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»Du bist verrückt« keuchte Tally.

»Ganz im Gegenteil«, sagte Weller, plötzlich sehr ernst. »Du kennst diese Stadt nicht, Tally. Es ist fast unmöglich sie zu durchqueren, ohne ein halbes dutzendmal angehalten und kontrolliert zu werden. Mit einem gültigen Passierschein können wir einen Träger mieten und ganz offiziell zum Hafen reisen. Wir sind dort, ehe es Mittag wird.« Er sah sie scharf an. »Wenn du lieber Haschmich mit der Garde spielen willst, dann sag es jetzt. Ich gehe jedenfalls jetzt dort hinein und besorge uns Ausweise.«

Tally wollte ganz impulsiv widersprechen - aber dann kam ihr Wellers Idee plötzlich gar nicht mehr so verrückt vor. Sie war riskant, sicher - aber war nicht allein ihr Hiersein schon ein Risiko? Und möglicherweise hatte er recht; sie hatte die brennenden Häuser gesehen.

Widerstrebend nickte sie. »Gut«, sagte sie. »Aber verlang nicht von mir, daß ich mit dir dort hineingehe.« Sie wies auf den wuchtigen Lehmziegelbau, über dessen Eingang das Emblem der Kommandatur prangte. Den Gardisten war es mittlerweile gelungen, die zwei oder drei Dutzend erregten Bürger davor wenigstens zu einer Schlange zu formieren. Einige von ihnen trugen hastig angelegte Verbände, und ein Mann mittleren Alters war so übel verwundet, daß er sich auf seine Begleiterin stützen mußte.

Weller überlegte einen Moment. Dann nickte er. »Gut. Meinetwegen bleib hier. Aber geh nicht fort.«

»Ich werde mich ein wenig umsehen«, sagte Tally. Weller seufzte. Aber er schien einzusehen, wie wenig Sinn es hatte, Tally irgend etwas befehlen zu wollen; denn er zuckte nur resignierend die Achseln und seufzte abermals.

»Wie du willst. Aber sprich mit niemandem. Und bleib in der Nähe.« Er schien noch mehr sagen zu wollen, beließ es aber dann bei einem dritten, gequält klingenden Seufzen, und drehte sich herum, um mit schnellen Schritten auf einen der Gardesoldaten zuzugehen. Tally sah, wie er einen Moment mit ihm sprach und dabei erregt auf sich selbst und sie deutete. Der Posten blickte neugierig in ihre Richtung und schüttelte den Kopf. Wellers Hand verschwand für einen Moment unter seinem Gürtel; als sie wieder auftauchte, wechselte eine blitzende Silbermünze ihren Besitzer. Diesmal nickte der Soldat auf Wellers Worte, nahm ihn beim Arm und führte ihn an der Schlange der Wartenden vorbei in das Gebäude. Böse Blicke und Verwünschungen folgten ihm, und der verwundete Mann schüttelte sogar seine Faust hinter ihm her.

Tally drehte sich rasch herum und ging ein paar Schritte in die entgegengesetzte Richtung. Sie hatte keine Lust, als Zielscheibe für den Zorn zu dienen, der Weller galt - und sie wollte die Zeit nutzen, sich ein wenig umzusehen. Sie war noch niemals in einer Stadt wie Schelfheim gewesen, und es gab viel hier, was ihre Neugier erregte - und manches, was von Nutzen sein mochte.

Unschlüssig sah sie sich um, wandte sich schließlich wieder in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und schlenderte gemächlich an den Auslagen der Geschäfte entlang, die den Platz säumten.

Es gab buchstäblich alles - zumindest alles, was sich Tally vorstellen konnte, und noch eine ganze Menge mehr. Angefangen von Lebensmitteln über Kleider und Waffen und Dinge des täglichen Lebens boten die Geschäfte alles feil, was sich nur für Geld kaufen und verkaufen ließ. Tally blieb immer wieder stehen, um all die sonderbaren und zum Teil für sie unverständlichen Dinge zu begutachten, nahm hier und da sogar etwas zur Hand, entfernte sich jedoch immer rasch, wenn einer der Händler auf sie zutrat und sie in ein Gespräch verwickeln wollte.

Sie hatte Lust, etwas zu kaufen, einfach so, und sie hatte ein wenig Geld, denn gottlob hatten die Leute, deren Haus sie geplündert hatten, nicht mehr die Zeit gefunden, ihre Schatztruhe mitzunehmen. Es waren keine Reichtümer, die sie gefunden hatten, aber genug, ihr Ziel zu erreichen - wie Weller gesagt hatte - und noch ein bißchen mehr. Tally hielt die Handvoll Münzen, die sie in einem kleinen Lederbeutel unter ihrem Cape trug, für ein kleines Vermögen, aber Weller wäre wahrscheinlich nicht einmal zufrieden gewesen, wenn er einen faustgroßen Goldklumpen gefunden hätte.

Sie blieb vor einem Laden stehen, der Kleider und allerlei anderen Ramsch feilbot, auf einem kleinen, ein wenig abseits stehenden Tischchen aber auch Waffen - zierliche Dolche, ein Bogen, der allenfalls als Spielzeug gut war und beim ersten ernstgemeinten Spannen zerbrechen mußte, einen etwas zu klein geratenen Morgenstern, dessen Kette als Ausgleich zu lang war, so daß sich der, der ihn benutzte, allenfalls selbst den Schädel einschlagen würde... Ramsch, der hübsch aussah, aber zu nichts nutze war. Trotzdem nahm sie bedächtig jedes einzelne Stück zur Hand und begutachtete es eingehend. So lange, bis ein Schatten über sie fiel und sie ein leises Räuspern hörte.

Erschrocken sah sie auf und blickte ins Gesicht des Händlers, der aus seinem Laden getreten war und aus guten zweieinhalb Metern Höhe auf sie herabblickte. Im ersten Moment hielt sie ihn für einen Menschen, aber dann sah sie die spitzen, einwärts gebogenen Fangzähne, die sich über seine Unterlippe zogen, und die mit dünnen Härchen bewachsenen Pinselohren.

»Du interessierst dich für Waffen, Kind?« Seine Stimme war sehr leise für einen Mann seiner Größe, aber sie hatte einen so angenehmen, weichen Klang, daß Tally sofort einen Teil ihres instinktiven Mißtrauens verlor. Sie nickte, erinnerte sich daran, was Weller über die Frauen in Schelfheim gesagt hatte, und schüttelte hastig den Kopf.

Der Blick der geschlitzten Katzenaugen verharrte einen Moment auf ihrem Gesicht und streifte dann den silbernen Zierdolch, den sie in der Hand hielt. Beinahe schuldbewußt legte Tally die Waffe zurück und wollte gehen, aber der Riese hielt sie mit einer raschen Bewegung zurück.

»Warte doch«, sagte er. »Du hast recht - das da ist Tand. Ich habe etwas Besseres für dich. Für wen soll die Waffe sein? Für deinen Mann?«

»Meinen... Bruder«, sagte Tally hastig. »Ich will ihn überraschen. Aber er kennt sich mit Waffen aus. Ich nicht«, fügte sie mit einem entschuldigenden Lächeln hinzu.

»Dann habe ich genau das Richtig für dich«, sagte der Händler. »Warte hier. Ich bin gleich zurück.« Er drehte sich herum und verschwand mit gewaltigen Schritten im Inneren seines Ladens, wo Tally ihn lautstark rumoren hörte. Es wäre ihr ein Leichtes gewesen, jetzt einfach zu gehen - aber damit hätte sie eher noch mehr Aufsehen erregt; und die Worte des Riesen hatten ihre Neugier geweckt. Sie wollte einfach wissen, ob er ein ehrlicher Mann war oder ein Gauner, der die Unwissenheit einer Frau nutzen wollte, um ein gutes Geschäft zu machen.

Nach einer Weile kam der Katzer wieder, ein armlanges, in weiße Tücher eingeschlagenes Bündel auf beiden Armen tragend. Mit einem fast verschwörerischen Lächeln legte er es vor ihr ab und machte eine einladende Geste, es zu öffnen.

Tally gehorchte. Unter dem weißen Leinen kam ein prachtvolles, beidseitig geschliffenes Schwert zum Vorschein. Es war eine prachtvolle Arbeit - die Klinge war so lang wie ihr Arm und mit filigranen Verzierungen versehen, wohingegen ihr Griff beinahe einfach wirkte, aber eine sehr sonderbare Form hatte. Bewundernd nahm sie die Klinge auf, wog sie einen Moment prüfend in der Hand und stellte fest, daß sie ihr Gewicht kaum fühlte. Sie war perfekt ausgewogen. Wenn die Güte ihres Stahles hielt, was sein Aussehen versprach, mußte es eine phantastische Klinge sein; zehnmal besser als das Schwert, das sie Weller in Aufbewahrung gegeben hatte.

»Gefällt es dir?« fragte der Katzer.

Tally nickte heftig. »Es ist wunderschön«, sagte sie. »Was kostet es?«

»Zehn Goldheller«, antwortete der Katzer, »und das ist geschenkt.«

Einen Moment lang war Tally ernsthaft in Versuchung, das Schwert zu kaufen. Sie hatte mehr als die Summe, die der Händler forderte, und die Klinge war diesen lächerlichen Betrag allemal wert. Aber dann dachte sie daran, was Weller sagen würde, wenn sie ihn mit einem neu gekauften Schwert im Gürtel begrüßte, und legte die Klinge mit einem bedauernden Kopfschütteln wieder zurück. Sie erweckte schon viel zu viel Aufsehen allein damit, überhaupt hier zu stehen.