»Renius ist hier«, sagte Gaius. »Er ist zusammen mit uns vom Gut gekommen.«
Marius blickte auf die ausgestreckt daliegende Gestalt, die friedlich auf den Pflastersteinen schlief.
»Als er noch Gladiator war, hat er sich nie betrunken. Ich verstehe warum, wenn es bei ihm solche Wirkung hat. Was ist denn mit dir passiert?« Die letzte Frage war an den Wächter gerichtet, der seinen Posten wieder eingenommen hatte. Sein Mund und seine Nase bluteten und seine Augen funkelten vor Wut, doch er hütete sich davor, sich bei Marius zu beschweren.
»Ich habe das Tor abgekriegt, als ich es aufgemacht habe«, sagte er langsam.
»Verdammt unvorsichtig von dir, Fulvio. Du hättest dir von meinem Neffen helfen lassen sollen.«
Die Botschaft war deutlich. Der Mann nickte und wischte ein wenig Blut mit der Hand weg.
»Ich bin froh, dass wir das geklärt hätten. Und jetzt kommt ihr beiden mit in mein Arbeitszimmer.« Er zeigte mit dem Finger auf Gaius und Marcus. »Wir haben ein paar Dinge zu bereden.«
Er wartete, bis Gaius und Marcus vorausgegangen waren und folgte ihnen. Über die Schulter rief er: »Bringt den alten Mann irgendwohin, wo er seinen Rausch ausschlafen kann, und lasst das verdammte Tor zu.«
Marcus blickte die in der Nähe stehenden Legionäre an und sah, dass sie alle grinsten, doch er konnte nicht sagen, ob der Grund dafür verhaltene Bosheit oder echte Freude war.
Marius öffnete die Tür zu seinem Arbeitszimmer und ließ die beiden in den Raum eintreten, in dem an allen Wänden Landkarten von Afrika, dem Imperium und Rom selbst hingen. Leise schloss er die Tür, drehte sich dann um und blickte sie an. Als er die kalten Augen des Onkels sah, verspürte Gaius eine plötzlich aufschießende Furcht.
»Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht?«, zischte er sie durch zusammengebissene Zähne Gaius machte den Mund auf und wollte sagen, dass er Renius hatte hereinlassen wollen, dann jedoch besann er sich eines Besseren.
»Es tut mir Leid. Ich hätte auf dich warten sollen.«
Marius ließ seine Faust schwer auf den Schreibtisch krachen.
»Dir ist doch wohl klar, dass wir jetzt alle höchstwahrscheinlich tot wären, wenn Sulla zwanzig ausgesuchte Männer draußen auf der Straße postiert gehabt hätte, um auf eine solche Gelegenheit zu warten?«
Gaius errötete vor Scham.
Marius wandte sich an Marcus. »Und du. Warum hast du Fulvio angegriffen?«
»Gaius hat den Befehl gegeben, das Tor zu öffnen. Er hat ihn nicht befolgt. Ich habe dafür gesorgt.«
Marcus gab nicht klein bei. Er begegnete dem Blick des älteren Mannes unerschrocken.
Der Legat hob verblüfft die Augenbrauen.
»Hast du denn erwartet, dass er, ein Veteran aus dreißig Schlachten, die Befehle eines bartlosen, vierzehnjährigen Knaben ausführt?«
»Ich ... ich habe nicht darüber nachgedacht.« Zum ersten Mal sah Marcus unsicher aus, und der Legat wandte sich wieder Gaius zu.
»Wenn ich mich bei dieser Geschichte hinter euch stelle, verliere ich einiges an Respekt bei den Männern. Sie wissen alle, dass du einen Fehler begangen hast und lauern darauf, was ich deswegen unternehme.«
Gaius verließ der Mut.
»Es gibt einen Ausweg, aber der wird euch beide teuer zu stehen kommen. Fulvio ist der Faustkampfmeister seiner Zenturie. Er hat heute viel an Gesicht verloren, als du ihn niedergeschlagen hast, Marcus. Ich nehme an, er wäre bereit, an einem Freundschaftskampf teilzunehmen, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Sonst könnte er dir gut und gerne mal ein Messer zwischen die Rippen jagen, wenn ich nicht da bin, um es zu verhindern.«
»Er wird mich umbringen«, sagte Marcus leise.
»Nicht bei einem Freundschaftskampf. Deines zarten Alters wegen werden wir auf Eisenhandschuhe verzichten und nur welche aus Ziegenleder nehmen, die die Hände schützen. Seid ihr im Faustkampf ausgebildet worden?«
Die Jungen murmelten zustimmend und dachten an Renius.
Marius wandte sich wieder an Gaius.
»Die Männer werden deinen Freund selbstverständlich lieben, wenn er Mut beweist, ganz egal, ob er gewinnt oder verliert, und ich kann nicht zulassen, dass er meinen Neffen in den Schatten stellt, verstehst du?«
Gaius nickte und konnte sich schon denken, was jetzt kommen würde.
»Ich lasse dich gegen einen der anderen kämpfen. Sie sind alle Meister in irgendetwas, deshalb habe ich sie ja als Eskorte zum Senat ausgewählt. Ihr werdet beide eine Tracht Prügel beziehen, aber wenn ihr euch gut verkauft, ist der Vorfall bald vergessen, und vielleicht gewinnt ihr sogar etwas Ansehen bei meinen Männern. Die meisten von ihnen sind Abschaum aus der Gosse; sie fürchten sich vor nichts und respektieren nur Stärke. Gewiss, ich könnte ihnen einfach befehlen, wieder auf ihre Posten zu gehen und nichts weiter zu unternehmen, damit ihr euch hinter meiner Befehlsgewalt verstecken könnt, aber das wäre nicht in Ordnung, versteht ihr?«
Er blickte in ihre düsteren Gesichter und lachte plötzlich auf.
»Ihr könnt genauso gut lächeln, Jungs. Es gibt keinen anderen Ausweg, also warum spuckt ihr dann dem alten Jupiter nicht ins Gesicht, wenn es ohnehin nicht anders geht?«
Die beiden schauten sich an und grinsten.
Marius lachte erneut.
»Ihr schafft das schon. In zwei Stunden. Ich sage meinen Männern Bescheid und gebe die Gegner bekannt. Dann hat Renius noch etwas Zeit zum Ausnüchtern. Ich denke, das wird er sich nicht entgehen lassen wollen. Bei allen Göttern, ich will es mir jedenfalls nicht entgehen lassen! Wegtreten!«
Betreten gingen Gaius und Marcus auf ihre Zimmer. Ihre anfängliche Ausgelassenheit war verschwunden und hatte bei dem Gedanken an das Bevorstehende einem Gefühl der Übelkeit Platz gemacht.
»He! Ist dir eigentlich klar, dass ich einen Meister der Zenturie zu Boden geschickt habe? Ich werde verdammt noch mal versuchen, diesen Kampf zu gewinnen. Wenn ich ihn einmal treffen kann, dann kann ich ihn auch niederschlagen. Ich brauche nur einen guten Treffer.«
»Aber dieses Mal ist er darauf eingestellt«, erwiderte Gaius verdrießlich. »Ich kriege es bestimmt mit diesem großen Affen zu tun, den Marius vorhin am Kopf durch den Hof gezogen hat. Diese Art von Humor würde genau zu ihm passen.«
»Große Männer sind langsam. Du hast einen schnellen Konterschlag, aber du musst außerhalb seiner Reichweite bleiben. Diese Soldaten sind alle schwer, und das bedeutet, dass sie härter zuschlagen können als wir. Beweg dich, tänzele um sie herum und mach sie müde.«
»Die bringen uns um«, erwiderte Gaius.
»Ja. Wahrscheinlich.«
Tubruk nahm die Neuigkeit gleichmütig auf, als sie ihm in ihren Gemächern davon erzählten.
»Ich habe mit etwas in der Art gerechnet. Marius liebt Wettkämpfe und veranstaltet ständig welche zwischen seinen eigenen Männern und denen anderer Legionen. Das ist einfach sein Stil -ein bisschen Anfeuern und eine Menge Blut, und schon ist alles vergeben und vergessen. Glücklicherweise habt ihr nicht mehr als ein oder zwei Becher Wein getrunken. Kommt jetzt, zwei Stunden sind nicht viel, um euch vorzubereiten. Ihr macht euch besser in einem der Übungsräume ein bisschen warm. Lasst euch von einem der Sklaven hinbringen. Ich stoße zu euch, sobald ich ein paar Handschuhe gefunden habe. Und noch etwas: Ihr dürft Marius nicht enttäuschen. Vor allem du nicht, Gaius. Du bist sein Verwandter, du musst einen guten Kampf liefern.«
»Ich verstehe«, sagte Gaius grimmig.
»Dann fangt an. Ich lasse Renius mit Eiswasser aufwecken, aus sicherer Entfernung, falls er Amok läuft.«
»Was war denn los mit ihm? Warum war er denn schon so früh am Tag betrunken?«, fragte Gaius neugierig.
»Ich weiß es nicht. Konzentriert euch immer nur auf eine Sache auf einmal. Ihr könnt euch heute Abend immer noch mit ihm darüber unterhalten. Und jetzt geht!«
Während das übrige Rom die Nachmittagshitze verschlief, versammelten sich die Männer der Legion der Erstgeborenen im größten Übungsraum, wo sie sich an den Wänden aufreihten, schwatzten und kaltes Bier oder Fruchtsäfte tranken. Nach den Kämpfen hatte ihnen Marius ein zehngängiges Festmahl mit gutem Essen und Wein versprochen, die Stimmung war entsprechend ausgelassen. Tubruk stand bei Marcus und Gaius und lockerte ihnen nacheinander die Schultern. Cabera saß mit undurchdringlichem Gesicht auf einem Hocker.