Was soll’s, dachte er. Noch einen Versuch.
Dieses Mal stürzte sich Fulvio nicht sogleich auf ihn. Er grinste wieder und winkte Marcus mit den Händen heran. Marcus biss die Zähne zusammen. Er würde den Mann noch einmal zu Boden schicken, und wenn er dabei umkam. Er stellte sich vor, Fulvio hätte Dolche in seinen beiden Fäusten, und jeder Kontakt mit ihnen würde den Tod bedeuten. Langsam fühlte er seinen Mut wiederkehren. Er wusste, wie man mit Schwert und Messer kämpfte, warum sollte das hier so anders sein? Er schwankte ein wenig, um Fulvio zum Angriff zu bewegen. Der größte Teil seiner Messerausbildung hatte aus Konterattacken bestanden, und er wollte, dass der Boxer zu einem weiteren Schlag ansetzte. Fulvio verlor schnell die Geduld und griff mit fliegenden Fäusten an. Marcus behielt die Fäuste im Auge, und als eine auf ihn zugerast kam, blockte er sie ab, hob sie mit dem Unterarm hoch und landete einen Konterschlag in Fulvios Unterleib. Fulvio stöhnte auf, und wieder kam reflexartig seine hohe Linke, aber dieses Mal zog Marcus den Kopf ein und der Schlag ging über ihm ins Leere, wodurch Fulvio für den Bruchteil einer Sekunde ohne Deckung dastand. Marcus legte seine ganze Kraft in einen Stoppstoß mit der Linken und wünschte sich, es wäre seine Rechte. Fulvios Kopf flog nach hinten, und als er wieder in die Waagerechte kam, war die Rechte bereit. Marcus ließ sie ein weiteres Mal auf die gebrochene Nase des Boxers krachen. Fulvio landete abrupt auf dem Hinterteil; frisches Blut strömte aus seiner zermalmten Nase.
Ehe Marcus sich darüber freuen konnte, war der Mann schon wieder aufgesprungen und ließ einen Hagel von Schlägen auf ihn niederprasseln, wobei er sich doppelt so schnell zu bewegen schien wie vorher. Marcus ging nach den ersten beiden Hieben zu Boden und steckte im Fallen noch zwei weitere ein. Dieses Mal stand er nicht wieder auf, und er hörte weder den Jubel noch das Horn, als Marius mit einem Nicken den Kampf beendete.
Fulvio hob triumphierend die Hände, und Marius gab wehmütig ein Zeichen, den Männern die ersten fünfzig der hundert Goldmünzen wiederzugeben. Sie steckten kurz die Köpfe zusammen und dann, als Ruhe eingetreten war, bot einer von ihnen Marius den Beutel wieder an.
»Wir möchten den Gewinn als Einsatz für den nächsten Kampf stehen lassen, Herr, wenn es Euch recht ist«, sagte er.
Marius verzog in gespieltem Entsetzen das Gesicht, doch dann nickte er und sagte, er würde dagegenhalten. Die Männer jubelten erneut.
Marcus erwachte, als ihm Tubruk einen Becher Wein ins Gesicht schüttete.
»Habe ich gewonnen?«, fragte er mit zerschlagenen Lippen.
Tubruk lachte und wischte ihm etwas von dem Blut und Wein aus dem Gesicht.
»Du hattest nicht die geringste Chance, aber du warst trotzdem erstaunlich gut. Eigentlich hättest du nicht einmal in der Lage sein dürfen, ihn zu berühren.«
»Ich habe ihn aber ganz schön berührt«, murmelte Marcus. Er lächelte und zuckte zusammen, als seine Lippen aufplatzten. »Ich habe ihn umgehauen.«
Marcus blickte sich nach einer Möglichkeit zum Ausspucken um, aber da er nichts fand, schluckte er die klebrige Mischung aus Schleim und Blut hinunter.
Ihm tat alles weh, sogar noch schlimmer als damals, als Suetonius ihn gefesselt hatte. Er fragte sich, ob er noch so gut aussehen würde, wenn alles verheilt war, doch seine Gedanken wurden von Fulvio gestört, der zu ihm herüberkam und sich im Gehen die Handschuhe auszog.
»Guter Kampf. Ich hatte drei Goldstücke auf mich selber gesetzt. Du bist sehr schnell. In ein paar Jahren könntest du wirklich gefährlich werden.«
Marcus nickte und streckte die Hand aus. Fulvio blickte sie an und schüttelte sie dann kurz, ehe er zu den Männern zurückging, die ihn erneut bejubelten.
»Nimm den Lappen und tupf dir das Blut ab, solange es tropft«, fuhr Tubruk gut gelaunt fort. »Über dem Auge musst du genäht werden. Wir müssen es bestimmt auch aufschneiden, damit die Schwellung zurückgeht.«
»Noch nicht. Erst will ich Gaius zusehen.«
»Natürlich.« Immer noch lachend ging Tubruk davon, und Marcus blinzelte durch sein gutes Auge.
Gaius ballte die Fäuste und wartete auf Tubruk. Sein Gegner hatte den Kampfplatz bereits betreten, machte sich warm und dehnte Schultern und Beine.
»Er ist ein Tier«, murmelte er, als Tubruk neben ihn trat.
»Das stimmt, aber er ist kein Faustkämpfer. Du hast eine relativ gute Chance gegen ihn, solange du keinen von seinen mächtigen Schlägen abkriegst. Wenn er dich erwischt, pustet er dich aus wie eine Kerze. Halt dich zurück und benutze deine Füße, um dich um ihn herum zu bewegen.« Gaius blickte ihn spöttisch an. »Sonst noch etwas?«
»Wenn du kannst, schlag ihn in die Hoden. Damit rechnet er zwar, aber es ist im strengen Sinne nicht gegen die Regeln.«
»Tubruk, du hast nicht das Herz eines ehrenwerten Mannes.«
»Nein, ich habe das Herz eines Sklaven und Gladiators. Ich habe bei diesem Kampf zwei Goldstücke auf dich gesetzt, und ich will gewinnen.«
»Hast du auf Marcus gewettet?«, fragte Gaius.
»Natürlich nicht. Im Gegensatz zu Marius werfe ich kein Geld zum Fenster raus.«
Marius trat in die Mitte und gab wieder ein Zeichen, damit Ruhe einkehrte.
»Nach dieser enttäuschenden Niederlage bleibt das Geld für den nächsten Kampf stehen. Decidus und Gaius, nehmt eure Positionen ein. Die gleichen Regeln. Fangt an, wenn das Horn erklingt.« Er wartete, bis beide dastanden und sich anblickten, ging dann zur Wand und verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust.
Als das Horn erklang, trat Gaius vor und hieb Decidus die Faust in die Kehle. Der größere Mann stieß ein krächzendes Stöhnen aus und riss vor Schmerz beide Hände an den Hals. Gaius ließ einen kräftigen Aufwärtshaken folgen, der Decidus am Kinn traf. Er sank auf die Knie und fiel dann mit leeren und glasigen Augen nach vorne. Gaius ging langsam zu seinem Hocker zurück und setzte sich hin. Er lächelte und Renius, der ihn beobachtete, erinnerte sich an dasselbe Lächeln im Gesicht eines kleineren Jungen, als er ihn aus dem eiskalten Wasser des Beckens am Fluss gehoben hatte. Er nickte zustimmend, und seine Augen leuchteten, doch Gaius sah es nicht. Einen Augenblick lang toste die Stille, dann stießen die Männer die angehaltene Luft aus, und ringsum brach lautes Stimmengewirr aus, in erster Linie Fragen, gewürzt mit ein paar kräftigen Flüchen, als ihnen klar wurde, dass sie die Wette verloren hatten.
Marius ging zu der ausgestreckt am Boden liegenden Gestalt und legte ihr die Finger an den Hals. Wieder wurde es still. Endlich nickte er.
»Sein Herz schlägt noch. Er wird es überleben. Er hätte sein Kinn besser decken sollen.«
Die Männer ließen den Sieger halbherzig hochleben, obwohl sie nicht ganz bei der Sache waren. Marius sprach grinsend zu der Menge.
»Für alle, die Hunger haben, wartet im Speisesaal ein Festbankett. Wir feiern die Nacht durch, denn morgen geht es wieder zurück an die Arbeit und ans Plänemachen.«
Decidus wurde wiederbelebt und, den Kopf benommen schüttelnd, hinausgeführt. Der Rest marschierte hinter ihm her und ließ Marcus und Gaius allein mit dem Legaten zurück. Renius war die ganze Zeit über nicht aufgestanden, auch Cabera blieb mit interessiertem Gesicht zurück.
»Tja, Jungs, mit eurer Hilfe habe ich heute eine Menge Geld verdient!«, dröhnte Marius und brach in Gelächter aus. Er musste sich an einer Wand abstützen, weil sein ganzer Körper vor Lachen bebte.
»Ihre Gesichter! Zwei bartlose Jungs, und einer von ihnen setzt Fulvio auf den Hintern .« Das Lachen übermannte ihn und er wischte sich die Tränen ab, die über sein gerötetes Gesicht strömten.
Renius erhob sich leicht schwankend, kam auf Gaius und Marcus zu und versetzte jedem von ihnen einen Klaps auf die Schulter.
»Ihr habt angefangen euch einen Namen zu machen«, sagte er leise.
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