»Aber wie wollt Ihr das beweisen?«, fragte Jacques.
»Verschwörer misstrauen einander«, sagte sie. »Ich denke, es ist machbar, aber dafür brauche ich Eure Hilfe.«
Sie ließ ihn gehen und eilte zurück zum Gästehaus, weil sie ihre Angst um Allie einfach nicht abschütteln konnte.
»Munter wie ein Fisch im Wasser«, sagte Gyltha. »Schau sie dir an.«
Aber Adelia wusste, dass auch Gyltha Angst hatte, weil sie Mansur gebeten hatte, von nun an Tag und Nacht bei ihnen zu bleiben.
»Wem das nich passt, der soll mich mal … na ja, du weißt schon, was«, sagte sie. »Also geh los und tu, was du tun musst. Mansur is auf der Hut.«
Aber das war der Mörder auch …
Jetzt musste sie zu Pater Paton.
Diesmal war sie vorsichtiger, wartete, bis es dunkel geworden war, achtete darauf, ob sie verfolgt wurde, huschte von Schatten zu Schatten, bis sie im Schutz des schmalen Durchgangs vor der Treppe war, die hinauf zum Wärmeraum führte.
Schwester Lancelyne war bei der Vesper, daher traf sie den kleinen Priester allein an, wie er bei Kerzenlicht über dem Kopialbuch brütete. Er war nicht gerade erfreut über die Störung.
Adelia erzählte ihm alles haarklein, angefangen mit dem Auffinden von Talbots Leiche auf der Brücke – der kleine Priester war nicht dabei gewesen, weil er sich auf dem Fuhrwagen warm gehalten hatte –, dann die Geschehnisse in Wormhold, die Rückkehr nach Godstow und Berthas Tod, ihr Verdacht, wer was getan hatte, die drohende Gefahr für Allie, die drohende Gefahr für Dakers.
Er wollte nichts davon hören, rutschte unruhig hin und her und schielte ständig sehnsüchtig auf die Dokumente vor sich; diese ganze Geschichte roch nach Todsünden, und Pater Paton zog die Menschlichkeit in ihrer abstrakteren Form vor. »Seid Ihr sicher?«, fragte er immer wieder. »Gewiss nicht. Wie könnt Ihr es wagen, derlei Dinge zu vermuten?«
Adelia blieb hartnäckig, durchbohrte ihn mit Logik, als spieße sie eine Nadel durch einen Schmetterling. Sie mochte ihn nicht besonders, und er mochte sie überhaupt nicht, aber er war unbeteiligt an dem Kampf, den sie führte, und sein Verstand war wie eines seiner Kassenbücher. Adelia brauchte ihn als Register.
»Über das alles müsst Ihr absolutes Stillschweigen bewahren«, schärfte sie ihm ein. »Sprecht mit niemandem darüber, außer dem König.« Dieser blutarme kleine Mann musste ihr Wissen aufbewahren, damit er es im Falle ihres Todes an Henry Plantagenet weitergeben konnte. »Wenn der König kommt, wird er wissen, was zu tun ist.«
»Aber ich weiß es nicht!«
»Doch, das tut Ihr.« Und dann sagte sie ihm, wonach er suchen musste.
»Das ist unerhört.« Er war entrüstet. »Und überhaupt, ich bezweifle, dass es, selbst wenn es noch vorhanden ist, Euren Fall beweist.«
Adelia bezweifelte das auch, aber es war ihre einzige Waffe. Sie versuchte, eine Zuversicht an den Tag zu legen, die sie gar nicht empfand. »Der König wird kommen«, sagte sie, »und er wird am Ende den Sieg davontragen.« Das war ihre einzige Gewissheit. Eleanor mochte ja eine Ausnahmepersönlichkeit sein, aber sie hatte sich mit einem Mann angelegt, der sein Königreich wie ein Koloss überragte. Sie konnte nicht gewinnen.
In diesem Punkt war Pater Paton mit ihr einer Meinung. »Ja, ja«, sagte er, »eine Königin ist bloß eine Frau und unfähig, für irgendetwas erfolgreich zu kämpfen, nicht mal für sich selbst. Das Einzige, was sie zu erwarten hat, ist Gottes Strafe für ihre Rebellion gegen den rechtmäßigen Herrscher.«
Dann fuhr er Adelia an. »Und auch Ihr, Mistress, seid bloß eine Frau, sündig, unverschämt, und ob Ihr nun recht habt oder nicht, Ihr solltet diejenigen, die über Euch stehen, nicht in Frage stellen.«
Sie zügelte ihren Zorn und verlegte sich stattdessen darauf, den Priester zu ködern. »Wenn der König kommt«, sagte sie, »wird er wissen wollen, wer Rosamund ermordet hat. Dem Mann, der ihm sagen kann, wer es war, wird gewiss große Anerkennung zuteil werden.«
Sie sah, wie der Mund des Priesters sich spitzte, während er im Geiste eine Soll-und-Haben-Rechnung anstellte, bei der er eine mögliche Ernennung zum Abt oder gar Bischof gegen die Risiken und Gefahren dessen abwog, was er für Adelia tun sollte.
»Ich denke, ich würde Gott dienen, der die reine Wahrheit ist«, sagte er bedächtig.
»Das werdet Ihr«, sagte sie und ging, damit er zur Tat schreiten konnte.
Und dann war Weihnachten.
Zur Messe drängten sich so viele in die Kirche, dass sie richtig warm wurde und der menschliche Körpergeruch den frischen, bitteren Duft der Stechpalmen und Efeugirlanden fast überdeckt hätte.
Adelia geriet in ihrem Bibermantel ins Schwitzen. Sie behielt ihn an, weil sie darunter den Bliaut trug, den Eleanors Näherinnen noch gerade rechtzeitig fertiggestellt hatten, und mit all dem anderen Zierrat, den die Königin ihr geschenkt hatte, in dem Gewand so hübsch aussah, dass sie fürchtete, Aufmerksamkeit zu erregen.
»Nun zeig dich doch ruhig«, hatte Gyltha genörgelt, »du siehst gar nich mal schlecht aus.« Was aus ihrem Munde ein echtes Lob war.
Doch der Instinkt, den Blick des Mörders zu meiden, war noch immer stark. Vielleicht würde sie den Mantel beim Fest ablegen, vielleicht aber auch nicht.
Das Chorgestühl, das erneut den Nonnen vorbehalten war, bildete eine schwarz-weiße Umrahmung für den mit Stickereien bedeckten Altar, auf dem zahllose Kerzen erstrahlten, sowie die Roben des Abtes und der zwei Priester, die sich wie leuchtende Schachfiguren durch die Litanei bewegten.
Die Magie war unfehlbar.
Die Schlange, die zur heiligen Kommunion anstand, umfasste mörderische Männer, zerstrittene Söldnertruppen, jede Spielart menschlicher Schwächen und Kümmernisse, doch als sie sich still vorwärtsbewegte, wurden alle von der gleichen Ehrfurcht erfasst. Vorne angekommen, kniete der Müller neben einem der Männer, die ihn malträtiert hatten, empfing Adelia die Hostie vom Abt von Eynsham, dessen Hände sich einen kurzen Moment segnend auf den Kopf der kleinen Allie senkten. Der Kelch wurde von einem Wolvercote-Söldner zu einem von Schwyz’ Männern weitergereicht, ehe jeder wieder zu seinem Platz zurücktrottete, kauend und weihevoll.
Eine wachsende Atemlosigkeit griff um sich, als Maria wenige Schritte entfernt in ihrem Stall in den Wehen lag. Die eiligen Schritte der Hirten kamen näher und näher. Engel sangen über dem sternenbeschienenen, schneebedeckten Kirchendach.
Als der Abt die Arme hob und mit tiefer kehliger Stimme verkündete: »Ein Kind ist uns geboren«, wurde seine Aufforderung »Gehet hin in Frieden« von lautem Jubel übertönt, während einige Frauen der unsichtbaren und doch anwesenden Maria Ratschläge zuriefen, wie sie zu stillen habe, und sie beschworen, immer gut aufzupassen, »dass der Kleine es auch schön warm hat«.
Bethlehem war hier. Es war jetzt.
Als Adelia in die große Scheune trat, drängte sich Jacques durch die Menge zu ihr und berührte sie an der Schulter. »Die Königin grüßt Euch, Mistress, und sie wird enttäuscht sein, wenn Ihr nicht die Geschenke tragt, die sie Euch gemacht hat.«
Widerstrebend zog Adelia den Mantel mit der Kapuze aus, so dass der Bliaut und die Barbette zum Vorschein kamen, und fühlte sich nackt. Direkt neben ihr sah Walt sie an und bekam Stielaugen. »Hab mich schon gefragt, wer die fremde Frau is«, sagte er. Sie nahm an, dass auch das als Kompliment gemeint war. Und tatsächlich erntete sie viele verblüffte Blicke – die meisten davon freundlich. Denn das war ein weiteres Geschenk, das Eleanor ihr, ohne es selbst zu wissen, gemacht hatte: Durch den Gunstbeweis der Königin war Adelia vom Verdacht der Hexerei befreit worden.
Obwohl Eleanor und ihr Gefolge das Fest in der Scheune geplant hatten, übernahmen die Engländer die Ausrichtung.
Übernahmen? Sie rissen sie förmlich an sich.