Was konnte man von ihm wollen? Er wurde fast ehrfürchtig behandelt, und doch war die Königin auf einem Kreuzzug gewesen, um seine Rasse zu besiegen.
Aha, Eleanor bat sie, Mansur ein Lob für seine medizinischen Fähigkeiten auszusprechen. Immerhin hatte er »einem der Söldner unseres guten Schwyz« das Leben gerettet, und Schwester Jennet hatte ihn über alle Maßen gerühmt.
Das war es also. Ein guter Arzt war immer gern gesehen. Die christliche Verachtung für Araber und Juden bezog sich nicht auf ihre Ärzte, die aufgrund ihrer Heilungserfolge bei ihresgleichen – was, wie Adelia glaubte, zum Teil auch auf die strengen Speisevorschriften ihrer jeweiligen Religion zurückzuführen war – hohes Ansehen genossen.
Dann war sie selbst also lediglich als Vermittlerin hier.
Aber nein, allem Anschein nach sollte sie als Zeugin für Eleanors Mut herhalten; die Geschichte wurde einfach umgedichtet.
Die Königin legte ihr eine Hand auf die Schulter, schob sie im Kreis herum und erzählte, was im obersten Zimmer von Wormhold Tower geschehen war, als in Gegenwart einer verwesenden Leiche ein schwertschwingender Dämon erschienen war.
Allem Anschein nach hatte Eleanor ihm seelenruhig eine erhobene Hand entgegengestreckt. »Du bist ein Plantagenet-Unhold, denn diese Sippe stammt von Dämonen ab. Im Namen unseres Erlösers: Kehre zurück zu deinem Herrn.«
Und siehe, der Unhold hatte sein Schwert fallen lassen und war dorthin zurückgekrochen, wo er hergekommen war.
Was hab ich denn eigentlich gemacht?, dachte Adelia.
»… und dann nahm diese kleine Frau hier, meine Mistress Adelia, das Schwert, das der Unhold verloren hatte, in beide Hände, obwohl es noch sehr heiß war und nach Schwefel stank, und warf es aus dem Fenster.«
Schön, dass ich behilflich sein konnte. Adelia überlegte, ob die Königin diesen Unsinn nun selbst glaubte oder nicht, und entschied, dass sie es nicht tat. Vielleicht hatte Dakers’ Angriff sie derart verstört und beschämt, dass sie ihre eigene Rolle nun beschönigen musste. Oder vielleicht amüsierte sie sich nur. Sie langweilte sich, all diese Leute langweilten sich.
Die Höflinge, die während der ganzen Schilderung Oooohs und Aaaahs ausgestoßen hatten, applaudierten nur – außer Montignard, der Adelia einen gehässigen Blick zuwarf und rief: »Aber ich war es, der Euch danach versorgt hat, nicht wahr, Lady?« Als er jedoch aufzählen wollte, was er alles getan hatte, wurde das von einem betont langsamen Händeklatschen des Abtes von Eynsham übertönt, der lässig an einem Bettpfosten lehnte.
Eleanor fuhr ihn an: »Unsere Nachlässigkeit ist in Wahrheit Eure, Mylord. Wir hatten Euch doch beauftragt, Euch um unsere tapfere Mistress Adelia zu kümmern, oder etwa nicht?«
Der Abt musterte Adelia von den Spitzen ihrer schneenassen Stiefel bis zu der unschönen Kappe mit Ohrenklappen auf dem Kopf und wieder hinunter, so dass sich ihre Blicke trafen. »Lady, ich dachte, das hätte ich getan«, sagte er.
Die Königin redete noch immer. Adelia war so erschrocken, dass sie gar nicht mehr hinhörte. Der Mann wünschte ihr Übel und hatte versucht, es herbeizuführen. Zugleich jedoch empfand sie seinen Blick wie den eines alten Kämpfers, der einen anderen grüßt. Aus bislang unerfindlichen Gründen nahm der ehrwürdige Abt von Eynsham sie ernst, sie, Vesuvia Adelia Rachel Ortese Aguilar, die hier doch eigentlich nur als Buhlin des Bischofs von St. Albans und als nützliche Schwertaufheberin bekannt war. Das hatte er ihr gerade gezeigt.
Die Hände der Königin waren fragend geöffnet, und sie lächelte. Die Höflinge lachten. Einer von ihnen sagte: »Das arme Ding ist sprachlos vor Ehrfurcht.«
Adelia blinzelte. »Verzeihung, Lady.«
»Meine Gute, ich sagte gerade, dass Ihr zu uns ins Haus ziehen müsst. Wir können unsere kleine Helferin doch nicht in einem von diesen Löchern wohnen lassen, die die Abtei zu bieten hat. Ihr werdet zu meinen Zofen ziehen, die haben bestimmt noch Platz, und Ihr werdet an unserem Zeitvertreib teilhaben. Da draußen langweilt Ihr Euch doch sicherlich furchtbar.«
Du langweilst dich, dachte Adelia erneut. Wahrscheinlich hatte Eleanor insgeheim doch das Gefühl, in ihrer Schuld zu stehen, weil sie ihr das Leben gerettet hatte, aber vor allem brauchte sie ein neues Spielzeug. Ennui war allenthalben spürbar: in dem schrillen Tuscheln der Frauenstimmen im Nebenzimmer, wo die Zofen sich aufhielten. In dem abfälligen Gelächter, das ihr galt, in dem Gefühl, dass ihnen die Zielscheiben für ihre spöttischen Bemerkungen ausgegangen waren und sie eine neue brauchten.
Schließlich waren die Königin und ihr Hof daran gewöhnt, eine Burg hinter sich zu lassen, sobald sie anfing zu stinken, und weiter zur nächsten zu ziehen, um zu jagen, sich zu unterhalten und unterhalten zu lassen und um von einem ganzen Heer von Köchen, Tuchwalkern, Wäscherinnen und Dienern umhegt zu werden. Ein Großteil dieses Heeres war bei Eleanors Aufbruch in den Krieg zurückgelassen worden, und ein weiterer Teil war später im Schnee verlorengegangen. Ohne ihre dienstbaren Geister begann ihr Hofstaat zu gären.
Einer der Höflinge hielt sich demonstrativ über Wächter die Nase zu, obwohl der junge Mann selbst kaum besser roch, von seiner Kleidung ganz zu schweigen.
Zu ihnen ziehen? Herr, steh mir bei. Sie würde die Einladung in eine überfüllte Hölle nicht annehmen, selbst wenn sie von einer Königin ausgesprochen wurde.
Andererseits, wenn einer von ihnen Berthas Mörder war, wie sollte sie ihm dann besser auf die Schliche kommen als dadurch, dass sie Fragen stellte und hoffentlich auch Antworten erhielt. Bei ihnen einziehen? Nein, aber wenn sie tagsüber Zugang zu den königlichen Räumen hätte …
Adelia verbeugte sich. »Lady, Ihr seid die Güte in Person. Solange mein Säugling Eure Nachtruhe nicht stört …«
»Ein Kind?« Die Königin merkte auf. »Wieso habt Ihr mir das nicht gesagt? Ein kleiner Junge?«
»Ein Mädchen«, antwortete Adelia. »Sie zahnt gerade und ist daher unruhig …«
Montignard schrie leise auf. »Sie zahnt?«
»Das ist gleichbedeutend mit ›sie brüllt‹, glaube ich«, sagte Eynsham.
»Die beiden Lords mögen keine Kinder«, sagte Eleanor vertraulich zu Adelia.
»O doch, liebste Lady«, entgegnete der Abt. »Und wie. Knusprig gebraten mit ein wenig Petersilie finde ich sie ganz köstlich.«
Adelia ließ sich nicht beirren. »Außerdem muss ich unserem Master Mansur hier assistieren, wenn er nachts ins Hospital gerufen wird, was häufig vorkommt. Ich kümmere mich um seine Arzneien.«
»Was wiederum gleichbedeutend ist mit Gestank und klappernden Töpfen«, sagte der Abt.
Montignard faltete flehend die Hände. »Lady, Ihr werdet kein Auge zutun. Nicht genug damit, dass die Glocke zu jeder Stunde schlägt und die Schwestern ständig singen, dann hätten wir es auch noch mit Kindergeschrei und Gott weiß was für Teufelskram zu tun … Das wird Euch alle Kraft rauben.«
Gott segne ihn, dachte Adelia.
Eleanor lächelte. »Was seid Ihr doch für ein Hedonist, mein Lieber.« Sie dachte nach. »Es stimmt, ich brauche meinen Schlaf, aber mir liegt daran, die Gute zu belohnen.«
»Ach, lasst sie kommen und gehen«, sagte Eynsham verdrossen, »aber bitte nicht in dieser Kleidung.«
»Natürlich, natürlich. Wir werden sie neu einkleiden.«
Das war etwas Neues, ein Zeitvertreib.
Es war außerdem Adelias Passierschein – obwohl sie dafür zahlen musste. Sie wurde in das Zimmer der Frauen geschleppt, dessen Tür ein wenig offen blieb, so dass immer mal wieder Männerköpfe hereinspähen und mit einem aufgeregten Chor von Kommentaren begrüßt werden konnten. Das steigerte die Demütigung nur noch, bis aufs Hemd ausgezogen zu werden, während Stoffe an ihren Körper und den seiner Kappe beraubten Kopf gehalten wurden, um dann als zu sehr dieses oder zu sehr jenes befunden zu werden – doch nicht mauve, meine Liebe, nicht bei dem Teint – wie bei einer Leiche. Wo um alles in der Welt hatte sie dieses feine weiße Linnen für ihr Hemd gefunden? War sie mit ihrer hellen Haut etwa Angelsächsin? Nein, nein, die hatten blaue Augen; wahrscheinlich Wendin.