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Eine Stimme aber erhob sich noch über die der Bloats. Und mit größerer Wirkung. Schwester Bullard, die Cellerarin, war wirtschaftlich gesehen die wichtigste Person in der Abtei, und sie sah sich am ärgsten geprüft. Denn selbst die neue Bürgerwehr des Klosters konnte nicht verhindern, dass des Nachts aus dem großen Vorratskeller Ale- und Weinfässer sowie Lebensmittel geplündert wurden.

Voller Sorge, dass ganz Godstow bald Hunger leiden müsste, wandte sie sich an die einzige irdische Macht, die ihr noch blieb – an die Königin von England.

Eleanor war in ihren Gemächern geblieben und hatte sich um nichts anderes gekümmert als um ihr eigenes Amüsement. Da sie den Rest der Abtei langweilig fand, waren ihr deren Sorgen gleichgültig. Doch sie saß nun mal auf der Insel Godstow fest, solange der Schnee die Weiterreise verhinderte, und so musste sie sich von Schwester Bullard anhören, dass Zwietracht und Hunger drohten.

Die Königin erwachte.

Lord Wolvercote und Master Schwyz wurden zu ihr ins Haus der Äbtissin bestellt, wo sie ihnen erklärte, dass sie nur unter ihrer königlichen Fahne Verbündete gewinnen würden und dass sie nicht beabsichtige, so ein Gesindel anzuführen, wie es die beiden samt ihren Männern offenbar zunehmend darstellten.

Regeln wurden festgelegt. Es würden wieder Gottesdienste stattfinden, an denen nur Nüchterne teilnehmen durften. Ab sofort würden Wolvercotes Männer nachts die Brücke überqueren und im Herrenhaus ihres Lords im Dorf schlafen. Nur sechs von ihnen sollten zurückbleiben, um gemeinsam mit Schwyz’ Männern dafür zu sorgen, dass die Ausgangssperre eingehalten wurde.

Keine weiteren Plünderungen des Vorratskellers, von niemandem – jeder Söldner, der dabei oder bei einer Prügelei erwischt wurde, sollte öffentlich ausgepeitscht werden.

Bei dem Gespräch hätte eigentlich Lord Wolvercote besser abschneiden müssen als sein Widersacher. Schließlich wurde Schwyz für seine Dienste bezahlt, während Wolvercote die seinen ohne Entlohnung leistete. Doch der Abt von Eynsham war ebenfalls anwesend, und er war nicht nur mit Schwyz befreundet, sondern besaß außerdem Intelligenz und Überzeugungskraft.

Diejenigen, die Lord Wolvercote sahen, als er das Zimmer der Königin verließ, bemerkten, dass er förmlich die Zähne fletschte. »Weil er jetzt nich mal die junge Emma kriegt«, berichtete Gyltha. »Jedenfalls noch nich.«

»Bist du sicher?«

»Ganz sicher«, sagte Gyltha. »Das Mädchen hat sich an Mutter Edyve gewandt, und die hat um Eleanors Schutz gebeten. Worauf die Königin gesagt hat, der alte Wolf soll warten.«

Wieder einmal hatte sie das in der Klosterküche erfahren, wo Polly, eine Freundin von Gyltha, den königlichen Dienern geholfen hatte, bei dem Gespräch zwischen Königin und Söldnerführern Erfrischungen zu servieren, und dabei hatte Polly unter anderem aufgeschnappt, dass die Königin der Bitte von Mutter Edyve entsprochen hatte, Emmas Vermählung mit Wolvercote auf unbestimmte Zeit zu verschieben. »… bis die junge Frau sich von dem Kummer erholt hat, der ihren Geist derzeit heimsucht.«

Polly berichtete, dass »Seine Wölfische Lordschaft nicht gerade erfreut war«.

Adelia dachte erleichtert, dass es den Bloats ähnlich ergehen würde. Doch mittlerweile wussten alle, welcher Kummer Emmas Geist heimgesucht hatte, und laut Gyltha herrschte allgemeines Mitgefühl für sie, was wiederum zu großen Teilen aus der gleichfalls allgemeinen Abneigung gegen Wolvercote erwuchs.

Es gab noch mehr gute Nachrichten aus der Küche. Nachdem die Ordnung wiederhergestellt war, hatte Eleanor offenbar verkündet, dass die Kirche wieder geöffnet und Gottesdienste gefeiert werden sollten und dass Weihnachten mit einem Fest begangen werden würde.

»Und zwar ein schönes altes englisches Fest«, sagte Gyltha mit einem heidnischen Glimmen in den Augen. »Lieder, Festschmaus, Mummenschanz, Weihnachtsklotz, alles, was dazugehört. Die sind schon dabei, die Gänse zu schlachten …«

Es war typisch für Eleanor, dachte Adelia, dass sie die Nahrungsvorräte des Klosters erst rettete und dann selbst in Gefahr brachte. Die ganze Gemeinde zu bewirten würde ein gewaltiges und teures Unterfangen werden. Andererseits waren die Anweisungen der Königin notwendig und umsichtig gewesen und würden hoffentlich eine Lage entschärfen, die unerträglich geworden war. Und wenn ein Fest Freude nach Godstow bringen konnte – bei Gott, die konnten sie alle gebrauchen.

Das Wiedererwachen von Eleanors Energie hatte eine Einladung zur Folge, die Jacques überbrachte: »Unsere huldvolle Lady, Königin Eleanor, wünscht Mistress Adelia zu sehen.«

»Bist du jetz der ihr Laufbursche?«, fragte Gyltha an der Tür. Der Bote hatte irgendwo buntere Kleidung aufgetrieben, gelocktes Haar verbarg seine Ohren, und sein Parfüm drang quer durch den Raum bis zu Adelia.

Er hatte auch eine neue Würde gefunden. »Mistress, ich schätze mich glücklich. Und jetzt muss ich zu Master Mansur. Auch er ist zu ihr bestellt worden.«

Gyltha sah ihm nach. »Der äfft ihre Höflinge nach«, sagte sie abschätzig. »Unser Rowley tritt ihn in den Hintern, wenn er zurückkommt.«

»Rowley kommt nicht zurück«, sagte Adelia.

Als Mansur das königliche Gemach betrat, murmelte einer der Höflinge hörbar: »Jetzt empfangen wir schon Heiden.« Und als Adelia ihm mit Wächter auf den Fersen folgte: »Großer Gott, seht euch die Kappe an. Und den Hund, ach du meine Güte …«

Eleanor jedoch war die Freundlichkeit in Person. Sie kam angerauscht und bot den Gästen ihre Hand zum Kuss. »Master Mansur, Wir sind entzückt, Euch zu sehen.« An Adelia gerichtet: »Mein liebes Kind, Wir waren nachlässig. Natürlich waren Wir mit Staatsangelegenheiten beschäftigt, aber dennoch, ich fürchte, Wir haben jemanden vernachlässigt, mit dem Wir gegen die Teufelsbrut gekämpft haben.«

Der langgestreckte obere Raum hatte der Äbtissin gehört, doch jetzt hatte ihn unverkennbar Eleanor in Beschlag genommen. Mutter Edyve hätte ihn gewiss nicht mit dem schweren Aroma des heidnischen Ostens durchtränkt oder ihn mit so buntem Zierrat gefüllt – Tücher, Kissen, ein herrlich herbstliches Triptychon –, wodurch die naiven biblischen Zeichnungen an den Wänden dahinter nahezu verschwanden. Mutter Edyve hatte nie an einem goldenen Betpult gekniet, auf ihren Bettpfosten hatten sich keine geschnitzten Löwen getummelt, vom Baldachin des Himmelbetts hatte sich kein hauchdünner Stoff federleicht wie Spinnweben über ihre Kopfkissen ergossen, keine Höflinge hatten sie wie bewundernde Statuen umstanden, kein schöner Minnesänger hatte die Luft ihres Raumes mit einem Liebeslied erfüllt.

Und doch, dachte Adelia, während sie sich noch immer über das Bett wunderte – wie hatte sie das Ding auf die Barkasse bekommen? –, war die Wirkung nicht sexuell. Sinnlich, gewiss, aber es war nicht der Raum einer Haremsdame, es war lediglich … Eleanor.

Auf jeden Fall hatte er Jacques in seinen Bann gezogen. Der Bote stand lässig in einer Ecke, verbeugte sich in Adelias Richtung, strahlte sie an und winkte neckisch. Hier war er also, und die Freude, die von ihm ausging, seine inzwischen noch höheren Stiefel und die neue Frisur, die seine abstehenden Ohren kaschierte, ließen darauf schließen, dass er ins aquitanische Modeparadies eingegangen war.

Die Königin belagerte Mansur mit getrockneten Datteln und Süßigkeiten aus Mandelcreme. »Wir, die wir in Outremer waren, wissen sehr wohl, dass Wir Euch keinen Wein anbieten können, Mylord, aber …«, elegante königliche Finger schnippten einem Pagen, »… Unser Koch zaubert ein ganz leidliches Sorbet.«

Mansurs Gesicht zeigte keine Regung.

»Oje«, sagte Eleanor, »versteht der Doktor mich etwa nicht?«

»Ich fürchte, nein, Lady«, sagte Adelia. »Ich übersetze für ihn.« Mansur beherrschte das normannische Französisch, das hier gesprochen wurde, recht gut, doch der Anschein, dass er nur Arabisch sprach, hatte sich für sie beide als durchaus nützlich erwiesen und würde es wahrscheinlich wieder tun. Es war erstaunlich, was er alles erfuhr, wenn er unter Menschen war, die glaubten, er könne sie nicht verstehen. Und falls Berthas Mörder sich irgendwo in dieser Gesellschaft befand …