Er setzte sich auf. »Ich war zwischen den Bäumen«, sagte er. »Hab dir beim Eislaufen zugesehen. Sehr anmutig, vielleicht bei den Kehren ein bisschen wackelig … Bei allen Heiligen, sie ist ein wonniges Kind, nicht?«
Unser Kind, dachte Adelia. Sie ist unser wonniges Kind.
Sie schlug ihm auf die Schulter, und das nicht ganz im Scherz. »Verdammt, Rowley. Ich habe gelitten, ich dachte, du wärst tot.«
»Ich kenne diesen Teil der Themse«, sagte er, »deshalb bin ich da ausgestiegen. Gehört Henry, da ist der Wald von Woodstock. Ganz in der Nähe ist ein Flusshüter – hab sein Kind für ihn getauft. Ich bin bis zu seiner Hütte, war nicht leicht, aber ich hab’s geschafft.« Er setzte sich jäh auf. »Also … wie sieht’s hier aus?«
»Rowley, ich habe gelitten.«
»War nicht nötig. Der Hüter hat mich nach Oxford geführt – auf Schneeschuhen. Die verdammte Stadt wimmelte nur so von Rebellen, jeder Hundsfott, der für Stephen gekämpft hat und deswegen leiden musste, war in Waffen und hatte Eleanors Banner gehisst oder das des jungen Henry. Wir mussten einen Bogen um die Stadt machen und uns nach Wallingford durchschlagen. Das war schon immer eine königliche Hochburg. Im Krieg haben die FitzCounts es für die Herrscherin verteidigt. Hab mir gedacht, dass der König zuerst dahin kommt.« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Gott steh mir bei, es war ein steiniger Weg.«
»Geschieht dir recht«, sagte sie. »Hast du den König gefunden? Ist er da?«
»Eigentlich hat er mich gefunden. Ich lag in Wallingford darnieder mit verschleimter Brust, verdammt, ich wäre fast gestorben. Ich hätte einen Doktor gebrauchen können.«
»Tut mir leid, dass ich nicht verfügbar war«, sagte sie säuerlich.
»Tja, zumindest konnte ich von da aus den Fluss im Auge behalten. Und tatsächlich, er ist gekommen, und noch dazu mit einer regelrechten Flotte.« Rowley schüttelte staunend den Kopf. »Er war in der Touraine, um die Rebellion des jungen Henry niederzuschlagen, als er das von Rosamund erfuhr. Gott möge den Jungen strafen, jetzt hat er sich mit Ludwig von Frankreich verbündet, gegen den eigenen Vater. Mit Ludwig, ausgerechnet.« Rowley presste fassungslos die Fäuste an die Schläfen. »Wir haben ja alle gewusst, dass er ein Idiot ist, aber wer hätte gedacht, dass dieser treulose kleine Welpe den größten Feind seines Vaters um Hilfe bitten würde?«
Er beugte sich vor. »Und Eleanor hat ihn dazu aufgestachelt. Wusstest du das? Das haben unsere Spione berichtet. Hat ihren Sohn gegen seinen Vater aufgestachelt.«
»Ist mir egal«, sagte sie. »Mir ist egal, was sie tun. Was wird jetzt geschehen?«
Aber sie konnte ihn nicht ablenken. Er war in Gedanken noch immer bei Henry Plantagenet, der gegen die Anhänger des jungen Henry gekämpft, zwei tourainische Burgen eingenommen und die Rebellen aufgehängt hatte, ehe er im härtesten Winter seit Jahren mit einem kleinen Heer nach England aufgebrochen war.
»Wie er das geschafft hat, ist mir ein Rätsel. Aber da kommt er einfach die Themse rauf, gefolgt von Booten voller Männer. Hab ich schon gesagt, dass er selbst gerudert ist? Die Männer auf der Barkasse waren dem Sauhund nicht schnell genug, also hat er sich selbst in die Riemen gelegt wie ein Pirat und dabei geflucht, dass der Himmel schwarz wurde.«
»Wo ist er jetzt?«
»Unterwegs.« Kurzes Zögern. »Er will dich sehen.«
»Ach ja?«
»Ich soll dich zu ihm bringen. Er will wissen, ob Eleanor hinter Rosamunds Tod steckt. Ich habe gesagt, du könntest ihm sagen, ob ja oder nein.«
»Großer Gott«, sagte sie. »Bist du deshalb hergekommen?«
»Ich wäre so oder so gekommen. Ich hab mir Sorgen gemacht, weil ich dich zurückgelassen habe … aber ich hätte mir denken können, dass du in Sicherheit sein würdest.« Er legte den Kopf schief und schnalzte mit der Zunge, als müsse er ihre Fähigkeit zu überleben bewundern. »Gott hat seine Hand über dich gehalten. Ich habe darum gebetet.«
»In Sicherheit?« Sie kreischte förmlich. »Ich wäre fast in einem offenen Boot krepiert.« Er musste sie beschwören, nicht so laut zu sprechen, und sie fuhr leiser fort: »In Sicherheit? Wir leben mit Mördern unter einem Dach, deine Tochter, wir alle. Hier herrschen Mord und Totschlag und Verrat … seit Wochen, Wochen hab ich Angst … um Allie, um uns alle … seit Wochen.« Sie wischte sich mit den Fäusten ihre Tränen ab.
»Zehn Tage waren es«, sagte er besänftigend. »Ich habe dich vor zehn Tagen verlassen.« Er stand auf, zog seine Hose hoch, richtete sein Hemd. »Zieh dich an, dann gehen wir.«
»Wohin?«
»Zu Henry. Hab ich doch gesagt. Er will dich sehen.«
»Ohne Allie? Ohne Gyltha und Mansur?«
»Die können wir schlecht mitnehmen. Ich habe einen Weg durch den Schnee gefunden, aber es wird schon zu Pferd schwer genug werden, und ich habe nur zwei mitgebracht.«
»Nein.«
»Ja«, seufzte er. »Das habe ich befürchtet. Und ich habe es dem König gesagt. Ohne das Kind wird sie nicht mitkommen, habe ich gesagt.« Wie er das sagte, hörte es sich an wie ein schrullige Laune.
Es reichte ihr. »Nun sag endlich: Wo ist Henry?«
»Oxford, zumindest war er unterwegs dorthin.«
»Wieso ist er nicht hier?«
»Versteh doch«, erklärte er geduldig. »Godstow ist ein Nebenschauplatz. Wichtig ist Oxford. Henry schickt den jungen Geoffrey Fitzroy mit einer kleinen Truppe her, mehr wird nicht nötig sein. Mansur sagt, Wolvercote und Schwyz haben nur ein paar Männer. Henry kommt nicht persönlich …« Sie sah ihn kurz grinsen. »Ich glaube, unser guter König traut sich selbst nicht, wenn er Eleanor von Angesicht zu Angesicht sieht. Könnte sein, dass er sie niedersticht. Auf jeden Fall wäre es ein bisschen peinlich, die eigene Frau gefangen zu nehmen.«
»Wann? Wann kommt dieser Geoffrey?«
»Morgen. Das heißt, falls ich es zurück zu ihm schaffe und ihm sagen kann, wie die Lage hier ist – damit er nicht die Falschen tötet.«
Er wird es tun, dachte sie. Er wird zurück durch dieses grässliche Land ziehen, verärgert, weil ich unsere Tochter nicht zurücklassen will, aber beruhigt, weil wir ja in Sicherheit sind. Er ist ganz Männlichkeit und Mut, wie sein verdammter König, und wir verstehen uns überhaupt nicht.
Nun, dachte sie, er ist, wie er ist, und ich liebe ihn.
Aber Kälte breitete sich aus, eine ungewohnte Fremdheit; sie hatte gedacht, der alte Rowley wäre wieder da – und für einen herrlichen Augenblick war er das auch gewesen, doch jetzt wirkte er mühsam beherrscht. Er sprach mit der altvertrauten Unbekümmertheit, und doch schaute er sie nicht an. Er hatte eine Hand gehoben, um ihr die Tränen vom Gesicht zu wischen, ließ sie dann aber sinken.
Sie sagte, weil sie nicht anders konnte: »Liebst du mich?«
»Zu sehr, Gott helfe mir«, antwortete er. »Zu sehr für mein Seelenheil. Ich hätte es nicht tun sollen.«
»Was tun?«
»Allmächtiger Gott, verzeih mir. Ich habe es versprochen, ich habe geschworen, dass ich mich, wenn er dich sicher behütet, deiner enthalten und dich nicht wieder zur Sünde verführen werde. Aber ich hätte dich nicht berühren dürfen. Ich begehre dich zu sehr. Dich zu spüren, das war … zu viel.«
»Was bin ich? Etwas, auf das man in der Fastenzeit verzichtet?«
»In gewisser Weise.« Seine Stimme klang jetzt gesetzt, wie die eines Bischofs. »Versteh doch, jeden Sonntag muss ich in irgendeiner Kirche gegen die Unzucht predigen und höre zwischen meinen eigenen mahnenden Worten Gott raunen: ›Du bist ein Heuchler, du begehrst sie, du bist verdammt, und sie ist verdammt.‹«
»Heuchelei ist gar nicht so schlecht«, sagte sie dumpf. Sie begann, ihre Kleider überzustreifen.
»Das musst du doch verstehen. Ich kann nicht zulassen, dass du für meine Sündhaftigkeit bestraft wirst. Ich habe dich Gott überlassen. Ich habe einen Pakt mit ihm geschlossen. Wenn sie sicher ist, Herr, bin ich dein Diener in allen Dingen. Ich habe den Eid in Anwesenheit des Königs geschworen, um ihn zu besiegeln.« Er seufzte. »Und jetzt sieh dir an, was ich getan habe.«