Marcus nickte. »Das könnte ja gerade das Problem sein. Vielleicht wollte sie sich ja nicht von mir retten lassen. Vielleicht wollte sie, dass du es tust.«
»Oh.« Gaius’ Miene hellte sich auf. »Meinst du?«
Marius kam zu Gaius und seinen Freunden herübergewankt. Er lachte immer noch, und seine Haare klebten ihm von dem Wein, mit dem man ihn übergossen hatte, an der Stirn. Seine Augen strahlten vor Freude. Er packte Gaius an beiden Schultern.
»Nun, mein Junge? Wie hat dir Rom beim ersten Mal geschmeckt?«
Gaius grinste zurück. Man konnte gar nicht anders. Die Stimmungen des Manns waren ansteckend. Wenn er die Stirn runzelte, dann schwebten dunkle Wolken von Furcht und Angst über ihm und berührten alle, denen er begegnete. Lächelte er, so wollte man mitlächeln. Man wollte einer von seinen Männern sein. Gaius spürte die Macht dieses Mannes, und zum ersten Mal fragte er sich, ob er wohl selbst jemals die gleiche Art von Loyalität verdienen würde.
»Es war erschreckend, aber zugleich auch aufregend«, erwiderte er, und seine Lippen konnten nicht aufhören zu lächeln.
»Gut! Manche spüren es nämlich nicht, weißt du. Die rechnen nur Nachschubtabellen zusammen und kalkulieren, wie viele Männer man braucht, um eine Bergschlucht zu halten. Sie spüren die Erregung einfach nicht.«
Er blickte Marcus, Tubruk und Cabera an.
»Betrinkt euch, wenn ihr wollt, nehmt euch eine Frau, wenn ihr jetzt noch eine findet. Heute wird nicht gearbeitet, und nach dem Ärger, den wir heute Morgen hatten, kann hier niemand weg, ehe es dunkel ist. Morgen fangen wir gleich mit der Planung an und überlegen, wie wir fünftausend Mann fünfzig Meilen weit heranführen und durch Rom marschieren lassen können. Versteht ihr etwas von Nachschub?«
Sowohl Marcus als auch Gaius schüttelten den Kopf.
»Dann werdet ihr es lernen. Die beste Armee der Welt ist ohne Verpflegung und Wasser verloren, Jungs. Das muss man wissen. Alles andere ergibt sich dann schon. Mein Haus ist euer Haus, denkt daran. Ich persönlich setze mich jetzt in den Brunnen und betrinke mich.« Er nahm drei ungeöffnete Krüge Wein von den zurückgebliebenen Sklaven und spazierte davon - ein Mann, der wusste, was er wollte.
Tubruk sah ihm mit einem sarkastischen Lächeln nach, als er den Hof verließ.
»Man erzählt sich, Marius sei in Nordafrika einmal am Vorabend einer Schlacht gegen einen wilden Stamm mit einem Krug Wein in jeder Hand alleine in das feindliche Lager gegangen. Ihr müsst bedenken, das war das Lager von siebentausend der grausamsten Krieger, die der Legion je begegnet sind. Er hat die ganze Nacht lang mit dem Führer des Stamms gezecht, obwohl beide kein einziges Wort der Sprache des anderen verstanden. Sie haben auf das Leben und die Zukunft und die Tapferkeit getrunken. Dann, am nächsten Morgen, kam er zu seinen eigenen Linien zurückgestolpert.«
»Und was geschah dann?«, sagte Marcus.
»Sie haben den Stamm bis auf den letzten Mann abgeschlachtet. Was dachtest du denn?«, lachte Tubruk.
»Warum hat ihn der Anführer nicht getötet?«, fuhr Marcus fort.
»Vermutlich mochte er ihn. Das tun die meisten Menschen.«
Metella kam in den Hof hinaus und streckte Marcus und Gaius lächelnd die Hände entgegen.
»Ich bin froh, dass ihr wohlbehalten wieder zu uns zurückgekehrt seid. Ihr sollt dieses Haus als einen Ort des Friedens und der Zuflucht für euch betrachten.«
Dann sah sie Marcus in die Augen, die ihren Blick ruhig erwiderten. »Bist du wirklich ohne Mutter aufgewachsen?«
Marcus errötete leicht und fragte sich, was ihr Marius alles erzählt haben mochte. Er nickte, und Metella stieß einen leisen Seufzer aus.
»Du armer Junge. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich schon früher zu mir geholt.«
Marcus überlegte, ob sie wohl wusste, was die Legionäre gerade mit den Sklavinnen machten.
Sie schien nicht in die raue Welt von Marius und seiner Legion zu passen. Er fragte sich, wie seine eigene Mutter wohl sein mochte, und zum ersten Mal dachte er daran, nach ihr zu suchen. Marius wusste es wahrscheinlich, doch genau danach wollte er ihn nicht fragen. Vielleicht sagte Tubruk es ihm, ehe er auf das Gut zurückkehrte.
Metella ließ seine Hand los und strich ihm über die Wange.
»Du hast viel Schweres durchmachen müssen, aber das ist jetzt vorbei.«
Langsam berührte er ihre Hand mit der seinen, und es war, als hätten sie eine private Übereinkunft getroffen. Metellas Augen glänzten vor Tränen. Sie drehte sich um und ging durch den Säulengang davon.
Marcus sah Gaius an und zuckte die Achseln.
»Da hast du eine Freundin gefunden«, meinte Tubruk, während er ihr nachblickte. »Sie mag dich.«
»Ich bin ein bisschen zu alt, um noch eine Mutter zu brauchen«, murmelte Marcus.
»Das kann sein, aber sie ist nicht zu alt, um einen Sohn zu brauchen.«
Gegen Mittag entstand plötzlich laute Aufregung am Tor des Hauses. Einige Legionäre kamen mit gezogenen Schwertern heraus, für den Fall, dass es sich um Vergeltungsmaßnahmen für die morgendliche Aktion handeln sollte. Gaius und Marcus liefen schnell mit den anderen auf den Hof hinaus und blieben dort mit offenen Mündern stehen.
Renius hing, die Arme durch das Gitter gestreckt, am Tor und sang ein trunkenes Klagelied. Er hielt sich zwar an der Querstange des Tores fest, aber seine Tunika war mit Wein und Erbrochenem besudelt. Ein Wachtposten trat auf die Stangen zu und sprach mit ihm, als Gaius und Marcus, gefolgt von Tubruk, den Hof erreichten.
Plötzlich ergriff Renius die Haare des Mannes und riss seinen Kopf mit einem Krachen gegen das Metall. Der Soldat fiel bewusstlos um, und die anderen begannen wütend zu brüllen.
»Lasst ihn rein und bringt ihn um!«, schrie ein Mann, aber ein anderer meinte, es könne eine Falle von Sulla sein, um sie dazu zu bringen, das Tor zu öffnen. Das brachte sie einen Augenblick zum Schweigen, und als Nächste traten Gaius und Marcus ans Tor.
»Können wir dir helfen?«, erkundigte sich Marcus und hob freundlich fragend die Augenbrauen. Renius nuschelte wütend: »Ich jage dir gleich mein Schwert in die Brust, Hurenbalg.«
Marcus fing an zu lachen.
»Macht das Tor auf«, rief Gaius der anderen Wache zu. »Das ist Renius. Er gehört zu mir.«
Der Wachtposten ignorierte ihn, als hätte er gar nichts gesagt, und machte damit deutlich, dass Gaius in diesem Haus keine Befehle geben konnte. Als er auf das Tor zuging, trat ein Legionär einen Schritt vor, stellte sich ihm in den Weg und schüttelte langsam den Kopf.
Marcus schlenderte hinüber zum Tor und wechselte mit dem dort stehenden Posten ein paar Worte.
Der Mann war gerade mitten in der Antwort, als ihm Marcus einen harten Kopfstoß versetzte und ihn in den Staub schickte. Er ignorierte den Wächter, der zappelnd versuchte, wieder aufzustehen, rannte zu den großen Riegeln, mit denen die Torflügel gesichert waren, und öffnete sie.
Renius kippte in den Hof und blieb liegen; sein guter Arm zuckte.
Marcus lachte in sich hinein und begann das Tor wieder zu schließen, als er hinter sich das leise metallische Geräusch eines aus der Scheide gleitenden Messers vernahm. Er wirbelte herum und konnte gerade noch rechtzeitig einen Stoß der wütenden Wache mit dem Unterarm abfangen. Mit seiner Linken verpasste er dem Mann eine Rückhand auf den Mund und schickte ihn erneut zu Boden. Marcus schloss das Tor.
Zwei weitere Männer rannten herbei, um ihn zu ergreifen, aber eine Stimme rief »Halt!«, und alle erstarrten einen Augenblick lang. Marius trat in den Hof hinaus. Man sah ihm nicht das Geringste von dem vielen Wein an, den er die letzten zwei Stunden stetig getrunken hatte. Während er näher kam, behielten die beiden Männer Marcus im Auge, der ihren Blicken ruhig standhielt.
»Bei allen Göttern! Was geht hier in meinem Haus vor?« Marius legte einem der Männer, die Marcus gegenüberstanden, eine schwere Hand auf die Schulter.