Alle vier lächelten und spürten die Kraft, die trotz der Unterschiede in Alter und Herkunft aus einer solchen Freundschaft entstehen kann.
»Ich würde gern Alexandria mitnehmen«, fügte Gaius plötzlich hinzu.
»Ach ja? Die Hübsche?«, erwiderte Marcus und sein Gesicht begann zu strahlen.
Gaius spürte, dass seine Wangen rot wurden, und hoffte, dass es nicht allzu offensichtlich war. Den Gesichtern der anderen nach zu urteilen, hoffte er vergebens.
»Du wirst mir dieses Mädchen vorstellen müssen«, sagte Cabera.
»Renius hat sie mal ausgepeitscht, weil sie uns von unseren Übungen abgelenkt hat«, fuhr Marcus fort.
Cabera stieß ein Geräusch der Missbilligung aus. »Er kann sehr uncharmant sein. Schöne Frauen sind eine der Freuden des Lebens .«
»Hört mal, ich ...«, hob Gaius an.
»Ja, ich weiß schon, sie soll nur die Pferde halten oder so etwas. Ihr Römer habt eine Art mit den Frauen, es ist ein Wunder, dass euer Volk noch nicht ausgestorben ist.«
Kurz darauf verließ Gaius das Zimmer, während die anderen noch lachten.
Gaius klopfte an die Tür des Zimmers, in dem Renius lag. Im Augenblick war er allein, obwohl Lucius in der Nähe war und gerade erst nach den Wunden und Nähten gesehen hatte. Im Zimmer war es dunkel, und Gaius dachte zunächst, der alte Mann schliefe.
Schon wandte er sich wieder um, weil er die Ruhe des Genesenden nicht stören wollte, doch eine flüsternde Stimme hielt ihn zurück.
»Gaius? Ich dachte mir, dass du es bist.«
»Renius. Ich wollte dir danken.« Gaius trat ans Bett und zog einen Stuhl neben die darin liegende Gestalt. Die Augen waren geöffnet und klar, und Gaius blinzelte, als er das Gesicht betrachtete.
Es musste an dem schwachen Licht liegen, aber Renius sah jünger aus. Es konnte nicht sein, doch es war nicht zu leugnen, dass einige der tief eingegrabenen Runzeln schwächer geworden waren, und an den Schläfen waren ein paar schwarze Haare zu sehen, die in dem Licht fast unsichtbar waren, sich aber deutlich von den weißen Stoppeln abhoben.
»Du siehst ... gut aus«, brachte Gaius hervor.
Renius stieß ein kurzes, hartes Lachen aus. »Cabera hat mich geheilt, und das hat Wunder gewirkt. Er war überraschter als alle anderen und hat gesagt, ich müsse eine Bestimmung oder so etwas haben, um so von ihm beeinflusst werden zu können. Um die Wahrheit zu sagen, ich fühle mich stark, obwohl mein linker Arm immer noch nutzlos ist. Lucius wollte ihn abnehmen, damit er nicht so rumbaumelt. Ich . vielleicht gebe ich meine Zustimmung, wenn der Rest von mir wieder gesund ist.«
Gaius hörte schweigend zu und kämpfte gegen schmerzhafte Erinnerungen an.
»So viel ist in so kurzer Zeit passiert«, sagte er. »Ich bin froh, dass du noch hier bist.«
»Ich konnte deinen Vater nicht retten. Ich war zu weit weg und selbst am Ende. Cabera sagt, er sei auf der Stelle gestorben, durch ein Messer in seinem Herzen. Er hat höchstwahrscheinlich selbst gar nichts davon gemerkt.«
»Es ist schon gut. Du brauchst mir das nicht zu erzählen. Ich weiß, dass er auf der Mauer sein wollte. Ich wäre auch gerne dort gewesen, aber man hat mich in meinem Zimmer gelassen, und .«
»Du bist aber trotzdem rausgekommen, oder? Ich bin froh darüber, so wie es gelaufen ist. Tubruk sagt, du hättest ihn ganz am Schluss gerettet, wie eine ... Reservestreitmacht.« Der alte Mann lächelte und hustete eine Weile. Gaius wartete geduldig, bis der Anfall vorüber war.
»Du wurdest auf meinen Befehl hin aus dieser Sache rausgehalten. Du warst zu schwach für einen stundenlangen Kampf, und dein Vater war auch meiner Meinung. Er wollte dich in Sicherheit wissen. Trotzdem bin ich froh, dass du am Ende rausgekommen bist.«
»Ich auch. Ich habe mit Renius gekämpft!«, sagte Gaius, und Tränen standen ihm in den Augen, obwohl er lächelte.
»Ich kämpfe immer mit Renius«, brummte der alte Mann. »So toll ist das nun auch wieder nicht.«
11
Das Licht der Morgendämmerung war kalt und grau, der Himmel stand klar über den Ländereien des Gutes. Der tiefe Klang der Hörner erschallte voller Trauer und übertönte den Gesang der Vögel, der an einem Tag, der das Ende eines Lebens anzeigte, so unpassend erschien. Im Haus war aller Schmuck entfernt worden, bis auf einen Zypressenzweig über dem Haupttor, der die Priester des Jupiters vor dem Betreten warnen sollte, solange der Leichnam noch drinnen lag. Dreimal klagten die Hörner, und schließlich riefen die Menschen: »Conclamatum est« - die Trauer ist erklungen. Innerhalb der Tore sammelten sich die Trauergäste aus der Stadt, die zum Zeichen ihres Kummers unrasiert, ungewaschen und in grobe Wolltogen gekleidet, erschienen waren.
Gaius stand mit Tubruk und Marcus am Tor und sah zu, wie sein Vater mit den Füßen voran hinausgetragen und vorsichtig auf den offenen Wagen gelegt wurde, der ihn zum Scheiterhaufen bringen sollte. Die Menge wartete, die Köpfe im Gebet oder in Gedanken gesenkt, während Gaius ernst zu dem Leichnam schritt.
Er schaute in das Antlitz, das er sein ganzes Leben lang gekannt und geliebt hatte, und versuchte, sich daran zu erinnern, wie es war, als sich die Augen noch hatten öffnen können und die starke Hand ihn an der Schulter berührt oder ihm die Haare zerzaust hatte. Diese Hände lagen jetzt reglos neben dem Körper, die Haut war sauber und glänzte von Öl. Die Wunden aus dem Kampf um die Mauern waren unter den Falten der Toga verborgen, doch es war kein Hauch von Leben mehr in ihm. Kein Atem hob und senkte seine Brust; die Haut sah irgendwie falsch aus, viel zu blass. Er fragte sich, ob sie sich kalt anfühlte, konnte die Hand jedoch nicht ausstrecken. »Lebwohl, mein Vater«, flüsterte er und verlor fast die Fassung, als der Kummer ihn wieder zu übermannen drohte. Doch da er wusste, dass die Menge ihn beobachtete, riss er sich zusammen. Dem alten Mann keine Schande machen. Einige von ihnen waren alte, ihm unbekannte Freunde, andere waren bestimmt Aasgeier, die gekommen waren, um sich ein Bild von seiner Schwäche zu machen. Bei diesem Gedanken verspürte er einen zornigen Stich, der ihm half, seine Trauer zu ersticken. Er ergriff die Hand seines Vaters und neigte den Kopf. Die Haut fühlte sich an wie Stoff, lag rau und kühl in der seinen.
»Conclamatum est«, sagte er laut, und die Menge wiederholte die Worte murmelnd.
Er trat zurück und beobachtete schweigend, wie seine Mutter sich dem Mann näherte, der ihr Gatte gewesen war. Er konnte sehen, wie sie unter dem schmutzigen Wollumhang am ganzen Leibe bebte. Ihr Haar war nicht von den Sklaven hergerichtet worden und stand wirr und unordentlich vom Kopf ab. Ihre Augen waren blutunterlaufen und ihre Hand zitterte, als sie seinen Vater ein letztes Mal berührte. Gaius erstarrte und hoffte, sie würde das Ritual ohne Peinlichkeit zu Ende bringen. Weil er so nahe stand, konnte er als Einziger die Worte hören, die sie sprach, als sie sich dicht zum Gesicht seines Vaters hinunterbeugte.
»Warum hast du mich alleine gelassen, mein Liebster? Wer wird mich jetzt zum Lachen bringen, wenn ich traurig bin, wer wird mich in der Dunkelheit umarmen? Es ist nicht das, wovon wir geträumt haben. Du hast mir versprochen, immer bei mir zu sein, wenn ich müde und wütend auf die Welt bin.«
Sie begann bebend zu schluchzen, und Tubruk gab der Pflegerin, die er für sie angestellt hatte, ein Zeichen. Genau wie die Ärzte hatte auch sie keine Besserung ihrer körperlichen Verfassung bewirkt, doch Aurelia schien bei der römischen Matrone Trost zu finden, vielleicht auch nur der weiblichen Gesellschaft wegen. Für Tubruk war das Grund genug, sie weiterzubeschäftigen. Er nickte, als sie Aurelia sanft am Arm nahm und in das verdunkelte Haus führte.