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Doch er glaubte nicht daran. Im Weinlager befanden sich fast tausend mit Wachs versiegelte Amphoren. Selbst wenn die Sklaven ein paar zerschlugen, müssten immer noch genug übrig bleiben, um sie bis zum Sonnenaufgang bei Laune zu halten.

Nachdem er diesen letzten Befehl gegeben hatte, wollte er selbst schnell hinuntersteigen und zu der Stelle hinüberlaufen, wo Julius unter den Toten lag, aber jemand musste die Stellung halten. »Geh zu deinem Vater, Junge.«

Gaius nickte kurz und stieg hinunter, wobei er sich an der Mauer abstützte. Der Schmerz war qualvoll. Er spürte, dass der Schnitt von der Operation aufgerissen war, und als er danach tastete, glänzten seine Finger rot. Als er sich die Steinstufen zu der Verteidigungsstellung wieder hinaufschleppte, zerrten seine Wunden an seinem Willen, doch er hielt durch.

»Bist du tot, Vater?«, flüsterte er und blickte auf den Leichnam hinab. Er konnte ihm keine Antwort mehr geben.

»Bleibt auf euren Posten, Leute. Fürs Erste ist es vorbei«, schallte Tubruks Stimme über den Hof. Alexandria hörte es und ließ ihr Messer auf die Pflastersteine fallen. Ein anderes Sklavenmädchen aus der Küche packte sie an den Handgelenken und sagte etwas zu ihr. Sie konnte die Worte bei dem Geschrei der Verwundeten, das jetzt plötzlich in das eindrang, was sie für Stille gehalten hatte, nicht verstehen.

Ich war Ewigkeiten in der Stille und Dunkelheit, dachte sie. Ich habe die Hölle gesehen.

Wer war sie doch gleich? Die Grenzen waren irgendwann im Laufe des Abends verwischt worden, als sie Sklaven tötete, die ebenso sehr frei sein wollten wie sie. Die Last all dessen ließ sie zu Boden sinken, und sie begann zu schluchzen.

Tubruk hielt es nicht länger aus. Er humpelte von seinem Posten auf der Mauer hinunter und dann wieder hinauf zu der Stelle, wo Julius lag. Er und Gaius betrachteten den Leichnam ohne Worte.

Gaius versuchte zu begreifen, dass sein Vater tot war. Doch er konnte es nicht. Vor ihm auf dem Boden lag ein zerstörtes Ding, zerrissen und voller Wunden, in Lachen einer sich ausbreitenden Flüssigkeit, die im Fackellicht mehr wie Öl aussah als wie Blut. Von seinem Vater war nichts geblieben.

Plötzlich wirbelte er herum und seine Hand fuhr hoch, um etwas abzuwehren.

»Da war jemand neben mir. Ich konnte spüren, wie dort jemand stand und mit mir hinabgeblickt hat«, stotterte er.

»Das war bestimmt er. Diese Nacht ist wie für Geister geschaffen.«

Aber das Gefühl war verschwunden, und Gaius zitterte. Er presste die Lippen zusammen, um sich gegen den Kummer zu wappnen, der ihn überkommen würde.

»Lass mich allein, Tubruk. Und vielen Dank.«

Tubruk nickte. Seine Augen waren dunkle Schatten, als er die Stufen in den Hof hinunterhinkte. Müde stieg er wieder zu seinem alten Posten auf der Mauer empor, blickte über die Leichen derer, die er getötet hatte und versuchte, sich an die Einzelheiten jedes Todes zu erinnern. Er erkannte nur wenige und gab schon bald auf, setzte sich hin und lehnte sich an einen Pfosten. Das Schwert zwischen den Beinen haltend, betrachtete er das ersterbende Flackern der Feuer in den Feldern und wartete auf die Morgendämmerung.

Cabera legte seine Handflächen über Renius’ Herz.

»Seine Zeit ist gekommen, glaube ich. Die Wände in ihm sind dünn und alt. Durch manche dringt Blut an Stellen, wo keines sein sollte.«

»Du hast Gaius geheilt. Du kannst auch ihn heilen.«

»Er ist ein alter Mann, Junge. Er war schon schwach, und ich ...« Cabera verstummte, als er eine heiße Klinge an seinem Rücken spürte. Langsam und vorsichtig drehte er den Kopf und blickte Marcus an. In dessen grimmigen Gesichtsausdruck lag nichts Beruhigendes.

»Er lebt. Mach deine Arbeit, sonst bringe ich heute einfach noch jemanden um.«

Bei diesen Worten spürte Cabera, wie sich etwas verschob und andere Zukunftsmöglichkeiten ins Spiel kamen, wie Spielsteine, die mit einem leisen Klicken ihre Stellung einnehmen. Seine Augen wurden groß, doch er sagte nichts, während er seine Energie für die Heilung sammelte. Was für ein merkwürdiger junger Mann, der die Macht besaß, die Zukunft zu seinen Gunsten zu biegen! Offensichtlich war er an den richtigen Ort der Geschichte gekommen. Dies war wirklich eine Zeit der Bewegung und des Wandels, ohne die übliche Ordnung, ohne gesichertes Fortschreiten.

Er zog eine eiserne Nadel aus dem Saum seines Gewandes und fädelte schnell und sicher einen Faden ein. Sorgfältig nähte er die blutigen Ränder des aufgeschlitzten Fleisches zusammen, während er versuchte, sich daran zu erinnern, wie es war, wenn man jung war und alles möglich schien. Unter Marcus’ Augen presste Cabera die braunen Hände gegen Renius’ Brust und massierte das Herz. Er spürte es schneller schlagen und unterdrückte einen Aufschrei, als das Leben in den alten Körper zurückströmte. Lange verharrte er in dieser Stellung, bis der wie eingemeißelt wirkende Ausdruck von Schmerz aus Renius’ Gesicht wich und er nur noch zu schlafen schien. Als sich Cabera, schwankend vor Erschöpfung, wieder erhob, nickte er vor sich hin, als wäre gerade etwas bestätigt worden.

»Die Götter treiben ein seltsames Spiel, Marcus. Sie weihen uns nie in ihre Pläne ein. Du hattest Recht. Er wird vor seinem Ende noch ein paar Morgenröten und Sonnenuntergänge erleben.«

10

Als die Sonne über den Horizont stieg, lagen die Felder verlassen da. Diejenigen, die in das Weinlager eingebrochen waren, lagen zweifellos noch im Korn und schliefen ihren Rausch aus. Gaius blickte über die Mauer und sah trägen Rauch über der geschwärzten Erde aufsteigen. Versengte Bäume standen kahl und nackt da, und das Wintergetreide schwelte immer noch in den Ruinen der Futterscheunen.

Es war eine seltsam friedliche Szenerie, in der sogar die Morgenvögel schwiegen. Die Gewalt und die Aufregung der vergangenen Nacht schienen in weite Ferne zu rücken, wenn man über die Felder blicken konnte. Gaius rieb sich kurz über das Gesicht und stieg dann die Stufen in den Hof hinab.

Alle weißen Mauern und Oberflächen waren mit braunen Flecken besudelt. In den Ecken gerannen Blutpfützen, und obszöne Flecken waren überall dort zu sehen, wo man die Leichen schon entfernt und zum Tor hinausgeschleift hatte, um sie zu Gruben zu bringen, sobald Karren zur Verfügung standen. Die Verteidiger hatte man auf sauberen Tüchern in kühlen Räumen aufgebahrt und ihre Gliedmaßen würdevoll zurechtgelegt. Die anderen wurden einfach auf einen stetig wachsenden Haufen geworfen, aus dem Arme und Beine in allen Richtungen hervorragten. Gaius sah bei der Arbeit zu, und im Hintergrund hörte er die Schreie der Verwundeten, die genäht oder für Amputationen vorbereitet wurden.

Er kochte vor Wut und hatte nichts, woran er sie auslassen konnte. Man hatte ihn zu seiner Sicherheit eingesperrt, während alle, die er liebte, ihr Leben riskierten und sein Vater seines bei der Verteidigung seiner Familie und seines Besitzes hingegeben hatte. Es stimmte, er war von der Operation noch geschwächt gewesen, der Schorf war kaum abgeheilt ... aber nicht einmal die Möglichkeit gehabt zu haben, seinem Vater zur Seite zu stehen! Dafür gab es keine Worte, und als Cabera ihn aufgesucht hatte, um sein Beileid auszudrücken, hatte er ihn einfach ignoriert. Erschöpft saß er da, ließ Staub durch die Finger rinnen und erinnerte sich an die Worte, die Tubruk vor Jahren gesprochen hatte, und die er erst jetzt richtig begriff. Sein Land.

Ein Sklave kam auf ihn zu. Gaius wusste nicht, wie er hieß, doch seine Wunden wiesen ihn als einen der Verteidiger aus.

»Die Toten liegen alle vor dem Tor, Herr. Sollen wir Karren für sie holen?«

Es war das erste Mal, dass er von jemandem anders als mit seinem Namen angesprochen wurde. Gaius verschanzte sich hinter steinernen Gesichtszügen, um sich die Überraschung nicht anmerken zu lassen. Seine Seele war voller Schmerz, und seine Stimme klang, als käme sie aus einer tiefen Grube.