Am Vorabend des Triumphzugs ging es im Lager der Erstgeborenen alles andere als ruhig zu. Gaius saß an einem der Lagerfeuer und schärfte einen Dolch, der seinem Vater gehört hatte. Um ihn herum prasselten die Feuer, und die Geräusche der siebentausend Soldaten und der Lagerhuren machten die Dunkelheit lebendig und fröhlich. Sie lagerten im offenen Gelände, weniger als fünf Meilen von den Toren der Stadt entfernt. Die ganze letzte Woche über waren Waffen poliert, Leder gewichst und Risse im Stoff geflickt worden. Die Pferde hatte man gestriegelt, bis sie wie Kastanien glänzten. Übungen in Marschordnung waren zu nervenaufreibenden Angelegenheiten geworden. Fehler wurden nicht hingenommen, und niemand wollte zurückgelassen werden, wenn sie nach Rom marschierten.
Die Männer waren alle stolz auf Marius und sich selbst. Es herrschte keine falsche Bescheidenheit im Lager: Sie wussten, dass er und sie sich diese Ehre verdient hatten.
Als Marcus in den Lichtschein des Feuers trat und sich auf eine Bank setzte, hörte Gaius mit dem Schärfen auf. Er starrte in die Flammen und lächelte nicht.
»Wie sieht’s aus?«, fragte er wütend, ohne den Kopf zu wenden.
»Ich reise morgen früh ab«, antwortete Marcus. Auch er starrte ins Feuer und fuhr fort: »Es ist am besten so. Marius hat einen Brief für mich geschrieben, den ich zu meiner neuen Zenturie mitnehmen soll. Möchtest du ihn mal sehen?«
Gaius nickte, und Marcus reichte ihm eine Schriftrolle hinüber. Er las:
Carac, ich empfehle dir diesen jungen Mann. In ein paar Jahren wird er ein erstklassiger Soldat sein. Er hat eine rasche Auffassungsgabe und ausgezeichnete Reflexe. Er wurde von Renius ausgebildet, der ihn zu deinem Lager begleiten wird. Übertrage ihm Verantwortung, sobald er bewiesen hat, dass er sie tragen kann. Er ist ein Freund meines Hauses. Marius. Primigenia. »Hübsche Worte. Ich wünsche dir viel Glück«, sagte Gaius verbittert, als er zu Ende gelesen hatte und Marcus die Schriftrolle zurückgab.
Der Freund lachte auf. »Das sind mehr als nur hübsche Worte! Dein Onkel hat mir Zugang zu einer anderen Legion verschafft. Du verstehst nicht, was das für mich bedeutet. Natürlich würde ich gerne bei dir bleiben, aber du erlernst jetzt bald im Senat die große Politik und übernimmst dann einen hohen Posten in der Armee oder in den Tempeln. Ich besitze nichts außer meinen Fähigkeiten, meinem Kopf und der Ausrüstung, die mir Marius geschenkt hat. Ohne seine Hilfe hätte ich schon Schwierigkeiten, einen Posten als Tempelwache zu bekommen! Aber so habe ich die Chance, etwas aus mir zu machen. Gönnst du mir das nicht?«
Gaius hob den Blick. Sein wütender Gesichtsausdruck überraschte Marcus.
»Ich weiß, dass du das tun musst. Ich habe nur nicht damit gerechnet, mir Rom allein erobern zu müssen. Ich habe immer gedacht, du bleibst bei mir. Das bedeutet Freundschaft nun einmal.« Marcus packte seinen Arm.
»Du wirst immer mein bester Freund sein. Wenn du mich brauchst, dann rufe, und ich werde kommen. Erinnerst du dich noch an den Pakt, den wir geschlossen haben, ehe wir in die Stadt gekommen sind? Wir passen aufeinander auf, und wir können uns gegenseitig vollkommen vertrauen. Das ist mein Schwur, und ich habe ihn nie gebrochen.«
Gaius sah ihn nicht an, und Marcus nahm seine Hand wieder fort.
»Du kannst Alexandria haben«, versuchte Marcus es mit einer noblen Geste.
Gaius schnappte nach Luft. »Ein Abschiedsgeschenk? Was für ein großzügiger Freund du doch bist! Du bist ihr viel zu hässlich, das hat sie mir gestern erzählt. Sie mag dich nur, weil du einen guten Kontrast bietest. Neben deinem Affengesicht sieht sie noch viel schöner aus.«
Marcus nickte fröhlich. »Mich will sie anscheinend nur als Bettgespielen haben. Vielleicht kannst du ihr ja Gedichte vorlesen, während ich sie mir in allen Stellungen vornehme.«
Gaius zog empört die Luft ein, doch dann legte sich langsam ein Lächeln über sein Gesicht. »Sobald du weg bist, bin ich derjenige, der ihr die Stellungen zeigt.« Er lachte leise bei diesen Worten und verbarg seine Gedanken. Was denn für Stellungen? Ihm fielen nur zwei ein.
»Nach mir wirst du wie ein Ochse wirken, bei all der Übung, die ich hatte. Marius ist ein sehr freigiebiger Mann.«
Gaius blickte seinen Freund an und versuchte einzuschätzen, wie viel von seiner Angeberei tatsächlich nichts weiter als Angeberei war. Er wusste, dass sich Marcus als Liebling der Sklavenmädchen in Marius’ Haus erwiesen und dass man ihn nach Einbruch der Dunkelheit nur selten in seinem eigenen Zimmer angetroffen hatte. Er selbst wusste dagegen nicht, was er fühlte. Manchmal war das Verlangen nach Alexandria so stark, dass es ihn schmerzte; dann wieder wollte er die Mädchen durch die Korridore jagen, so wie es Marcus tat. Er wusste, wenn er sie jemals als Sklavin dazu zwingen würde, würde er alles verlieren, was ihm kostbar war. Der Gedanke, dass Marcus womöglich schon genossen haben könnte, wonach er trachtete, ließ sein Herz vor Ärger schneller schlagen.
Marcus unterbrach seine Gedanken mit leiser Stimme. »Du wirst Freunde brauchen, wenn du älter bist, Männer, denen du vertrauen kannst. Wir haben beide gesehen, welche Macht dein Onkel besitzt, und ich glaube, wir würden wohl beide gerne einmal davon kosten.«
Gaius nickte.
»Was könnte ich dir dann als mittelloser Sohn einer Stadthure nützen? Ich kann mir in meiner neuen Legion einen Namen und mein Glück machen. Erst dann können wir richtige Zukunftspläne schmieden.«
»Ich verstehe. Ich erinnere mich an unseren Schwur, und ich werde mich daran halten.« Gaius schwieg einen Augenblick und schüttelte dann den Kopf, um die Gedanken an Alexandria daraus zu vertreiben. »Wo wirst du stationiert sein?«
»Ich gehöre zur Vierten Mazedonischen, deshalb reisen Renius und ich nach Griechenland. Die Wiege der Zivilisation, wie es immer heißt. Ich freue mich schon darauf, fremde Länder zu sehen. Ich habe gehört, dass die Frauen dort unbekleidet um die Wette rennen, weißt du. Das heizt die Fantasie an. Und nicht nur die.« Er lachte und Gaius lächelte matt, weil er immer noch an Alexandria dachte. Hatte sie sich ihm hingegeben?
»Ich bin froh, dass Renius dich begleitet. Es wird ihm gut tun, eine Weile von seinen Problemen abgelenkt zu werden.«
Marcus verzog das Gesicht. »Das stimmt, aber er wird nicht gerade der angenehmste Reisegefährte sein. Irgendwie ist er ziemlich schlecht gelaunt, seit er betrunken bei deinem Onkel aufgetaucht ist, aber ich kann auch verstehen, warum.«
»Wenn die Sklaven mein Haus niedergebrannt hätten, wäre ich auch ein bisschen durcheinander. Sogar seine Ersparnisse sind gestohlen worden. Er hatte sie unter dem Fußboden versteckt, sagte er, aber die Plünderer müssen sie gefunden haben. Das war kein sehr strahlendes Kapitel in unserer Geschichte, als die Sklaven einem alten Mann sein Erspartes raubten. Obwohl er ja eigentlich kein richtiger alter Mann mehr ist, oder?«
Marcus sah ihn von der Seite an. Sie hatten nie darüber geredet, aber Gaius schien ohnehin Bescheid zu wissen.
»Cabera?«, fragte Gaius und sah ihm ins Gesicht.
Marcus nickte.
»Das dachte ich mir; mit mir hat er etwas Ähnliches gemacht, als ich verwundet war. Er ist auf jeden Fall ein nützlicher Mann, den man immer um sich haben sollte.«
»Ich bin froh, dass er bei dir bleibt. Er glaubt an deine Zukunft. Er dürfte es wohl schaffen, dich am Leben zu erhalten, bis ich zurückkehre, ruhmbedeckt und von wunderschönen Frauen umgeben, die allesamt Siegerinnen bei Wettläufen waren.«
»Vielleicht erkenne ich dich ja dann unter all dem Ruhm und den Frauen gar nicht wieder.«
»Ich werde noch der Gleiche sein. Ich bedauere es sehr, morgen an dem Triumphzug nicht teilnehmen zu können. Das wird etwas ganz Besonderes. Wusstest du, dass Marius Silbermünzen mit seinem Gesicht drauf hat prägen lassen? Er will sie in die Menge werfen.«
Gaius lachte. »Typisch mein Onkel. Er wird gerne wiedererkannt. Er genießt den Ruhm mehr, als er es genießt, Schlachten zu gewinnen, glaube ich. Er bezahlte die Männer jetzt schon mit diesen Münzen, damit sie sich noch schneller in Rom verbreiten. Zumindest Sulla wird er damit verärgern, und wahrscheinlich will er genau das damit erreichen.«