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»Wohin...«, stieß sie atemlos hervor.

»Lauf!«, unterbrach sie Runa. Gleichzeitig beschleunigte sie ihre Schritte noch mehr, sodass Arri einen Moment ernsthaft fürchtete, das Gleichgewicht zu verlieren, bevor es ihr gelang, ihren Rhythmus dem des Mädchens anzupassen. Hinter ihnen wurden die wütenden Stimmen der beiden Männer noch lauter, und dann hörten sie das Stampfen schwerer Schritte, die in erschreckender Schnelligkeit näher kamen. Wo war ihre Mutter?

Der Boden, über den sie rannten, veränderte sich plötzlich und war jetzt nicht mehr nass und kalt und rutschig, sondern mit scharfkantigen Steinen übersät, und Arri begriff gerade noch rechtzeitig, was Runa mit »Pass auf!«, meinte, um den Kopf einzuziehen, als es rings um sie herum schlagartig noch dunkler wurde. Sie berührte ihn nicht, aber sie streifte den harten Fels, der einen Fingerbreit über ihrem Hinterkopf entlangstrich. Sie befanden sich in einer Höhle. Das musste die Mine sein, von der Runa gesprochen hatte. »Wohin laufen wir?«, keuchte sie dennoch.

»Nicht so laut!«, gab Runa gehetzt zurück. »Die Mine. Wir verstecken uns in den Stollen. Da finden die uns nie!«

Das Geräusch näher kommender, stampfender Schritte schien das genaue Gegenteil zu beweisen, aber nur einen Augenblick später verkündeten ein dumpfer Schlag, ein schmerzerfülltes Keuchen und ein zweiter, schwerer Aufprall, dass zumindest einer ihrer Verfolger den Kopf nicht schnell genug eingezogen hatte. Arri verzog die Lippen zu einem dünnen, schadenfrohen Grinsen, aber sie machte sich nichts vor: Wenn der Kerl nicht so freundlich gewesen war, sich tatsächlich den Schädel einzurennen, würde er jetzt nur noch wütender sein.

Sie stolperten noch ein paar Schritte durch vollkommene Dunkelheit, dann gewahrte Arri einen braunroten, matten Schimmer irgendwo vor sich; kaum mehr als ein Hauch, den sie unter gewöhnlichen Umständen nicht einmal wahrgenommen hätte. Jetzt schien dieses Licht die Rettung zu bedeuten, denn wo Licht war, da waren im Allgemeinen auch Menschen. Noch ein paar Schritte, und sie wären gerettet.

Trotzdem machte ihr Herz einen erschrockenen Satz in ihrer Brust, als sie sah, wie niedrig der Gang tatsächlich war, durch den sie hetzten - und dann einen zweiten und noch heftigeren, als sie die gefährlichen Felszacken und -spitzen erkannte, die in unregelmäßigen Abständen aus der Decke herauswuchsen. Runa wich diesen Hindernissen mit schlafwandlerischer Sicherheit aus, aber sie selbst hatte schließlich nicht ihr ganzes Leben hier unten verbracht, und sie verfügte auch nicht über den unterirdischen Orientierungssinn eines Maulwurfs. Ein einziger falscher Schritt, und es wäre um sie geschehen.

Wenn sie sich nicht selbst umbrachte, indem sie gegen eines dieser Hindernisse lief, würden ihre Verfolger sie unweigerlich einholen, sollte sie auch nur ein einziges Mal ins Stolpern geraten oder gar fallen. Ihr einziger Trumpf war die Enge des Stollens. Selbst Runa und sie konnten sich nur gebückt darin bewegen - für die beiden groß gewachsenen Fremden musste es nahezu unmöglich sein, anders als auf allen vieren von der Stelle zu kommen. Dass sie es trotzdem taten, bewies das hastige Scharren und Poltern hinter ihnen; es kam nicht wirklich näher, aber es kam Arri eindeutig so vor.

Runa ließ endlich ihre Hand los, lief aber nur noch schneller und winkte sie mit beiden Armen zu sich herüber. Arri versuchte ihrer Aufforderung zu folgen, allerdings mit dem einzigen Ergebnis, dass sie nun endgültig ins Stolpern geriet und auf Hände und Knie herunterfiel. Sofort rappelte sie sich auf und griff nach Runas Hand, die sie gleich wieder mit sich zog. Das rotbraune Licht war mittlerweile stärker geworden; nicht viel, nicht, dass es wirklich die Bezeichnung Helligkeit verdient hätte, doch es reichte immerhin aus, um Arri erkennen zu lassen, dass der Stollen vor ihnen womöglich noch tiefer und schmaler wurde. Waren die Wände am Anfang der Strecke noch einigermaßen behauen und glatt gewesen, so sah der Tunnel nun vollends aus wie eine auf willkürliche Weise entstandene Höhle, und auch die Decke senkte sich mehr und mehr herab, sodass Runa und sie schließlich auf Händen und Knien - und auf dem letzten Stück sogar auf dem Bauch - kriechen mussten.

Doch gerade als der Punkt erreicht war, an dem sich Arri eingestand, dass sie ganz eindeutig an Platzangst litt, wichen Wände und Decke wieder zurück, und sie fanden sich fast unversehens in einer acht oder zehn Schritte messenden, unregelmäßig geformten Höhle wieder, deren Decke hoch genug war, um gebückt darin zu stehen. Runa ließ ihr jedoch nicht einmal die Zeit, um sich ganz aufzurichten, sondern packte sie unverzüglich wieder am Arm und zerrte sie grob auf ein finsteres Loch zu, das an der gegenüberliegenden Wand der Höhle im Boden gähnte.

Das obere Ende einer grob zusammengezimmerten Leiter ragte daraus hervor, und erst jetzt sah Arri, dass diese Öffnung auch die Quelle des blassroten, flackernden Lichtes war, das die Höhle erfüllte und sie mit seinem unheimlichen Spiel von braunen Schatten zu etwas Angstmachendem werden ließ. Ein sonderbarer, ebenso fremdartiger wie unangenehmer Geruch drang aus der Tiefe zu ihnen empor, und nachdem Runa sich ohne zu zögern auf die Leiter geschwungen hatte und mit erstaunlichem Geschick und noch erstaunlicherer Schnelligkeit nach unten zu steigen begann und Arri sich vorbeugte, um ihr nachzusehen, wurde ihr fast auf der Stelle schwindelig. Sie konnte nicht sagen, wie tief der Schacht war, aber er war auf jeden Fall sehr tief.

Doch sie hatte keine Wahl. Hinter ihr kamen die Schritte und die schnaubenden Atemzüge der Verfolger näher, und auch wenn sie vermutlich noch weiter entfernt waren, als ihre eigene Angst sie glauben machen wollte, waren sie trotzdem bereits nahe. Sie warf einen letzten, zögernden Blick über die Schulter zurück, dann griff sie entschlossen nach der Leiter, tastete mit dem Fuß nach der obersten Sprosse und hätte um ein Haar das Bein mit einem erschrockenen Laut zurückgezogen, als sie spürte, wie das gesamte Gebilde unter ihrem Gewicht zu wanken begann. Aber sie hatte keine Wahl. Hier bleiben konnte sie nicht. Irgendetwas sagte ihr, dass ein Sturz in die Tiefe - und sei er tödlich - der Möglichkeit, diesen beiden Männern in die Hände zu fallen, allemal vorzuziehen war.

Runa hatte fast die Hälfte der Entfernung nach unten überwunden, und auch die Geräusche der Verfolger waren nun hörbar näher gekommen, bis Arri genug Mut zusammengekratzt hatte, um ein zweites Mal nach der Leiter zu greifen und einen Fuß auf die oberste Sprosse zu setzen. Was sie schon einmal erlebt hatte, wiederholte sich, und ihre schwache Hoffnung, es wäre nur Einbildung gewesen, erwies sich als falsch: Die mit Lederriemen festgebundene Sprosse ächzte hörbar unter ihrem Gewicht, und sie konnte spüren, wie die gesamte Leiter bebte und einen Moment später ein bedrohliches, tiefes Knarren und Ächzen ausstieß. Aber sie ging über ihre Furcht kurzerhand hinweg, tastete mit dem anderen Fuß nach der zweiten Stufe und kletterte dann Hand über Hand in die Tiefe.

Runa erreichte den Boden des scheinbar nicht enden wollenden Schachtes zwar ein gutes Stück vor ihr, aber Arri hatte dennoch aufgeholt. Ihr Abstand betrug allenfalls noch fünf oder sechs Stufen, und sie war beinahe selbst erstaunt, mit welcher Schnelligkeit und Sicherheit sie die letzten Leitersprossen überwunden hatte. Dennoch zitterten ihre Knie so stark, dass sie sich für einen Moment gegen die hölzerne Konstruktion lehnen musste, um wieder zu Kräften zu kommen. Der sonderbare Geruch, den sie oben wahrgenommen hatte, war mittlerweile zu etwas geworden, das stark genug war, ihr fast den Atem zu nehmen. Vielleicht war es nicht einmal der Geruch. Runa drehte sich zwar ungeduldig zu ihr um und winkte fast verzweifelt mit beiden Händen, aber Arri blieb trotzdem noch einige schwere Herzschläge länger an die Leiter gelehnt stehen und sah sich um.