Später am Morgen tauchte der Bote erneut auf. »An Mistress Adelia, es grüßt Euch Mutter Edyve, und Ihr mögt Mistress Emma bitte zurück ins Kloster bringen. Um den Frieden zu wahren, sagt sie.«
»Wessen Frieden denn?«, wollte Gyltha wissen. »Wahrscheinlich haben sich die Bloats beschwert.«
»Und Lord Wolvercote auch«, sagte Jacques. Er verzog das Gesicht, kniff die Augen zusammen und bleckte die Zähne, als sträube sich alles in ihm, noch eine weitere schlechte Nachricht zu überbringen. »Er sagt … also, er sagt …«
»Was denn?«
Der Bote atmete geräuschvoll aus. »Es wird gesagt, Mistress Emma ist von Mistress Adelia verzaubert worden, damit sie sich gegen ihren rechtmäßigen zukünftigen Mann wendet.«
Gyltha trat vor: »Du kannst diesem gottlosen arschgesichtigen Schweinehund von mir bestellen …«
Eine Hand auf der Schulter gebot ihr Einhalt. Emma zog sich bereits ihren Mantel an. »Es hat schon genug Ärger gegeben«, sagte sie.
Und noch ehe sie reagieren konnten, war Emma schon die Treppe hinunter verschwunden.
Die verschiedenen Gruppen, die hinter den Mauern der Abtei festsaßen, verhärteten sich wie gefrorenes Gras. Über Godstow senkte sich eine Dunkelheit, die nichts mit dem dämmrigen Winterlicht zu tun hatte.
Als Protest gegen die Besatzung verschwanden die Nonnen in ihrem Bezirk, nahmen ihre Mahlzeiten in der Küche des Hospitals ein und absolvierten ihre Gebete im Kloster.
Die Anwesenheit von zwei verschiedenen Söldnertruppen erwies sich als immer schwieriger. Schwyz’ Leute waren erfahrener, hatten in ganz Europa gemeinsam gekämpft und hielten fest zusammen. Sie verachteten Wolvercotes Männer als bloße Bauernlümmel, die für die Rebellion angeworben worden waren – und auf viele von ihnen traf das tatsächlich zu.
Aber Wolvercotes Männer hatten bessere Kleidung, bessere Waffen und einen Anführer, der das Sagen hatte – und überhaupt, sie waren bei weitem in der Überzahl. Sie beugten sich niemandem.
Schwyz’ Männer begannen, in der Schmiede Schnaps zu brennen, und betranken sich, Wolvercotes Männer plünderten den Klosterkeller und betranken sich. Hinterher kam es unweigerlich zu Schlägereien zwischen ihnen.
Die Nächte wurden grauenhaft. Godstows Bewohner und Gäste verschanzten sich in ihren Räumen, horchten auf die Kämpfe in den Gassen, fürchteten, ihre Türen könnten eingetreten werden und berauschte Söldner hereinstürmen, um zu rauben oder zu vergewaltigen.
Um Besitz und Frauen zu beschützen, stellte das Kloster eine Art Bürgerwehr auf. Auch Mansur, Walt, Oswald und Jacques beteiligten sich als pflichtgetreue Männer an den Patrouillen, was lediglich zur Folge hatte, dass nun drei gegnerische Seiten nächtliche Kämpfe ausfochten.
Ein Versuch von Klosterkaplan Egbert, die von den Nonnen verlassene Gemeinde geistlich zu betreuen, endete damit, dass Schwyz während der abendlichen Sonntagskommunion Wolvercote anschnauzte: »Wollt Ihr Eure Männer nun zügeln, oder soll ich das für Euch übernehmen?«, woraufhin zwischen ihren Anhängern ein Kampf ausbrach, der sich sogar bis in die Marienkapelle ausbreitete und bei dem ein paar Lampen, ein Chorpult und etliche Köpfe Schaden nahmen. Einer von Wolvercotes Männern verlor ein Auge.
Es war, als wäre die Welt eingefroren und hätte aufgehört, sich zu drehen, so dass kein anderes Wetter das leidende Oxfordshire erreichen konnte als immer nur eine strahlende Sonne bei Tag und ein sternenübersäter Himmel bei Nacht, wobei weder das eine noch das andere Erlösung von der Kälte brachte.
Jeden Morgen stieß Adelia kurz die Fensterläden auf, um frische Luft hereinzulassen, und hielt Ausschau nach … was? Henry Plantagenet und seinem Heer? Rowley?
Aber Rowley war tot.
Es hatte erneut geschneit; die Seitenwände des Pfades, den man hinunter zur Themse gegraben hatte, stürzten unter der Schneelast ein. Es war unmöglich, den Fluss vom Land zu unterscheiden. Da draußen war kein menschliches Leben und kaum tierisches.
Ein Gewirr von Spuren, wie gestickt, zeugte davon, dass Vögel im Morgengrauen, von Durst gepeinigt, herumgetrippelt waren und die Schnäbel mit Schnee gefüllt hatten, doch wo waren sie? Vielleicht suchten sie Schutz in den Bäumen, die wie eiserne Wächter auf der anderen Seite des Flusses standen. Konnten sie der brutalen Witterung widerstehen? Wo waren die Rehe? Schwammen noch Fische unter dem Eis?
Eine einsame Krähe flatterte am blauen Himmel, und Adelia fragte sich, ob sie von oben eine tote unberührte Welt sah, in der Godstow der einzige noch lebende Kreis war. Während sie den Vogel beobachtete, zog er seine Flügel ein und stürzte zur Erde, ein kleines, zerzaustes schwarzes Opfer in all dem Weiß.
Als wären die Nächte nicht schon schlimm genug, wurden die Tage in Godstow von dem schauerlichen Geräusch der Spitzhacken untermalt, die Gräber in die gefrorene Erde brachen, während die Kirchenglocke für die Toten schlug und schlug, als hätte sie die Fähigkeit verloren, für irgendetwas anderes zu läuten.
Adelia blieb so viel wie möglich im Gästehaus. Wenn sie mal hinausging, jagten ihr die Blicke der Menschen, die ihr entgegenkamen, ebenso Angst ein wie die Tatsache, dass sie sich immer öfter bekreuzigten und das Zeichen des bösen Blicks machten, wenn sie an ihr vorbeigingen. Aber es gab einige Beerdigungen, an denen sie teilnehmen musste.
Zum Beispiel die von Talbot aus Kidlington. Selbst die Nonnen kamen. Ein kleiner Mann ganz vorne in der Trauergemeinde, in dem Adelia den Vetter Master Warin vermutete, weinte ohne Unterlass, doch von ihrem Platz im hinteren Teil aus hielt sie den Blick auf Emma gerichtet, die bleich und trockenen Auges im Chor saß, während die kleine Schwester Priscilla fest ihre Hand hielt.
Eine Beerdigung für Bertha. Sie fand nachts in der Abgeschiedenheit der Kapelle der Nonnen statt. Anwesend waren das gesamte Klosterkapitel, eine Melkerin sowie Jacques und Adelia, die Berthas Hände um eine zerrissene Kette und ein silbernes Kreuz gefaltet hatte, ehe der schlichte Kiefernsarg auf dem Friedhof der Nonnen in die Erde gesenkt wurde.
Eine Beerdigung für Giorgio, den Sizilianer. Diesmal waren keine Nonnen dabei, aber fast alle von Schwyz’ Söldnern und Schwyz selbst. Wie schon bei Talbots Beerdigung kamen auch Mansur, Walt und Jacques. Und Adelia. Sie hatte einer zunächst widerstrebenden Schwester Havis abringen können, Giorgio als Christen zu behandeln, weil sie außer seinem Beruf nichts Schlechtes über ihn wussten. Es war ihr zu verdanken, dass der Sizilianer mit dem Segen der heiligen Agatha in ein kaltes christliches Grab gesenkt wurde.
Von seinem Freund Cross kam kein Wort des Dankes. Nach der Beerdigung verließ er schweigend den Friedhof, aber drei Tage später lagen drei Paar schön gefertigter Schlittknochen mit Riemen und allem Drum und Dran vor Adelias Tür.
Eine Beerdigung für zwei Dorfbewohner aus Wolvercote, die an Lungenentzündung gestorben waren. Schwester Jennet und ihre Pflegerinnen nahmen dran teil, nicht jedoch Lord Wolvercote.
Eine Beerdigung für die Gehenkten. Außer dem Priester war sonst niemand dabei, obwohl auch diese beiden Leichen auf dem Friedhof bestattet wurden.
Nachdem er seine Pflicht getan hatte, schloss Kaplan Egbert die Kirche ab und zog sich ebenso wie die Nonnen in die Abgeschiedenheit zurück. Er würde keine Gottesdienste mehr abhalten, sagte er, wenn damit zu rechnen war, dass sich irgendwelche Söldner unter den Gläubigen befanden. Die Gnadenzeit vor dem Fest von Christi Geburt dürfte nicht durch einen Haufen zerstrittener Heiden entweiht werden, die die Friedenstaube nicht mal erkennen würden, wenn sie ihnen auf den Kopf kacken würde. Was sie doch bitte tun möge.
Es war ein Urteil, das die ganze Gemeinde traf. Kein Weihnachten?
Ein Schrei stieg auf, am lautesten von den Bloats. Sie waren gekommen, um zu erleben, wie ihre Tochter am Julfest heiratete. Und ihre Tochter sagte jetzt unter dem unheilvollen Einfluss einer Frau von loser Moral, sie wolle überhaupt nicht heiraten. Dafür hatten sie ihren Zehnten nicht bezahlt.