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»Deine Mutter«, sagte Runa, »ist sie tatsächliche eine...?«

»Wie?«, machte Arri verblüfft, aber Runa nickte nur und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Die Leute sagen, sie hätte Zauberkräfte«, beharrte sie. »Ist das wahr? Und wenn, beherrschst du sie dann auch?«

Arri lachte... und aus der Schwärze hinter Runa löste sich eine hoch gewachsene Gestalt in einem Umhang aus struppigem Wisentfell, umklammerte sie von hinten mit den Armen und hielt ihr mit einer Hand Mund und Nase zu, und noch bevor Arri auch nur wirklich begriff, was geschah, geschweige denn einen Schrei ausstoßen konnte, wurden auch hinter ihr Schritte laut, und sie fühlte sich auf die gleiche Weise gepackt und zurückgerissen. Eine riesige, übel riechende Hand presste sich ihr auf Mund und Nase und schnürte ihr den Atem ab, und gleichzeitig fühlte sie sich mit unwiderstehlicher Kraft von den Füßen gerissen und herumgezerrt. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Runa mit den Beinen strampelte und den Arm des Angreifers mit den Fingernägeln zerkratzte, wovon sich der Mann aber nicht im Geringsten beeindruckt zeigte. Rasch und fast mühelos trug er das aufbegehrende Mädchen davon, und auch Arri wurde trotz ihrer heftigen Gegenwehr wieder in die Richtung zurückgeschleift, aus der sie gekommen waren.

Arri trat immer verzweifelter um sich. Sie spürte, dass sie traf, hart traf, aber es nutzte nichts. Sie wurde bis zu der Stelle zurückgezerrt, an der die Decke sich zu tief herabsenkte, um aufrecht stehen zu können, dann wirbelte der Mann sie herum und warf sie so fest gegen die Wand, dass ihr die Sinne zu schwinden drohten, zog die Hand aber nicht von ihrem Gesicht weg. Allmählich wurde die Atemnot quälend. Arri drängte den Schleier aus schwarzen Spinnweben zurück, der ihre Gedanken verkleben wollte, bekam irgendwie eine Hand frei und tastete mit den Fingern über das Gesicht des Kerls, um ihm die Augen auszukratzen. Der Mann lachte nur roh und warf den Kopf zurück, aber seine Hand glitt für einen Moment von ihrem Gesicht, sodass sie wenigstens einen einzelnen, gierigen Atemzug nehmen konnte, bevor sich die schwere Hand erneut auf ihren Mund und ihre Nase presste.

»Wirst du still sein?«, sagte der grobe Kerl. »Wenn du atmen willst, dann musst du mir versprechen, nicht zu schreien, wenn ich dich loslasse.«

Sie konnte nicht antworten. Aber immerhin brachte sie ein schwächliches Nicken zustande, das der Mann wohl auch sah, denn er nahm die Hand wenigstens von ihrer Nase, wenn auch nicht von ihrem Mund. Sie konnte wieder atmen; nicht besonders gut, aber sie bekam Luft.

Runa hatte weniger Glück. Der andere Mann hatte sie auf die gleiche Weise gepackt wie sein Kamerad Arri, und er machte keinerlei Anstalten, sie los - oder auch nur atmen zu lassen. Runa wand sich und zappelte verzweifelt, strampelte mit den Beinen und versuchte, den Kopf hin- und herzuwerfen, aber natürlich war der Mann viel zu stark für sie, und Runas Bewegungen wurden sichtbar schwächer.

»Was tun wir mit ihr?«, fragte der Krieger.

Arri konnte das Schulterzucken des Mannes, der sie gepackt hielt, spüren. »Wir brauchen sie nicht mehr. Sorg dafür, dass sie still ist.«

Der Krieger tat gar nichts - aber er ließ Runa auch nicht los. Ihr Strampeln und Sichaufbäumen wurde noch einmal so heftig, dass der Mann alle Mühe hatte, sie zu halten, aber dann wurden ihre Bewegungen ganz plötzlich schwächer und hörten schließlich ganz auf. Doch auch jetzt ließ der andere Angreifer sie noch nicht los, sondern presste die Hand noch eine ganze Weile mit aller Kraft auf ihr Gesicht, bevor er endlich zufrieden war und das Mädchen einfach fallen ließ. Runas Körper sank schlaff zu Boden, und der Krieger versetzte ihr noch zwei, drei derbe Fußtritte; vielleicht nicht einmal wirklich, um sich davon zu überzeugen, dass sie tot war, sondern einfach, weil es ihm Spaß machte.

»Wenn du nicht willst, dass es dir genauso ergeht, dann gibst du keinen Laut von dir, wenn ich dich jetzt loslasse«, grollte die Stimme des zweiten Mannes an ihr Ohr. »Hast du das verstanden?«

Arri konnte nicht antworten. Sie starrte in fassungslosem Entsetzen auf das tote Mädchen hinunter, und ein Teil von ihr weigerte sich einfach zu glauben, was sie sah. Trotzdem zog sich die Hand schließlich von ihrem Gesicht zurück, wenn auch nicht weit und jederzeit bereit, sofort wieder zuzupacken, wenn sie auch nur an Widerstand denken sollte.

Aber Arri hätte nicht einmal schreien können, wenn sie gewollt hätte. Ihr Mund war wieder frei, doch sie hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und es war ihr unmöglich, den Blick vom reglosen Körper des Mädchens loszureißen. Sie konnte nicht einmal mehr richtig denken. Runa... konnte nicht tot sein! Sie hatte noch vor einem Augenblick mit ihr geredet. Sie hatten miteinander gescherzt, und jetzt war sie tot, vollkommen grund- und sinnlos umgebracht, nur weil sie sie (was hatte der Mann gesagt?) nicht mehr brauchten?!

Und plötzlich brandete eine Woge reiner, lodernder Wut in ihr hoch. Mit einer Bewegung, die selbst für ihren aufmerksamen Bewacher zu schnell kam, riss sie sich los, fuhr herum und schlug mit beiden Fäusten auf Runas Mörder ein, so schnell und hart, dass der Mann mit einem überraschten Grunzen zurücktaumelte und wahrscheinlich gestürzt wäre, wäre er nicht gegen die Stollenwand geprallt. Dann traf sie selbst ein Schlag, den sie nicht einmal kommen sah, und die Welt versank in einem Strudel aus erstickendem Nebel und Übelkeit.

Das Nächste, was sie bewusst wahrnahm, war der Umstand, dass sie auf Händen und Knien hockte, eine starke Hand ihren Nacken umschloss und ihren Kopf mit erbarmungsloser Kraft nach vorn drückte, sodass ihre Stirn fast den Boden berührte. Seit ihrem ebenso überraschenden wie sinnlosen Angriff auf Runas Mörder konnte kaum Zeit vergangen sein, denn der Mann kämpfte sich genau in diesem Moment mit wild fuhrwerkenden Armen wieder in die Höhe und machte Anstalten, sie zu treten; wahrscheinlich hätte er es sogar getan, hätte sein Kamerad ihn nicht mit einer zornigen Bewegung mit dem freien Arm zurückgescheucht.

»Lass das!«, sagte er grob. An Arri gewandt und in scharfem, drohendem Ton fuhr er fort: »Und du versuchst das besser nicht noch einmal, hast du verstanden? Wir brauchen dich nicht unbedingt lebend, das solltest du besser nicht vergessen!« Der Druck auf Arris Nacken wurde nun so stark, dass sie die Zähne zusammenpresste und trotzdem vor Schmerz aufstöhnte, aber der Krieger drückte nur noch fester zu und fragte: »Hast du mich verstanden?«

Arri konnte nicht reden. Sie bekam kaum noch Luft. Alles, was sie zustande brachte, war ein angedeutetes, hastiges Nicken, das dem Krieger allerdings auszureichen schien, denn er ließ ihren Hals zwar nicht los, lockerte seinen Griff aber zumindest so weit, dass sie wieder atmen und sogar den Kopf ein wenig heben konnte. Allerdings gestattete er ihr nicht aufzustehen.

»Geh und schau nach, ob jemand was gehört hat«, wandte er sich an seinen Kameraden. »Und bring eine Fackel mit. Diese Dunkelheit ist mir nicht geheuer.«

Der andere zögerte. Arri konnte ihm ansehen, dass er sehr viel lieber geblieben wäre und etwas ganz anderes getan hätte, aber dann warf er ihr einen drohenden Blick zu, der ihr wohl klarmachen sollte, dass aufgeschoben in diesem Fall ganz und gar nicht aufgehoben bedeutete, schürzte trotzig die Lippen und eilte davon. Arri wartete darauf, dass sein Kamerad nun endlich ihren Nacken losließ, und das tat er auch, allerdings nur, um sie praktisch im gleichen Augenblick grob am Arm zu packen und in die Höhe zu zerren. Sie wurde so unsanft gegen die Wand gestoßen, dass ihr Hinterkopf gegen den harten Fels prallte und sie schon wieder das Gefühl hatte, in einen bodenlosen Schacht aus Schwärze zu stürzen. »Versuch nur keine Dummheiten«, warnte er. »Du hast gesehen, was dir dann passiert.«