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Als sie es geschafft hatte, sich unter dem reglosen Rieseninsekt hervorzuarbeiten, hatte sich die Gasse in einen Hexenkessel verwandelt. Die Klorschas, die nicht bereits dem ersten Pfeilhagel zum Opfer gefallen waren, wehrten sich verzweifelt und mit erstaunlicher Behendigkeit gegen die Hornköpfe, aber es war ein aussichtsloser Kampf. Die Beterinnen wüteten wie die Berserker unter den zerlumpten Gestalten, und ihr gewaltiger Chitinpanzer machte sie so gut wie unverwundbar. So gnadenlos der Kampf geführt wurde, er konnte nur noch Augenblicke dauern. Von Brakus Streitmacht war nicht einmal mehr die Hälfte am Leben - und von beiden Seiten der Gasse näherten sich immer mehr der gigantischen Kampfinsekten!

Tally arbeitete sich keuchend in die Höhe, schob das Schwert in den Gürtel zurück, zog statt dessen Mayas Waffe und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß sie sie nicht im Stich lassen würde.

Tally machte sich nichts vor - trotz dieser entsetzlichen Waffe waren ihre Chancen, die Gasse lebend zu verlassen, erbärmlich. Von der Garde, deren Name eine der Klorschas geschrien hatte, war keine Spur zu sehen, aber Tally hätte in diesem Moment liebend gerne eine Hundertschaft der Schelfheim-Krieger gegen die zwei Dutzend Rieseninsekten eingetauscht, die von beiden Seiten auf sie eindrangen.

Im Grunde war es ein Zufall, der sie rettete. Die Mauer aus Klorschas, die den Hornköpfen bisher noch erbittert Widerstand geleistet hatten, zerbrach endgültig, und plötzlich sah sich Tally gleich zwei der gigantischen schwarzen Scheusale gegenüber. Sie schoß, sprang hastig zur Seite und feuerte wieder, als die zweite Beterin mit schnappenden Fängen auf sie eindrang. Diesmal traf sie ihr Ziel nicht ganz - einer der gewaltigen Keulenarme der Beterin wurde pulverisiert, aber hinter dem Hornkopf flammte die Wand auf und spie einen Regen aus Glut und brennendem Holz in die Gasse. Ein handbreiter Riß spaltete das Haus vom Dach bis zu den Grundfesten.

»Hrhon!« schrie Tally. »Weller! Zu mir!« Sie wirbelte herum, setzte über ein brennendes Etwas aus schwarzem Horn hinweg und schoß noch einmal; jetzt nicht mehr auf einen Hornkopf, sondern gezielt auf das Haus.

Die Wand zerplatzte wie unter einem Hammerschlag.

Grellweiße Flammen schossen in die Höhe und verwandelten die Gasse in eine zuckende Hölle aus ineinanderfließenden Schatten. Tally hetzte weiter, atmete noch einmal tief ein - und sprang mit einem gewaltigen Satz durch die Flammenwand.

Hitze, ungeheuere, unvorstellbar schreckliche Hitze hüllte sie ein. Die Luft in ihren Lungen schien zu kochender Lava zu gerinnen. Etwas schrammte schmerzhaft an ihren Rippen entlang, ein Stück glühendes Holz versengte ihr Haar. Sie sah einen Schatten auf sich zurasen, versuchte sich instinktiv abzurollen und prellte mit entsetzlicher Wucht gegen einen stehengebliebenen Mauerrest.

Der Aufprall raubte ihr fast das Bewußtsein. Tally blieb einen Moment benommen liegen, dann stemmte sie sich hoch, fegte hastig die Glut beiseite, die auf ihr Haar und ihren Mantel heruntergefallen war, und sah sich um.

Sie befand sich inmitten eines Flammenmeeres. Die Drachenwaffe hatte nicht nur die Wand des Hauses pulverisiert, sondern auch hier drinnen alles kurz und klein geschlagen und in Brand gesetzt, was nur brennen konnte. Die Hitze war unerträglich, obwohl der Brand erst seit Sekunden wütete. Ein verkrümmter Körper lag dicht neben ihr, bis zur Unkenntlichkeit veschmort, aber noch im Tode eine gewaltige Axt umklammernd, und vor dem mannshohen Loch in der Wand rangen Schatten miteinander.

Sie stemmte sich hoch, schlug die Flammen aus, die an einem Zipfel ihres Umhanges leckten, und hob schützend die linke Hand vor das Gesicht, während sie tiefer in den verwüsteten Raum hineinstolperte. Sie konnte kaum mehr sehen. Das Feuer, das die unsichtbaren Blitze der Drachenwaffe entfacht hatten, brannte viel heller und heißer als irgendein anderes Feuer, daß sie jemals erlebt hatte. Und es griff mit phantastischer Schnelligkeit um sich.

Beißender, blauer Rauch verpestete die Luft. Glühende Holzsplitter und Flammen regneten von der Decke, und als sie sich der gegenüberliegenden Tür näherte, brach sie durch die morschen Dielen. Hätte es einen Keller unter dem Haus gegeben, hätte sie sich vermutlich zu Tode gestürzt; so aber brach sie nur bis an die Knie ein und fand auf einem widerlich schwammigen Boden Halt.

Hastig befreite sie sich, trat mit einer wütenden Bewegung die Tür ein und schoß blindlings ihre Waffe ab.

Irgendwo auf der anderen Seite explodierte etwas. Grelles Licht und kleine, gelborangene Flammenzungen schlugen ihr entgegen, als sie die Reste der Tür mit der Schulter beiseitestieß.

Vor ihr erstreckte sich ein niedriger, fensterloser Gang, der bis vor wenigen Sekunden am Fuß einer hölzernen Treppe geendet hatte. Jetzt ragten nur noch die obersten vier oder fünf Stufen zerfetzt und brennend aus der Decke, und wo die Wand gewesen war, gähnte ein gewaltiges Loch mit glühenden Rändern. Dahinter war eine weitere schmale Gasse zum Vorschein gekommen.

Brennende Trümmerstücke und glühender Stein bildeten ein bizarres Muster auf dem schlammigen Boden.

Tally drehte sich herum, als sie ein Geräusch hörte, das nicht in das Prasseln der Flammen gehörte. Sie sah das Glitzern von Horn, hob ihre Waffe und erkannte im allerletzten Moment Hrhon, der ungeschickt durch die Bresche im Mauerwerk hereinkroch. In der rechten Hand hielt er den abgerissenen Arm einer Beterin, seine andere Pranke zerrte ein zappelndes Etwas hinter sich her, das Tally erst nach Augenblicken als einen arg ramponierten Weller erkannte.

Flammen und brennendes Holz regneten auf die beiden herab. Hrhon spürte es wahrscheinlich nicht einmal, aber Weller schrie vor Schmerz, als ein weißglühender Span sein Gesicht traf. Winzige, rote Flämmchen begannen aus seinem Bart zu züngeln. Mit einem Satz war Tally bei ihm, schlug die Flammen mit den Händen aus und half ihm auf die Füße.

»Schaff ihn raus!« schrie sie. »Schnell!«

Gleichzeitig versetzte sie Weller einen Stoß, der ihn meterweit durch den brennenden Raum taumeln ließ, sprang zur Seite, um einem Hagel brennender Balken und sprühender Funken auszuweichen, und sah einen gigantischen hornköpfigen Umriß in der Mauerbresche auftauchen. Instinktiv riß sie ihre Waffe hoch und schoß.

Der unsichtbare Blitz traf die Beterin, zerfetzte zwei ihrer Beine und zermalmte ein Drittel ihres Hinterleibes, aber das Insekt rast weiter auf sie zu, wie ein lebendes Geschoß vom Schwung seiner eigenen Bewegung vorwärts gerissen. Seine gewaltige Klaue zuckte im Todeskampf, traf Tallys Arm und schmetterte ihr die Waffe aus der Hand.

Sie fiel, spürte eine Woge entsetzlicher Hitze durch ihren linken Arm rasen und sprang verzweifelt wieder auf die Füße. Ihr Mantel brannte. Sie riß ihn herunter, schlug mit der bloßen Hand die Flammen aus, die an ihrem Wams leckten, und taumelte in die Richtung, in der Hrhons Schatten wie ein flacher Scherenschnitt hinter den Flammen tanzte.

Schmerz und Hitze trieben ihr die Tränen in die Augen. Halb blind hetzte sie durch das brennende Zimmer, prallte unsanft gegen den Türrahmen und fühlte sich plötzlich von einer unmenschlich starken Hand gepackt und vorwärts gerissen.

Auch der Korridor stand in hellen Flammen. Das Feuer hatte die Decke erreicht und das Gemisch aus Lehm und Stroh in Brand gesetzt, aus dem sie gemacht war. Der Boden schwelte, und die Luft war so heiß, daß Tally vor Schmerz aufschrie, als sie zu atmen versuchte.

Hrhon warf sie sich kurzerhand über die Schulter, versuchte mit der Hand ihr Gesicht vor den Flammen zu schützen und rannte auf seinen kurzen Beinen los, so schnell er nur konnte.

Es war nicht sehr schnell.

Er brauchte zehn Sekunden, um den nur wenige Schritte messenden Gang zu durchqueren, und hätte er weitere zehn Sekunden gebraucht, hätte er nur noch eine Leiche ins Freie geschafft. Tally konnte nicht mehr atmen. Die Hitze hatte ihre Kehle verbrannt, und der erstickende Rauch fraß in ihren Lungen wie Säure. Ihr Gesicht und ihre Hände fühlten sich an wie eine einzige, schmerzende Wunde. Als Hrhon sie behutsam von der Schulter lud und auf die Füße stellte, wankte sie vor Schwäche und wäre gestürzt, wenn der Waga nicht rasch zugegriffen und sie gestützt hätte.