Выбрать главу

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das Boot auf diese Weise beladen war - Weller und sie gingen jeweils dreimal zum Ufer und zurück. Als sie fertig waren, war der schmale Innenraum des Kanus so vollgestopft, daß sich Tally fragte, wo um alles in der Welt noch drei Passagiere darin Platz nehmen sollten.

»Und jetzt?« fragte sie schweratmend.

»Das Tor, öffnet es.« Karan deutete auf eine komplizierte Anordnung aus Ketten und Rollen, die an der Wand befestigt war. Tally hatte keine Ahnung, wie der Mechanismus funktionierte, aber Weller trat ohne zu zögern hinzu, zerrte an einer herabhängenden Kette und befahl ihr mit einer Kopfbewegung, ihm zu helfen.

Irgendwo unter der Decke begann etwas ganz entsetzlich zu quietschen und klirren.

Es kostete ihre gesamte Kraft, die hölzernen Tore gegen den Druck des Wassers zu öffnen; denn Karans Mechanismus war offensichtlich seit Jahren nicht mehr benutzt worden und eingerostet. Trotzdem schwangen die deckenhohen Tore ganz langsam nach außen. Trübes Mondlicht strömte herein und vermischte sich mit dem düsteren Rot ihrer Fackeln. Das Hafenbecken lag wie ein Bottich mit kochendem Teer vor ihnen.

»Das genügt«, sagte Karan schließlich. »Jetzt kommt her. Karan muß euch erklären, was ihr zu tun habt.«

»Das wird kaum mehr nötig sein, mein Freund«, sagte eine Stimme aus der Dunkelheit. Tally kannte diese Stimme. Sie hatte sie nur einmal in ihrem Leben gehört, aber sie würde sie niemals vergessen. Sie klang ruhig, beinahe erheitert, und sie behielt diesen fast freundlichen Ton auch bei, als sie hinzufügte: »Und dir, Tally, würde ich raten, die Hand vom Laser zu nehmen, wenn du noch ein paar Sekunden leben willst.«

Tally erstarrte mitten in der Bewegung. Ihre Finger waren nur noch Millimeter vom Griff der Drachenwaffe (wie hatte Jandhi sie genannt? Laser?) entfernt, aber sie wußte, daß sie trotzdem keine Gelegenheit haben würde, sie zu ziehen. Bisher hatte sie es für dummes Gerede gehalten, aber es stimmte tatsächlich - man spürte es, wenn der Lauf einer Waffe auf seinen Rücken deutete.

Ganz langsam drehte sich sich herum, nahm die Hände in Schulterhöhe und sah zu der in schwarzes Leder gekleideten Gestalt hoch. Jandhi lächelte. Der rote Kristall im Griff ihrer Waffe funkelte wie ein gieriges Dämonenauge. Karans Daumen schwebte dicht darüber.

»Habe ich dir nicht gesagt, daß wir uns wiedersehen, Schätzchen?« fragte sie. Ihr Lächeln wurde noch freundlicher, aber ihre Augen blieben kalt dabei. »Ich halte mein Wort immer, weißt du.«

Tally schwieg. Was hätte sie schon sagen können! Sie hatte das Bedürfnis, vor lauter Enttäuschung und Zorn einfach loszuheulen, aber dazu war sie zu stolz. Dabei war sie nicht einmal erschrocken. Irgendwie hatte sie damit gerechnet. Trotz allem war es zu glatt gegangen, bisher.

»Wie hast du mich gefunden?« fragte sie schließlich.

»Das ist eine lange Geschichte«, antwortete Jandhi. »Aber ich erzähle sie dir. Später. Jetzt komm her. Und ganz langsam.«

Tally gehorchte. Sie spürte, daß Jandhi sie nicht töten wollte - nicht jetzt - aber sie war ebenso sicher, daß sie es tun würde, wenn sie sie dazu zwang.

»Den Laser«, verlangte Jandhi.

Ganz langsam senkte Tally die Hand zum Gürtel, zog die Waffe hervor und reichte sie Jandhi. Aber die Drachentochter machte keinerlei Anstalten, danach zu greifen, sondern schüttelte nur den Kopf. »Wirf ihn zu Boden«, sagte sie. »Ich habe gehört, daß es gefährlich ist, dir zu nahe zu kommen.«

Sie lachte leise, wartete, bis Tally die Waffe zu Boden gelegt und auf ein Zeichen von ihr hin mit dem Fuß davongeschossen hatte, dann wich sie mit ein paar schnellen Schritten bis zur rückwärtigen Wand zurück und löste einen kleinen, rechteckigen Gegenstand vom Gürtel. Tally sah, wie sie ihn zum Mund führte und hineinsprach.

»Und jetzt?« fragte sie. »Was hast du jetzt vor, Jandhi? Willst du mich umbringen?«

»Nein«, antwortete Jandhi ungerührt. »Wenigstens jetzt noch nicht. Aber du wirst mich begleiten, und dein schuppiger Freund draußen auch. Wir werden dafür sorgen, daß du nicht noch mehr Schaden anrichtest, als du bereits getan hast.« Sie machte eine Handbewegung, deren Bedeutung Tally nicht kannte. »Wären wir nicht Feinde, würde ich dir meine Hochachtung ausdrücken, Kindchen. So viel Ärger wie du hat uns noch niemand bereitet.«

»Uns?« fragte Tally. »Wer ist das?«

Jandhi lachte. »Nicht doch«, sagte sie. »Du wirst Gelegenheit genug bekommen, Fragen zu stellen. Und wer weiß, vielleicht beanworte ich sie sogar. Aber nicht jetzt. Ich mag keine melodramatischen Szenen, weißt du?«

»Laß wenigstens Karan gehen«, sagte Tally. »Und Weller. Sie haben nichts mit unserem Streit zu tun.«

»Wie edel«, sagte Jandhi spöttisch. »Aber leider ein wenig zu spät.« Für einen Moment sah sie Karan an, der noch immer im Wasser stand, wandte ihre Aufmerksamkeit aber wieder Tally zu, ehe diese den Augenblick ausnutzen und sich auf sie stürzen konnte.

»Nein«, sagte sie noch einmal. »Daraus wird nichts, fürchte ich. Die beiden stecken zu tief drinnen in der Sache.«

»Dann willst du sie auch umbringen?«

»Umbringen?« Jandhi runzelte die Stirn, als hätte sie etwas vollkommen Unsinniges gefragt. »Wer spricht vom Töten, Talianna? Nein, nein - sie werden mich begleiten, und für eine Weile bei uns bleiben, das ist alles. Wenn sie zurück kommen, werden sie loyale Untertanen sein, mein Wort darauf.« Ihr Blick wurde hart. »Und jetzt Schluß. In wenigen Minuten wird Nil mit ein paar Männern hier sein, und dann hat...«

Sie brach ab, als vor der Tür Schritte laut wurden, runzelte flüchtig die Stirn und drehte sich kurz herum, ohne Tally jedoch länger als eine halbe Sekunde aus den Augen zu lassen. Ein hochgewachsener Schatten war unter dem Eingang erschienen, gefolgt von einem zweiten und dritten, die sich langsam auf sie zubewegten.

»Nil!« sagte sie überrascht. »Ihr seid schneller, als...«

Der Schatten trat ins Licht der Fackeln hinein und wurde zu einer schlanken, schwarzhaarigen Frau mit einem Gesicht aus Narben.

»Als was?« fragte Angella belustigt.

Jandhi starrte sie an. »Du?« murmelte sie. »Was... was tust du hier?«

»Oh, das gleiche wollt ich dich gerade fragen«, erwiderte Angella ruhig. Langsam trat sie auf Jandhi zu, drückte den Lauf ihrer Waffe herunter, als handele es sich um ein harmloses Kinderspielzeug, und deutete mit der Linken auf Tally. »Du hast da etwas, das mir gehört«, sagte sie ruhig. »Vielen Dank, daß du es aufgehoben hast. Aber nun bin ich ja da. Du kannst gehen, Jandhi.«

Jandhi wurde bleich. Angellas Worte klangen fast harmlos, aber sie waren es nicht. Es gab etwas, was ihnen gehörigen Nachdruck verlieh - das gute Dutzend Bewaffneter, das hinter Angella in den Schuppen drängte nämlich.

Aber Jandhis Unsicherheit währte nur einen Moment.

Dann blitzte es in ihren Augen zornig auf. Sie schlug Angellas Hand beiseite, wich zwei, drei Schritte vor ihr zurück und hob drohend die Waffe.

»Was fällt dir ein?« fauchte sie. »Das hier geht dich nichts an! Verschwinde auf der Stelle!«

Es war sehr schwer, auf Angellas vernarbten Zügen irgendeine Regung zu erkennen, aber für einen Moment war Tally fast sicher, einen Ausdruck abgrundtiefen Hasses in ihren Augen zu sehen. Dann hatte sie sich wieder in der Gewalt.

»Verzeiht, edle Herrin«, sagte sie spöttisch. »Aber Ihr täuscht Euch. Das hier geht mich sehr wohl etwas an. Muß ich dich wirklich daran erinnern, daß du hier in meinem Gebiet bist, Jandhi? Ich dachte, wir hätten eine Abmachung.«