»Dann verlasse ich euch hier«, sagte Renius. »Ich muss zu meinem eigenen Haus und nachsehen, ob es bei den Unruhen beschädigt worden ist.«
»Denk an die Ausgangssperre. Schließ die Tür hinter dir, wenn die Sonne untergeht, mein Freund. Sie bringen immer noch jeden um, der sich nach Einbruch der Dunkelheit auf den Straßen herumtreibt.«
Renius nickte. »Ich werde aufpassen.«
Er wendete sein Pferd, und Gaius legte ihm eine Hand auf den gesunden rechten Arm.
»Du willst uns doch nicht verlassen? Ich dachte .«
»Ich muss nach meinem Haus sehen. Außerdem muss ich eine Weile allein nachdenken. Ich bin noch nicht so weit, mich mit den anderen alten Männern zur Ruhe zu setzen; jetzt nicht mehr. Morgen bei Tagesanbruch komme ich zurück, um euch zu treffen und . auf jeden Fall bis morgen Früh bei Tagesanbruch.« Er lächelte und ritt davon.
Als er den Hügel hinuntertrabte, fiel Gaius wieder auf, wie dunkel sein Haar war, welche Energie seinen Körper erfüllte. Er drehte sich um und sah Cabera an, der die Achseln zuckte. »Torwächter!«, rief Tubruk. »Lass uns ein.«
Nach der Hitze in den Straßen Roms boten die kühlen Flure aus Stein, die nach hinten zum eigentlichen Anwesen führten, eine willkommene Abkühlung. Die Pferde und das Gepäck waren schnell fortgebracht worden, und die fünf Besucher wurden von einem älteren Sklaven in das erste Gebäude geführt.
Vor einer Tür aus goldfarbenem Holz blieben sie stehen. Ein Sklave öffnete sie, ehe er sie mit einer Handbewegung zum Eintreten aufforderte.
»Hier findest du alles, was du brauchst, Meister Gaius. Konsul Marius lässt dir Zeit, dich nach deiner Reise zu waschen und umzuziehen. Er erwartet dich nicht vor Sonnenuntergang, in drei Stunden, wenn ihr zu Abend essen werdet. Soll ich deinen Gefährten den Weg zu den Gesindekammern zeigen?«
»Nein. Sie bleiben bei mir.«
»Wie du wünschst, Herr. Soll ich das Mädchen zu den Sklavenunterkünften bringen?«
Gaius nickte langsam und dachte dabei nach.
»Behandle sie gut. Sie ist eine Freundin meines Hauses.«
»Aber natürlich, Herr«, erwiderte der Mann und gab Alexandria ein Zeichen.
Sie warf Gaius einen Blick zu, und der Ausdruck in ihren dunklen Augen war nicht zu deuten. Ohne ein weiteres Wort ging der stille kleine Mann davon. Seine Sandalen machten auf dem Steinfußboden keine Geräusche. Die Zurückgebliebenen wechselten stumme Blicke und jeder von ihnen schöpfte Trost aus der Anwesenheit der anderen.
»Ich glaube, die mag mich«, sagte Marcus in Gedanken versunken.
Gaius sah ihn überrascht an, und Marcus zuckte die Achseln. »Hat auch tolle Beine.« Lachend betrat er ihre Unterkunft und ließ den verblüfften Gaius stehen.
Cabera stieß einen leisen Pfiff aus, als er den Raum betrat. Die Decke lag vierzig Fuß über dem Mosaikboden und wurde von einer Reihe von Messingbalken getragen, die kreuz und quer über dem Raum verliefen. Die Wände waren in den dunklen Rot- und Orangetönen gestrichen, die sie so häufig gesehen hatten, seit sie in die Stadt gekommen waren, aber der Fußboden fesselte ihre Aufmerksamkeit, noch ehe sie zum Deckengewölbe hochblickten. Er bestand aus einer Reihe von Kreisen, die einen Marmorbrunnen in der Mitte des riesigen Raums umfassten. In jedem Kreis waren gehende oder laufende Figuren abgebildet, in dem Versuch erstarrt, den Vordermann zu erreichen. In den äußersten Kreisen waren Gestalten vom Markt abgebildet, die ihre Waren trugen, und wenn das Auge den Kreisen weiter nach innen folgte, konnte man unterschiedliche Teile der Gesellschaft entdecken: Sklaven, Beamte, Mitglieder des Senats, Legionäre, Ärzte. In einem Ring befanden sich nur Könige, bis auf ihre Kronen ausnahmslos nackt. Der innerste Ring, der einen Gürtel um den eigentlichen Brunnen bildete, enthielt Götterbilder; sie und nur sie standen still und richteten die Blicke auf die eiligen Horden, die eifrig im Kreis rannten, jedoch nie von einem Ring in den nächsten springen konnten.
Gaius ging quer über die Kreise zum Brunnen, nahm eine Tasse, die auf dem marmornen Rand stand, und trank von dem Wasser. Eigentlich war er nur müde, und so sehr ihn die Schönheit des Raums auch beeindruckte, war es wichtiger für ihn, dass bei all dem Reichtum weder Liegen noch etwas zu Essen zu sehen waren. Die anderen folgten ihm durch einen Bogen in den nächsten Raum.
»Das gefällt mir schon besser«, meinte Marcus fröhlich. Auf einem polierten Tisch war Essen angerichtet worden: Fleisch, Brot, Eier, Gemüse und Fisch, dazu Obst in goldenen Schalen. Weiche Liegen standen einladend herum, aber noch eine Tür führte weiter, und Gaius konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick dahinter zu werfen.
In der Mitte des dritten Raums befand sich ein tiefes Becken. Das Wasser dampfte verlockend, und entlang der Wände standen Holzbänke, auf denen sich weiße, weiche Tücher türmten. An Ständern neben dem Wasser hingen Gewänder, und vier Sklaven standen neben niedrigen Tischen zur Massage bereit, falls das gewünscht wurde.
»Ausgezeichnet«, sagte Tubruk. »Dein Onkel ist ein wundervoller Gastgeber. Ich nehme vor dem Essen erst einmal ein Bad.« Noch während er sprach, fing er an, seine Kleider abzulegen. Einer der Sklaven kam auf ihn zu und hielt ihm einen Arm für die Kleidungsstücke hin, die er auszog. Als Tubruk fertig war, verschwand der Sklave mit ihnen durch die einzige Tür. Kurz darauf kam ein anderer herein und nahm seinen Platz bei den Tischen ein.
Tubruk ließ sich vollständig in das Wasser gleiten und hielt den Atem an, als er unter die Oberfläche tauchte und sich jeder Muskel in der Wärme entspannte. Als er wieder auftauchte, waren Gaius und Marcus aus ihren Sachen gesprungen, hatten sie einem anderen Sklaven zugeworfen und waren nackt und lachend am anderen Ende des Beckens ins Wasser getaucht. Auch vor Cabera stand ein Sklave und hielt ihm einen Arm für seine Sachen hin, doch der alte Mann betrachtete ihn skeptisch. Dann seufzte er und begann, das Gewand von seinem mageren Körper zu streifen.
»Immer neue Erfahrungen«, sagte er, und zuckte zusammen, als er sich vorsichtig ins Wasser ließ.
»Die Schultern, Bursche«, rief Tubruk einem der Diener zu.
Der Mann nickte, kniete sich neben das Becken und drückte seine Daumen in Tubruks Muskeln, wo er mit geübten Bewegungen die Verspannungen löste, die dort seit dem Sklavenangriff auf das Gut gesessen hatten.
»Herrlich«, seufzte Tubruk und döste vor sich hin, von der Wärme wohlig eingelullt.
Marcus war als Erster wieder draußen und legte sich sofort auf den Massagetisch, wo er auf dem glatten Tuch in der kühleren Luft dampfte. Der in der Nähe stehende Sklave nahm einige Instrumente von seinem Gürtel, die fast wie eine Reihe von langen Messingschlüsseln aussahen. Er goss reichlich warmes Olivenöl auf Marcus’ nasse Haut und fing an, sie abzuschaben, fast so, als schuppe er einen Fisch. Damit löste er den Schmutz der Reise und wischte eine erstaunliche Menge an schwarzem Dreck auf ein Tuch an seiner Hüfte. Dann rieb er die Haut trocken und goss etwas Öl für die Massage nach, die er mit langen, gleitenden Bewegungen entlang der Wirbelsäule begann.
Marcus stöhnte zufrieden. »Gaius, ich glaube, es wird mir hier gefallen«, murmelte er durch träge Lippen.
Gaius lag im Wasser und ließ seine Gedanken schweifen. Vielleicht wollte Marius keine zwei großen Jungen hier haben. Er hatte keine eigenen Kinder, und die Götter wussten, dass es eine schwierige Zeit für die Republik war. All die zerbrechlichen Freiheiten, die sein Vater so geliebt hatte, waren in Gefahr, wenn an allen Straßenecken Soldaten standen. Als Konsul war Marius einer der beiden mächtigsten Männer der Stadt, aber jetzt, wo Sullas Legion in den Straßen stand, wurde seine Macht zu einer bloßen Fiktion, sein Leben war von Sullas Launen abhängig. Doch wie sollte Gaius die Interessen seines Vaters ohne die Hilfe seines Onkels schützen? Er musste in den Senat eingeführt werden, mit einer anderen Person als Bürgen. Er konnte nicht einfach den alten Platz seines Vaters einnehmen; man würde ihn hinauswerfen, und damit wäre alles vorbei. Mit Sicherheit waren die Blutsbande zu seiner Mutter ein wenig Hilfe wert, aber Gaius konnte sich nicht völlig sicher sein. Marius war der strahlende Legat, der seine Schwester hin und wieder besuchen kam, als Gaius noch klein war. Aber als sich ihre Krankheit verschlimmerte, waren die Besuche immer seltener geworden; seit dem letzten Besuch waren Jahre vergangen.