»Um was geht es denn bei der Abstimmung?«, erkundigte sich Gaius.
Marius lachte. »Bloß um die Kleinigkeit, dich offiziell in den Rang der Nobilitas und der Erwachsenen aufzunehmen. In Wirklichkeit ist es nur eine Formalität. Das Recht steht dir durch deinen Vater zu, sonst würde auch meine Patenschaft reichen. Denk daran, diese Stadt ist auf Talent gebaut und wird durch Talent weitergeführt. Es gibt die alten Häuser, die Reinblütigen: Sulla selbst entstammt einem solchen Haus. Andere Männer sind dort, weil sie sich selbst an die Macht gebracht haben, so wie ich. Wir respektieren Macht und Stärke und schätzen alles, was gut für die Stadt ist, ungeachtet der Abstammung.«
»Gehören deine Anhänger zu den neuen Männern?«, fragte Gaius.
»Seltsamerweise nein. Die hüten sich oft davor, mit einem der ihren gesehen zu werden. Viele von ihnen unterstützen Sulla, aber von denen, die mir folgen, sind genauso viele von hoher Geburt wie zu den neuen Wölfen gehören. Die Volkstribune machen immer viel Aufhebens darum, dass sie nur nach ihrem Gewissen entscheiden und bei jeder Abstimmung unabhängig stimmen, dabei kann man sich stets darauf verlassen, dass sie für billigeres Getreide oder mehr Rechte für die Sklaven stimmen werden. Wegen ihrem Veto darf man sie nicht ignorieren.« »Könnten sie dann meine Aufnahme verhindern?«
Marius lachte. »Mach nicht so ein besorgtes Gesicht. Sie stimmen bei internen Angelegenheiten nicht mit ab, etwa bei neuen Mitgliedern, sondern nur in der Stadtpolitik. Und selbst wenn sie es täten, würde es viel Mut erfordern, gegen mich zu stimmen, wenn meine Legion mit Tausenden von Männern draußen auf dem Forum steht. Sulla und ich sind Konsuln - die Oberkommandierenden der Militärmacht Roms. Wir führen den Senat, nicht andersherum.« Er lächelte selbstzufrieden und rief nach Wein, worauf ihm ein voller Becher gereicht wurde.
»Was geschieht, wenn du anderer Meinung bist als der Senat oder als Sulla?«, fragte Gaius. Marius prustete in seinen Weinbecher.
»Das passiert ständig. Die Menschen wählen den Senat, damit er Gesetze verabschiedet und durchsetzt und das Imperium weiter ausbaut. Sie wählen auch andere, ranghöhere Ämter: Ädilen, Prätoren und Konsuln. Sulla und ich sind hier, weil das Volk uns gewählt hat; das vergisst der Senat nicht. Wenn wir anderer Meinung sind, kann jeder der Konsuln eine neue Gesetzesinitiative unterdrücken und die Beratung darüber sofort beenden. Sulla oder ich brauchen nur >Veto< - ich verbiete es - zu sagen, sobald die Debatte beginnt, und damit ist die Sache für dieses Jahr erledigt. Wir können uns auf diese Weise auch gegenseitig blockieren, aber das passiert nicht sehr oft.«
»Aber wie kontrolliert der Senat die Konsuln?«, drängte Gaius interessiert weiter.
»Sie könnten gegen mich stimmen, mich theoretisch sogar aus dem Amt entfernen, aber in der Praxis würden meine Anhänger und die von mir Abhängigen eine solche Abstimmung verhindern, deshalb ist ein Konsul für ein Jahr in seiner Macht beinahe unangreifbar.«
»Du hast gesagt, ein Konsul würde nur für ein Jahr gewählt und müsse dann zurücktreten«, sagte Gaius.
»Das Gesetz beugt sich starken Männern, Gaius. Jedes Jahr schreit der Senat laut nach einer Ausnahme und nach meiner Wiederwahl. Ich bin gut für Rom, verstehst du? Das wissen sie nur zu genau.«
Gaius freute sich über die leise Unterhaltung, zumindest so leise, wie es dem Legaten möglich war. Er verstand, warum sein Vater ihn mit Argwohn betrachtet hatte. Marius war wie ein Sommergewitter, man wusste nie, wo er als Nächstes einschlagen würde, im Augenblick jedoch hatte er die Stadt fest in der Hand, und Gaius hatte gemerkt, dass es auch ihn genau dort hinzog: ins Zentrum der Macht.
Schon weit vor den Toren konnten sie Rom toben hören. Das Geräusch war wie das Meer, eine formlose, krachende Welle, die sie verschlang, als sie am Wachtturm der Stadtmauer Halt machten. Die Stadtwachen näherten sich der goldenen Kutsche, und Marius stand auf, um sie zu empfangen. Auch sie glänzten und blitzten, waren dem Anlass entsprechend herausgeputzt und trugen gewichtige Mienen zur Schau.
»Nenne deinen Namen und dein Anliegen«, sagte einer von ihnen.
»Marius, Legat der Erstgeborenen. Ich bin hier. Ich werde im Triumphzug durch die Straßen Roms ziehen.«
Der Mann lief ein wenig rot an, und Marius grinste.
»Du darfst die Stadt betreten«, sagte die Wache, trat beiseite und gab das Zeichen zum Öffnen der Torflügel.
Marius setzte sich wieder und beugte sich zu Gaius hinüber. »Das Protokoll besagt, dass ich um Erlaubnis fragen muss, aber heute ist ein zu schöner Tag, um nett zu Wachen zu sein, die es nicht bis in die Legion geschafft haben. Führt uns hinein!« Er gab ein Zeichen, und wieder erklangen die Trompeten entlang der Kolonne. Die Tore öffneten sich und die Menge gaffte und brüllte vor Begeisterung. Der Lärm brandete über die Legion hinweg, und Marius’ Kutscher musste kräftig mit den Zügeln schnalzen, damit die Pferde sich in Bewegung setzten.
Die Erstgeborenen zogen in Rom ein.
»Wenn du rechtzeitig fertig sein willst, um dir den Triumphzug anzusehen, musst du jetzt aufstehen! Alle sagen, er wird ungewöhnlich prächtig. Dein Vater und deine Mutter sind schon angezogen und bei ihren Dienern, während du hier noch herumliegst und döst!«
Cornelia schlug die Augen auf und räkelte sich. Es war ihr egal, dass die Bettdecke von ihrer goldenen Haut rutschte. Ihre Amme Clodia machte sich an den Vorhängen zu schaffen und zog sie auf, um frische Luft und Sonnenschein hineinzulassen.
»Sieh nur, die Sonne steht schon hoch am Himmel, und du bist noch nicht einmal angezogen. Es ist schamlos, hier noch immer unbekleidet herumzuliegen. Wenn ich jetzt ein Mann oder dein Vater gewesen wäre?«
»Er hätte sich nicht hereingewagt. Er weiß, dass ich kein Nachthemd trage, wenn es so heiß ist.« Immer noch gähnend erhob sich Cornelia aus dem Bett und streckte sich wie eine Katze,
krümmte den Rücken und streckte die Fäuste in die Luft.
Clodia ging zur Schlafzimmertür und legte den Riegel vor, damit niemand hereinkommen konnte.
»Ich vermute, du willst noch kurz ins Bad eintauchen, ehe du dich anziehst«, sagte Clodia, und ihre Zuneigung machte dem Versuch, streng zu klingen, einen Strich durch die Rechnung. Cornelia nickte und tappte hinüber ins Badezimmer. Das dampfende Wasser erinnerte sie daran, dass der restliche Haushalt schon seit Tagesanbruch wach und bei der Arbeit gewesen war. Sie verspürte ein leichtes Schuldgefühl, doch das löste sich in der angenehmen Wärme in Nichts auf, nachdem sie erst ein Bein in die Wanne streckte und dann wohlig seufzend hineinstieg. Es war ein Luxus, den sie genoss, nicht bis zur offiziellen Badestunde später am Tag warten zu müssen. Clodia folgte ihr geschäftig, die Arme voller angewärmter Handtücher. Die Frau war so voller Energie, dass sie keine Sekunde still stand. Ein Fremder hätte weder an ihrer Kleidung noch an ihrem Auftreten merken können, dass sie eine Sklavin war. Selbst die Juwelen, die sie trug, waren echt, und sie konnte ihre Kleider aus einer reichhaltigen Garderobe aussuchen.
»Beeil dich! Trockne dich damit ab und zieh diesesMamillare an.«
Cornelia stöhnte. »Es schnürt zu sehr ein, um es an heißen Tagen anzuziehen.«
»Es wird aber verhindern, dass deine Brüste in ein paar Jahren wie leere Säcke herunterhängen.« Clodia schnaubte. »Dann wirst du froh sein, dass du es getragen hast. Steh auf! Raus aus dem Wasser, du Faulpelz. Am Rand steht ein Glas Wasser, damit du dir den Mund spülen kannst.« Während Cornelia ihren Körper abtrocknete, legte Clodia ihr die Gewänder bereit und öffnete eine Reihe kleiner silberner Kästchen mit Farben und Ölen.