Sie sagte: »Es kümmert mich nicht, wenn es eine Sünde ist.«
»Mich aber«, sagte er gewichtig. »Ich hätte dich geheiratet, aber nein, du wolltest deine Unabhängigkeit behalten. Und so bekam Henry seinen Bischof. Aber eben einen Bischof, verstehst du? Der die Seelen der Menschen bewahren soll. Seine eigene, deine …«
Jetzt sah er sie an. »Adelia, es ist von Belang. Ich dachte, dem wäre nicht so, aber ich habe mich geirrt. Hinter dem ganzen Brimborium und dem Gesang – du glaubst nicht, wie viel da gesungen wird – ist immer diese leise, ruhige Stimme … die mich mahnt. Sag, dass du es verstehst.«
Sie tat es nicht. In einer Welt voller Hass und Mord verstand sie nicht, war ihr ein Gott unbegreiflich, für den Liebe Sünde war. Und auch der Mensch, der dieser Gottheit gehorchte.
Er hob die Hand, als wollte er das Kreuzzeichen über ihr machen. Sie schlug ihn. »Wage es nicht«, sagte sie. »Wage es nicht, mich zu segnen.«
»Nun gut.« Er griff nach seinem Mantel. »Aber hör mir trotzdem zu. Wenn Geoffrey angreift, bevor er angreift, gehst du ins Kloster – er wird den Kampf von dort fernhalten. Nimm Allie und die anderen mit. Ich habe Walt gesagt, er soll dafür sorgen, dass du dorthin gehst … sie ist dem König wichtig, habe ich gesagt.«
Sie hörte nicht zu. Sie war nie gegen Henry Plantagenet angekommen, und gegen Gott würde sie erst recht nicht gewinnen. Es war also doch noch Winter. Und in gewisser Weise würde es für sie nun immer Winter bleiben.
Wie ein Angelhaken in ihrem Verstand zerrte etwas ihre Aufmerksamkeit von der Verzweiflung weg. Sie fragte: »Du hast es Walt gesagt?«
»Mansur hat ihn hergeholt, während ich hier gewartet habe … übrigens, wo warst du so lange?«
»Du hast es Walt gesagt«, wiederholte sie.
»Und Oswald – die zwei wussten nicht, wo Jacques war oder Paton, aber ich habe ihnen gesagt, sie sollen die beiden unterrichten – ich will, dass alle meine Männer vorbereitet sind – sie müssen an die Tore kommen und sie für Geoffrey öffnen …«
»Großer Gott«, sagte sie.
Wächter begann, leise zu knurren.
Sie wäre fast gestrauchelt, als sie zur Tür rannte, und prallte hart dagegen. Sie schob den Riegel vor, legte dann ein Ohr ans Holz und lauschte. Sie würden nicht mehr viel Zeit haben, nur die Gnade Gottes hatte ihnen diese Frist gewährt. »Wie wolltest du aus der Abtei kommen?«
»Mit Silber, auf die Hand des Torwächters. Wieso?«
»Pssst.«
Das Geräusch von Stiefeln, die durch den Schneematsch unten in der Gasse rannten. »Sie kommen, um dich zu fassen. O Gott. O Gott.«
»Fenster«, sagte er, lief durch den Raum und stieß die Fensterläden auf, so dass Mondlicht das Zimmer erhellte.
Fenster, ja.
Sie rissen die Laken vom Bett und knoteten sie aneinander. Als sie sie aus dem Fenster hängten, hämmerte es schon an der Tür. »Aufmachen. Sofort aufmachen.« Wächter warf sich bellend dagegen. Rowley schlang das Lakenseil um den Fensterpfosten und zog kräftig daran, um es zu prüfen. »Nach Euch, Mistress.«
Den höflichen Schnörkel, den seine Hand in die Luft malte, als wollte er sie zum Tanz auffordern, würde sie nie vergessen. »Ich kann nicht«, sagte sie. »Mir werden sie nichts tun. Es geht um dich.«
Er blickte kurz nach unten, sah dann wieder sie an. »Ich muss gehen. Ich muss sie hierherführen.«
»Ich weiß.« Sie versuchten, die Tür einzurammen. Es war keine besonders dicke Tür, sie würde gleich nachgeben. »Dann tu’s auch«, zischte sie.
Er grinste, zog einen Krummdolch aus seinem Gürtel und reichte ihn ihr. »Bis morgen.«
Als er die Brustwehr erreicht hatte, versuchte sie den Knoten am Fensterpfosten zu lösen, doch er war zu fest, daher begann sie, mit der Schneide das Laken zu zersägen. Sie sah, wie Rowley zur nächsten Schießscharte lief und mit wehendem Mantel sprang. Der Schnee lag hoch, er würde also sanft landen. Aber konnte er die Stufen erreichen?
Ja. Als hinter ihr die Tür zersplitterte und ein grässliches Jaulen aus Wächters Kehle drang, sah sie ihren Mann übers Eis rutschen wie ein kleiner Junge.
Sie wurde zur Seite gestoßen. Schwyz brüllte: »Da ist er. Am anderen Ufer. Loso. Johannes.«
Zwei Männer sprangen zur Tür. Ein anderer nahm Schwyz’ Platz am Fenster ein, spannte hektisch seine Armbrust, zielte und schoss. »Verdammter Mist.« Er sah Schwyz an. »Daneben.«
Adelia schloss die Augen, öffnete sie dann wieder. Draußen auf dem Treppenabsatz ertönten wieder Schritte.
Eine riesige Gestalt beugte den Kopf, um durch die Tür zu passen, und schaute sich dann in aller Ruhe um. »Vielleicht wäre es besser, wenn wir Mistress Adelia von ihrem Dolch befreien.«
Sie hätte ihn sowieso nicht gegen Menschen benutzt. Sie übergab ihn, Griff voran, an den Abt von Eynsham, von dem die Vorlagen für die Briefe stammten, die Rosamund kopiert und an die Königin gesandt hatte, und der Henrys Mätresse dann hatte ermorden lassen.
Er dankte ihr, und sie kniete sich hin, um Wächter zu untersuchen, der unter eines der Betten gekrochen war. Während sie die durch Tritte gebrochenen Rippen abtastete, betrachtete er sie mit wehleidigem Blick. Sie streichelte ihn. »Du wirst es überleben«, sagte sie. »Braver Hund. Bleib schön hier.«
Galant half ihr der Abt in den Mantel, dann wurden ihr die Hände auf dem Rücken gefesselt und ein Knebel in den Mund geschoben.
Sie brachten sie zum Tor.
Es war niemand unterwegs, die ganze Abtei lag im Tiefschlaf. Selbst wenn sie um Hilfe hätte schreien können, an diesem Ende der Klosteranlage hätte sie kein Mensch gehört – oder wenn doch, wäre keiner zu ihrer Rettung herbeigeeilt. Master und Mistress Bloat standen nicht auf ihrer Seite. Advokat Warin ganz sicher nicht. Und von Wolvercotes Männern war nichts zu sehen, aber auch die hätten ihr nicht geholfen.
Das große Tor stand offen, doch alle Aufmerksamkeit richtete sich auf die Kammer des Torwächters, die vom Durchgang abging, in dem Schwyz’ Männer hin und her hasteten.
Sie stießen Adelia hinein. Fitchet lag mit durchgeschnittener Kehle tot auf dem Boden. Pater Paton lag neben ihm und spie gerade ein paar Zähne aus.
Sie rutschte auf Knien an die Seite des Priesters. Unter den Blutergüssen in seinem Gesicht war echte Entrüstung zu sehen. »Miff est-halten«, sagte er. »Wiefe weggenomm.« Er versuchte es noch mal. »Brie-fe weg-genommen.«
Männer richteten Kapuzen und Mäntel, trugen Waffen zusammen, leerten Fitchets Vorratsschrank und trieben ein paar panische Hühner in eine Kiste.
»Hat unser ehrenwerter Torwächter so was wie Wein besessen?«, fragte der Abt. »Nein? Jammerschade, ich hasse Ale.« Er nahm auf einem Hocker Platz, sah sich das Treiben an und befingerte dabei das riesige Silberkreuz auf seiner Brust. Die beiden Söldner, die Rowley verfolgt hatten, kamen keuchend herein. »Er hatte Pferde.«
»Mist, verdammter. Dann ist es vorbei. Wir verschwinden.« Schwyz packte die Fessel um Adelias Hände und riss sie mit einem so heftigen Ruck nach oben, dass er ihr fast die Schultern ausgekugelt hätte. Er schleifte sie hinüber zum Abt. »Wir brauchen sie nicht. Lass mich die Hure umbringen.«
»Schwyz, mein lieber, guter Schwyz.« Eynsham schüttelte seinen mächtigen Kopf. »Dir ist offenbar entgangen, dass Mistress Adelia derzeit das Kostbarste ist, was die Abtei zu bieten hat, wo doch der Wunsch des Königs, sie in seiner Nähe zu haben, so groß ist, dass er einen Bischof losschickt, um sie zu holen – sei es, weil sie im Bett überragende Qualitäten hat, sei es, weil sie gewisse Dinge weiß. Sie ist unsere Trumpfkarte, mein Guter, ein goldener Apfel der Atalante, den wir unter Umständen hinter uns werfen müssen, um Verfolger aufzuhalten …« Er überlegte. »Vielleicht können wir den König, falls er uns einholt, sogar besänftigen, indem wir sie ihm zurückgeben … ja … durchaus möglich.«