigt, zu beschäftigt gewesen, um darüber nachzudenken, wie sie gehängt worden waren.

Nur der Anblick ihrer baumelnden Füße hatte sich in ihr Gedächtnis gegraben.

Jetzt sah sie es. Man hatte die beiden gefesselten Männer auf die Brücke geführt, ihnen jeweils die Schlinge um den Hals gelegt und das andere Ende des Stricks an einem der Brückenpfosten festgebunden. Dann waren sie über das Geländer geworfen worden.

Brücken waren Verbindungen von Mensch zu Mensch, zu heilig, um als Galgen missbraucht zu werden. Adelia wünschte, Gyltha hätte Allie nicht mitgebracht. Was jetzt kam, sollte ihre Tochter nicht sehen. Andererseits schaute ihr Kind sich mit wachen, frohen Augen um. Diese Umgebung bot endlich eine Abwechslung, eine wohltuende Abwechslung von den Sträßchen im Kloster, in denen sie täglich herumgetragen wurde, damit sie frische Luft bekam. Die Brücke war Bestandteil eines Gemäldes in Weiß, ihre Spiegelung im vereisten Fluss war vollkommen, und der Wasserfall auf der Seite der Mühle war wie zu gemeißelten Säulen erstarrt.

Dahinter glitzerte das reglose Mühlrad mit seinen Eiszapfen wie von tausend Stalaktiten. Der verzerrte Tod verunzierte auf obszöne Weise dieses Bild. »Lass sie nicht die Leichen sehen«, wies sie Gyltha an.

»Lass sie sich dran gewöhnen«, sagte Gyltha. »Sie kriegt noch oft genug Erhängte zu sehen, wenn sie größer wird. Mein Pa hat mich zu meiner ersten Hinrichtung mitgenommen, als ich drei war. Hat mir sogar Spaß gemacht.«

»Ich will aber nicht, dass es ihr Spaß macht.«

Die Körper nach oben zu ziehen würde nicht leicht werden. Durch das viele Eis waren sie noch schwerer geworden, und die Stricke, an denen sie hingen, waren so fest über das Geländer gespannt, dass sie daran festgefroren waren.

Walt trat neben Adelia.

»Die Priorin sagt, wir sollen nich helfen. Anscheinend müssen sie das selbst machen.«

Schwester Havis überlegte einen Moment und erteilte dann ihre Anweisungen. Während eine Nonne mit Fitchets Messer das Eis von den Stricken kratzte, beugte sich die größte von ihnen, die Cellerarin, über das Geländer und packte mit einem ausgestreckten Arm das Haar eines der Gehenkten. Sie hob ihn ein wenig an, damit der Strick sich lockerte.

Eine Möwe, die an den Augen des Mannes gepickt hatte, flatterte kreischend in den klaren Himmel. Allie sah, wie sie davonflog.

»Zieht, meine Schwestern.« Die Stimme der Priorin hallte dem Vogel nach. »Zieht, im Namen der barmherzigen Muttergottes.«

Eine Reihe schwarzer Rücken beugte sich übers Geländer. Sie zogen mit aller Kraft, und ihre Atemluft strömte aufwärts wie Rauch.

»Was zum Teufel treibt ihr Frauen da?«

Lord Wolvercote war auf der Brücke erschienen und wurde von den Schwestern ebenso wenig beachtet wie die Möwe. Er trat vor, eine Hand am Schwert. Fitchet und Walt und einige andere Männer krempelten die Ärmel hoch. Wolvercote blickte sich um. Das hilflose Achselzucken seines Wachpostens verriet ihm, dass er gegen Gottes Frauenbataillon keine Hilfe zu erwarten hatte. Sie waren in der Überzahl. Stattdessen brüllte er: »Lasst sie, wo sie sind. Das hier ist mein Land, meine Hälfte der Brücke, und ich lasse Schurken hier hängen, solange es mir beliebt.«

»Es ist unsere Brücke, Mylord, das wisst Ihr genau.« Das war Fitchets Stimme, laut, aber auch müde, weil dieser Streit schon so lange währte. »Und die Mutter Äbtissin will nich, dass Leichen dran hängen.«

Inzwischen war ein Körper oben, und da er völlig steif war, mussten die Schwestern ihn praktisch kerzengerade über das Geländer heben. Sein Kopf hing schief, neugierig in Richtung des Mannes geneigt, der ihn zum Tode verurteilt hatte.

Die Nonnen legten ihn auf die Karre und traten dann wieder ans Geländer, um seinen Kameraden zu bergen.

Der Disput hatte die Familie des Müllers alarmiert, und jetzt säumten Gesichter die Fensterbänke, um die weißen Wölkchen zu betrachten, die wie Drachenatem von den streitenden Männern aufstiegen.

»Das waren Räuber, du Tölpel. In Besitz von gestohlenem Eigentum, und ich habe an ihnen ein Exempel statuiert, wie das mein Vorrecht ist. Lasst sie hängen.«

Er war groß, etwa um die dreißig, hatte einen dunklen Teint und wäre ein gutaussehender Mann gewesen, wenn in seinem schmalen Gesicht nicht ein unentwegt verächtlicher Ausdruck gelegen hätte, der in diesem Moment noch durch Wut verstärkt wurde. Emma hatte hingerissen von der poetischen Neigung ihres Zukünftigen geschwärmt, doch in diesem Gesicht sah Adelia keine Poesie. Nur Dummheit. Er hatte an den beiden Dieben ein Exempel statuiert, sie hingen seit zwei Tagen hier, und da der Fluss derzeit nicht befahren wurde, waren sie inzwischen von jedem gesehen worden, der sie sehen konnte. Ein klügerer Mann hätte sich dem Unvermeidlichen gebeugt, seinen Segen dazu gegeben und wäre gegangen.

Aber Wolvercote kann das nicht, dachte Adelia, in seinen Augen untergraben die Schwestern seine Macht, und das ängstigt ihn. Er muss der Platzhirsch sein, sonst ist er gar nichts.

Sie fragte sich, wieso er überhaupt das Recht besaß, Todesurteile zu fällen, und musste an ein Gespräch mit Rowley denken, der ihr einmal eines der alten in England herrschenden Gewohnheitsrechte erklärt hatte. »Manche Grundherren sind von alters her berechtigt, Diebe zum Tode zu verurteilen, die auf ihrem Land gefasst werden. Dem König gefällt das ganz und gar nicht, weil er meint, damit haben die Kerle praktisch das Recht, jeden zu hängen, der ihnen nicht in den Kram passt.«

»Und wieso verbietet er es dann nicht einfach?«

Doch alte Rechte konnten offenbar nicht abgeschafft werden, ohne bei denjenigen, die sie innehatten, Unmut oder gar Auflehnung zu entfachen. »Das wird er schon noch – zum richtigen Zeitpunkt.«

Der zweite Leichnam war geborgen, und man hatte beide mit Sackleinen zugedeckt. Die Nonnen machten sich daran, ihren beladenen Karren zurück über die vom Eis rutschige Brücke zu schieben.

»Siehst du, mein Liebchen«, sagte Gyltha zu Allie. »Das war lustig, nich?«

Schwester Havis blieb stehen, als sie an Wolvercote vorbeikam, und ihre Stimme war kälter als die Toten. »Wie waren ihre Namen?«

»Namen? Wozu wollt Ihr ihre Namen wissen?«

»Für ihre Gräber.«

»Die hatten keinen Namen, Herrgott noch mal. Die hätten sogar den Abendmahlskelch von Eurem verdammten Altar gestohlen, wenn ich sie nicht daran gehindert hätte. Es waren Diebe, Weib.«

»So wie die beiden, die neben unserem Herrn gekreuzigt wurden. Ich entsinne mich nicht, dass er ihnen seine Gnade vorenthalten hat.« Die Priorin wandte sich ab und folgte ihren Schwestern.

Er konnte es nicht dabei bewenden lassen und rief ihr nach: »Ihr seid eine nörgelnde alte Hexe, Havis. Kein Wunder, dass Ihr keinen Mann abgekriegt habt.«

Sie drehte sich nicht um.