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»Dann war es also ein Geheimnis?«

»Die kleine Priscilla wusste es, sie hat es erraten.« Wieder diese Verzauberung, als sie an die Vergangenheit dachte; die Heimlichkeiten waren aufregend gewesen. »Und Fitchet hat unsere Briefe rein- und rausgeschmuggelt. Und natürlich Master Warin, weil er den Brief nach Felin Fach senden musste, damit Talbot es in Besitz nehmen konnte, aber alle haben geschworen, nichts zu verraten.« Plötzlich packte sie Adelias Arm. »Fitchet. Er wird den Räubern doch nichts gesagt haben, oder? Das kann er nicht gemacht haben.«

Adelia beruhigte sie wider besseres Wissen. Die Anzahl der Niemande, die von ihrem Plan gewusst hatten, wuchs stetig. »Nein, nein. Bestimmt nicht. Wer ist Master Warin?«

»Haben sie ihm aufgelauert?« Sie grub die Nägel in Adelias Haut. »Wussten sie, dass er Geld bei sich hatte? Wussten sie es?«

Gyltha ging dazwischen. »Natürlich nich.« Sie zog Emmas Hand von Adelias Arm und umschloss sie mit beiden Händen. »Das war bloß Gesindel. Die Straßen sind heutzutage einfach nich sicher, für keinen.«

Emma blickte Adelia mit großen Augen an. »Hat er leiden müssen?«

Endlich wieder sicherer Boden. »Nein. Ein Armbrustbolzen traf ihn in die Brust. Er wird an Euch gedacht haben und dann … nichts.«

»Ja.« Das Mädchen sank zurück. »Ja.«

»Wer ist Master Warin?«, fragte Adelia erneut.

»Aber wie soll ich ohne ihn weiterleben?«

Wir tun es, dachte Adelia, wir müssen.

Allie hatte sich vorgerobbt, um Wächter zu vertreiben und ihr Hinterteil auf Emmas Stiefel zu platzieren. Sie legte ein rundliches Händchen auf das Knie des Mädchens. Emma starrte auf sie hinunter. »Kinder«, sagte sie. »Wir wollten viele Kinder haben.« Ihre Trostlosigkeit war so greifbar, dass der vom Feuerschein erhellte Raum zu einer kahlen winterlichen Ödnis wurde, die sich in alle Ewigkeit erstreckte.

Sie ist jung, dachte Adelia. Eines Tages wird der Frühling vielleicht zu ihr zurückkehren, doch nie mehr mit derselben Frische. »Wer ist Master Warin?«

Gyltha schnalzte missbilligend mit der Zunge. Das Mädchen begann zu zittern. Hör jetzt auf.

Ich kann nicht. »Emma, wer ist Master Warin?«

»Talbots Vetter. Sie standen sich sehr nahe.« Die armen Lippen dehnten sich erneut. »›Mein Immer-mit-der-Ruhe-Warin. Ein vorsichtiger Mann, Emma, noch nie hatte ein Mündel einen umsichtigeren Vormund.‹«

»Er war Talbots Vormund? Er hat seine geschäftlichen Angelegenheiten geregelt?«

»Oh, belästigt ihn jetzt nicht damit. Er wird so … Ich muss ihn sehen. Nein, ich kann nicht … Ich ertrage seine Trauer nicht … Ich ertrage nichts mehr.«

Emmas Lider senkten sich, erschöpft vom Schmerz.

Gyltha wickelte eine Decke um sie, führte sie zum Bett, setzte sie hin und hob ihre Beine darauf, so dass sie zurücksank. »Schlaf jetzt.« Sie kehrte zu Adelia zurück. »Und du kommst mit.«

Sie gingen in die hinterste Ecke des Raumes, um sich im Flüsterton zu unterhalten.

»Du denkst, Wolvercote hat den Burschen von diesem Mädchen umgebracht?«

»Möglich, obwohl mich inzwischen der Verdacht beschleicht, dass dieser Vetter-Vormund viel zu verlieren hatte, als Talbot sein Erbe antreten wollte. Wenn er alles für Talbot geregelt hat … Es sieht für mich mehr und mehr nach einer Verschwörung aus.«

»Für mich nich. Der Junge is schlicht und einfach ausgeraubt worden, und dabei haben sie ihn umgebracht.«

»So war es nicht. Die Räuber wussten, dass er kommt.«

»Nein, verdammt noch mal, wussten sie nich.«

»Wieso?« So hatte sie Gyltha noch nie erlebt.

»Weil die arme Kleine den alten Wolf jetzt heiraten muss, ob sie will oder nich, und dann is es besser, wenn sie nich denkt, dass er ihren Schatz umgebracht hat.«

»Unsinn, sie werden sie doch nicht zwingen, ihn …« Adelia musterte die ältere Frau aus zusammengekniffenen Augen. »Oder doch?«

Gyltha nickte. »Höchstwahrscheinlich. Die Bloats sind ganz wild drauf. Er ist ganz wild drauf. Deshalb wollte sie ja weglaufen, damit die sie nich zwingen können.«

Dergleichen kam vor. Weil Adelia selbst nicht davon betroffen gewesen war, hatte sie gar nicht daran gedacht. Ihre freigeistigen Zieheltern hatten ihr erlaubt, ihren Beruf zu erlernen und auszuüben, doch um sie herum wurden überall in Salerno junge Frauen aus gutem Hause gegen ihren Willen mit Männern vermählt, die ihre Väter für sie aussuchten, weil es nach Ansicht der Eltern dem Wohl der Familie diente. Denjenigen, die sich sträubten, blühten unaufhörliche Schläge. Oder die Straße. Oder ein Kloster.

»Nun, sie könnte sich entscheiden, Nonne zu werden.«

»Sie ist ihr einziges Kind«, sagte Gyltha. »Master Bloat will keine Nonne, er will eine Lady in der Familie – is besser fürs Geschäft.« Sie seufzte. »Meine Tante is Köchin bei den De Pringhams gewesen, und die haben ihre arme kleine Alys unter Heulen und Zähneknirschen mit Baron Coton verheiratet, diesem bösen alten Mistkerl.«

»Man muss doch ›ja‹ sagen, sonst ist es nach Ansicht der Kirche nicht rechtsgültig.«

»Pah. Die kleine Alys hat keiner ›ja‹ sagen hören.«

»Aber Wolvercote ist ein Tyrann und ein Idiot. Das weißt du.«

»Na und?«

Adelia starrte in Emmas Zukunft. »Sie könnte sich an die Königin wenden. Eleanor weiß, wie es ist, unglücklich verheiratet zu sein. Sie hat sich von Ludwig scheiden lassen.«

»O ja«, sagte Gyltha und schlug die Augen zur Decke. »Klar legt sich die Königin mit ’nem Burschen an, der ihre Schlacht für sie schlägt. Ganz bestimmt.« Sie tätschelte Adelias Schulter. »Es wird schon nich so schlimm werden für die kleine Emma …«

»Nicht so schlimm?«

»Sie wird Kinder kriegen, und das wollte sie doch, nich? Und überhaupt, ich schätze, sie muss sich nich lange mit ihm rumschlagen. Nich, wenn König Henry ihn zu fassen kriegt. Wolvercote is ein Verräter, und Henry wird ihm den Hals umdrehen.« Gyltha legte den Kopf schief und dachte noch mal darüber nach. »Eigentlich überhaupt nich schlimm.«

»Ich dachte, sie tut dir leid?«

»Tut sie auch, aber ich hab mir überlegt, was auf sie zukommt. Mit ein bisschen Glück is sie noch vor Jahresende Witwe, und dann hat sie sein Baby und seine Ländereien … ja, ich denke, am Ende wird’s noch wie im Märchen.«

»Gyltha.« Adelia wusste, dass Gyltha eine praktisch denkende Frau war, doch dieser Pragmatismus schreckte sie ab. »Das ist abscheulich.«

»Das is Geschäft«, sagte Gyltha. »Und genau das sind doch die Ehen von den Hochwohlgeborenen, oder?«

Jacques hatte an diesem Tag viel damit zu tun, den Frauen im Gästehaus Botschaften zu bringen. Die erste kam von der Priorin: »An Mistress Adelia, es grüßt Euch Schwester Havis und teilt Euch mit, dass das Mädchen Bertha auf dem Friedhof der Nonnen bestattet werden wird.«

»Ein christliches Begräbnis. Ich hab gedacht, das würd dich freuen«, sagte Gyltha, die Adelias Reaktion beobachtete. »Das wolltest du doch, oder?«

»Ja. Ich bin froh.« Die Priorin hatte ihre Ermittlung beendet, und es war ihr gelungen, die Äbtissin davon zu überzeugen, dass Bertha nicht durch eigene Hand gestorben war.

Aber Jacques war noch nicht fertig. Pflichtschuldig fügte er hinzu: »Und ich soll Euch ermahnen, Mistress, Ihr möget nicht vergessen, dass der Teufel durch die Abtei schleicht.«

Das war der Pferdefuß. Seit die Nonne eingeräumt hatte, dass ein Mörder in Godstow sein Unwesen trieb, war dessen Anwesenheit realer geworden und das Leben dunkler.