Entzückende aquitanische Weihnachtslieder gingen in grölenden Trinkliedern unter. Der brennende Weihnachtsklotz wurde am Zuggeschirr eines Ochsen hereingeschleift und auf eine Feuerstelle mitten in das große Quadrat gelegt, das die in der Scheune aufgestellten Tische bildeten. Oben in der Galerie – eigentlich der Heuboden – versuchte ein Spielmann, die Speisenden mit seiner Sangeskunst zu erfreuen, doch da alle Bewohner von Godstow und die meisten Leute aus dem Dorf gekommen waren und einen Mordslärm veranstalteten, gab er es schließlich auf und kam herunter, um mit den anderen Gästen zu tafeln.
Es war das reinste Wikingermahl. Fleisch, Fleisch und noch mehr Fleisch. Das Eishaus hatte seine feinsten Leckerbissen hergegeben. Eleanors Koch hatte sich in der Küche selbst übertroffen, doch seine Wintersalate und Fromentées, seine hübsch bemalten Blätterteigburgen und zarten Götterspeisen aus Orangenblütenwasser waren von Schweineschmalz und Blutwurst förmlich begraben und besudelt worden, so dass er richtiggehend krank davon war und jetzt mit leerem Blick dasaß, während sein Gehilfe ihm zum Trost kleine Stücke Schweinebraten in den Mund schob.
Es wurden auch keine einzelnen Gänge serviert. Die Klosterdiener hatten sich schon zu lange mit Godstows viel zu vielen und anspruchsvollen Gästen herumgeschlagen, und das nahende Weihnachtsfest hatte ihnen noch mehr abverlangt. Die letzten paar Tage hatten sie in der sengenden Hitze der Küchenherde geschwitzt oder die Scheune geschmückt, bis sie einer Waldlichtung ähnelte. Sie würden das Fest nicht verpassen, indem sie im Schweiße ihres Angesichts zwischen Küche und Scheune hin und her rannten. Alles, was sie zubereitet hatten, pikant, süß, mit oder ohne Soße, Brote und Nachspeisen, wurde einfach zu einem prächtigen Durcheinander auf die Tische geknallt, und dann ließen sie sich auf die Bänke fallen, die dem Scheunentor am nächsten waren, und langten kräftig zu.
Gut so. Es musste so vieles unverzüglich tranchiert werden, so viele Gerichte die Reihen auf und ab gereicht werden, so viele lärmende Bitten erfüllt werden – »Noch was von der Füllung für meine Lady«, »Eine Scheibe von der Gans, wenn ich bitten darf«, »Gebt mal das Rübenmus rüber« –, dass zwischen oben und unten eine Kameraderie des Genusses entstand, von der allerdings die Hunde ausgenommen blieben, die unter den Tischen auf Abfälle warteten und sich gegenseitig bissen, wenn etwas bei ihnen landete.
Wächter blieb bei Adelias Knien, wo er die besten Happen abbekam – seine Herrin war eine schlechte Esserin, und um Mansur nicht zu kränken, der neben ihr saß und ihren Teller unermüdlich nachfüllte, steckte sie dem Hund heimlich Fleischbrocken zu.
Eleanor nahm alles gelassen hin, wie Adelia sah. Die Königin hatte sich gutmütig die riesige Krone aus Efeu und Lorbeerblättern aufgesetzt, die ihr von der Frau des Schmiedes überreicht wurde, und dabei ihren eigenen schlichten Kopfschmuck ruiniert. Plötzlich ähnelte sie einer Erdgöttin, was den Eindruck, dass der Abend immer heidnischere Züge annahm, nur noch verstärkte.
Außer dem königlichen Koch gab es nur noch eine weitere Person, die sich nicht der allgemeinen Heiterkeit anschloss: Emma saß als eisige, reglose Gestalt neben ihrem Mann, der sie ignorierte. Adelia versuchte, ihren Blick aufzufangen, und gab es dann auf. Das Mädchen starrte ins Leere.
Wie gingen Master und Mistress Bloat wohl mit der Situation um?, fragte sich Adelia. Verurteilten sie die Entführung ihrer Tochter?
Nein, sie hatten beschlossen, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen. Die beiden hatten sich innen an einen der Tische dem Entführer gegenübergesetzt, doch Wolvercote strafte ihre Bemühungen, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, meistens mit Verachtung.
Master Bloat wollte sogar einen Trinkspruch auf das glückliche Paar ausbringen, doch der Lärm schwoll schlagartig an, als er sich erhob, und Emma, die zum ersten Mal aus ihrer Trance erwachte, bedachte ihren Vater mit einem so bitterbösen Blick, dass dem Mann die Worte im Hals steckenblieben und er sich wieder setzte.
Mit Mansur zu ihrer Linken und Allie sicher in einer Trageschlinge an ihrer Hüfte – es würde keine entführten Töchter mehr geben – richtete Adelia ihre Aufmerksamkeit auf den Mann zu ihrer Rechten. Sie hatte sich größte Mühe gegeben, den Platz neben ihm zu ergattern.
Master Warin war die meiste Zeit für sich geblieben, und die Tatsache, dass er sich höflich erkundigen musste, wer sie war, und nicht abweisend reagierte, als sie ihm ihren Namen nannte, zeigte, dass ihm der übliche Klostertratsch entgangen war.
Er hatte die nervöse Angewohnheit, sich die Lippen zu lecken, und keineswegs das aalglatte herablassende Auftreten der meisten Advokaten. Ein unauffälliger Mensch, der sich seinen starken Gloucestershire-Akzent zwar ein wenig abgewöhnt hatte, aber auch nicht versuchte, ihn zu verbergen. Adelia gewann den Eindruck, dass es für ihn sowohl finanziell als auch intellektuell nicht leicht gewesen war, die Zulassung als Advokat zu erhalten, und dass er sich auf consilio et auxilio beschränkte, also auf Beratung beim Aufsetzen von Testamenten, Rodungsanträgen, Dienstverträgen, eben auf die vielen Details des Alltagsrechts, die für den Laien, der damit zu tun hatte, ungemein wichtig sein konnten.
Als sie ihm zum Tod seines jungen Vetters ihr Beileid aussprach, benetzte er sich erneut die Lippen, und echte Tränen traten in seine kurzsichtigen Augen: Der Mord hatte ihn seiner Familie beraubt, sagte er, da er bislang unverheiratet war. »Wie ich Euch um diese wonnige Kleine beneide, Mistress. Ich hätte so gern Kinder.«
Adelia hegte einen schlimmen Verdacht gegen Master Warin. Sie musste sich selbst in Erinnerung rufen, dass irgendwer die Information weitergegeben hatte, aufgrund deren zwei Mörder Talbot aus Kidlington auf der Brücke aufgelauert hatten, und niemand kam dafür eher in Frage als dieser kleine Mann, der über Talbot sagte: »Wir standen uns näher, als Vettern das normalerweise tun. Nach dem Tod seiner Eltern war er für mich wie ein kleiner Bruder. Ich hab alles für ihn erledigt.«
Doch trotz seines bescheidenen Auftretens war seine Kleidung von einer Qualität, die man bei einem einfachen Familienadvokaten nicht erwartet hätte, und der große Siegelring an seinem Finger bestand aus massivem Gold. Master Warin ließ es sich gutgehen. Außerdem schienen ihm Met und Ale nicht zu munden, dafür griff er häufiger nach dem Weinkrug.
Adelia setzte die Daumenschrauben an. »Dann hat Euer Vetter Euch nicht von seinem Plan erzählt, mit Mistress Bloat durchzubrennen?«, fragte sie.
»Selbstverständlich nicht.« Master Warins Stimme nahm einen schneidenden Tonfall an. »Eine wahnwitzige Idee. Ich hätte ihm das ausgeredet. Lord Wolvercote ist ein bedeutender Mann, ich hätte nicht zugelassen, dass jemand aus meiner Familie Schande über ihn bringt.«
Er log. Emma hatte gesagt, dass er in die Fluchtpläne eingeweiht gewesen war.
»Dann kanntet Ihr ihn also? Wolvercote, meine ich.«
»Nein.« Master Warins Zunge fuhr einmal über die Lippen. »Wir sind uns neulich Abend in der Kirche zum ersten Mal begegnet.«
Schon wieder gelogen. Er war ihr Mann.
»Ich hab mich nur gefragt, ob Ihr wusstet, was Euer Vetter vorhatte, weil die Leute gesagt haben, Ihr seid gleich nach ihm hier eingetroffen …«
»Wer sagt das?«
»… ganz kurz nach dem …«
»Das ist eine Verleumdung. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil mein Vetter bei diesem Schneesturm unterwegs war. Wer sind diese bösen Zungen? Wer seid Ihr? Ich habe es nicht nötig, hier zu sitzen …« Züngelnd wie eine Schlange, griff Master Warin nach seinem Weinbecher und suchte sich einen Platz weiter hinten am Tisch.
Mansur wandte den Kopf und sah den aufgebrachten Advokaten von dannen ziehen. »Hat er den Jungen getötet?«, fragte er auf Arabisch.
»In gewisser Weise. Er hat Wolvercote den Hinweis gegeben, der es Wolvercote ermöglichte, die Mörder auf den Jungen anzusetzen.«