»Jemand hat gestern Nacht den Ersten Maat und einen weiteren Mann, der bei ihm war, zusammengeschlagen«, erzählte Renius fröhlich.
Marcus befühlte sein Gesicht mit der Hand und spürte den Rand aufgeplatzter Haut auf seiner Wange.
»Hat er gesagt, wer es war?«, knurrte er.
»Er sagte, er sei im Dunkeln von hinten überfallen worden. Seine Schulter ist gebrochen.« Renius hatte sich tatsächlich von seiner düsteren Stimmung verabschiedet, aber Marcus empfand den neuen, lachenden Renius nicht gerade als Fortschritt.
Der Kapitän war ein Grieche namens Epides, ein kleiner, energiegeladener Mann mit einem Bart, der wie angeklebt aussah, weil nicht ein einziges störrisches Haar in seinem Gesicht am falschen Platz war. Als Marcus und Renius eintraten, stand er auf und stützte die Hände auf den Schreibtisch, der wegen der Dünung mit schweren eisernen Klammern am Fußboden befestigt war. An jedem Finger saß ein wertvoller, in Gold gefasster Stein, der bei jeder Bewegung glitzerte. Der restliche Raum war eher schlicht ausgestattet, wie es sich für ein Handelsschiff gehörte. Es gab keinen Luxus und nichts, was man ansehen konnte, außer den Mann selbst, der die beiden finster anstarrte.
»Sparen wir uns die Unschuldsbeteuerungen«, sagte er. »Mein Erster Maat hat eine gebrochene Schulter und ein gebrochenes Schlüsselbein, und du hast es getan.«
Marcus wollte etwas sagen, aber der Kapitän unterbrach ihn.
»Er will nicht zugeben, dass du es warst, und nur Zeus weiß, warum. Wenn er es getan hätte, würde ich dich auf Deck bis aufs Blut auspeitschen lassen. So wirst du bis zum Ende der Reise seine Pflichten übernehmen, und ich verfasse einen Brief an den Befehlshaber deiner Legion, in dem ich ihm mitteile, was für einen undisziplinierten Rüpel er da bekommt. Ich verpflichte dich ab sofort für die Dauer dieser Überfahrt als Mannschaftsmitglied, so wie es mein Recht als Kapitän der Lucidae ist. Wenn ich erfahre, dass du dich in irgendeiner Weise vor deinen Pflichten drückst, lasse ich dich auspeitschen. Hast du mich verstanden?«
Marcus wollte antworten, aber dieses Mal kam ihm Renius zuvor, der mit ruhiger und vernünftiger Stimme sprach.
»Kapitän. Von dem Augenblick an, in dem dieser Junge seine Stellung in der Vierten Makedonischen angenommen hat, wurde er ein Soldat dieser Legion. Da du in einer schwierigen Lage bist, wird er sich freiwillig als Ersatz für den Ersten Maat melden, bis wir in Griechenland von Bord gehen. Mit dem Unterschied, dass ich derjenige bin, der darauf achtet, dass er sich nicht vor seinen Pflichten drückt. Sollte er auf deinen Befehl hin ausgepeitscht werden, komme ich hier herauf und reiße dir das Herz heraus. Haben wir uns verstanden?« Seine Stimme blieb bis zuletzt ruhig und fast freundlich.
Epides wurde ein wenig bleich und strich sich mit einer nervösen Bewegung über den Bart.
»Sorg nur dafür, dass er seine Arbeit tut. Und jetzt raus mit euch, und melde dich beim Zweiten Maat, damit er dich einteilt.«
Renius sah ihn lange an und nickte dann langsam, drehte sich zur Tür um und ließ Marcus als Ersten hinaustreten, ehe er ihm folgte.
Als er wieder allein war, sank Epides auf seinen Stuhl, tauchte eine Hand in eine Schale mit Rosenwasser und betupfte damit sein Genick. Dann fasste er sich wieder und suchte mit einem grimmigen Lächeln seine Schreibsachen zusammen. Eine Weile dachte er an all die gescheiten, bissigen Antworten, die er hätte geben sollen. Von Renius bedroht zu werden, bei allen Göttern! Wenn er nach Hause zurückkehrte, würde die Geschichte, die er erzählte, all die schlagfertigen Retourkutschen beinhalten, eben jedoch hatte ihm etwas unverhüllt Gewalttätiges in den Augen des Mannes die Sprache verschlagen.
Der Zweite Maat war ein mürrischer Mann aus Norditalien namens Parus. Er sagte nur wenig, als sich Marcus und Renius bei ihm meldeten. Er erklärte ihnen kurz die täglichen Aufgaben eines Ersten Maats auf einem Handelsschiff, die mit der mitternächtlichen Ruderwache endeten.
»Es kommt mir nicht richtig vor, dich Ersten Maat zu nennen, während er noch unter Deck ist.« »Ich erledige seine Arbeit für ihn. So lange nennst du mich bei seinem Namen«, erwiderte Marcus.
Der Mann erstarrte. »Wie alt bist du, sechzehn? Den Männern wird es auch nicht gefallen«, meinte er.
»Siebzehn«, log Marcus lässig. »Die Männer werden sich schon daran gewöhnen. Vielleicht sollten wir jetzt lieber mit ihnen reden.«
»Bist du schon einmal zur See gefahren?«, fragte Parus.
»Das ist meine erste Schiffsreise, aber du sagst mir, was getan werden muss, und ich werde es tun. In Ordnung?«
Parus blies mit unverhohlener Abscheu die Backen auf und nickte. »Ich hole die Männer an Deck.«
»Ich hole die Männer an Deck, Erster Maat«, verbesserte Marcus deutlich durch seine geschwollenen Lippen. Seine Augen funkelten gefährlich, und Parus fragte sich, wie er den Ersten Maat im Kampf besiegt haben konnte, und warum dieser dem Kapitän nicht sagen wollte, wer es gewesen war, wenn es doch jeder Narr deutlich sehen konnte.
»Erster Maat«, stimmte er mürrisch zu und verließ sie.
Marcus drehte sich zu Renius um, der ihn schief ansah.
»Was denkst du?«, fragte Marcus.
»Ich denke, du solltest verdammt vorsichtig sein, wenn du lebend nach Griechenland kommen willst«, erwiderte Renius ernst.
Alle Mannschaftsmitglieder, die gerade nicht arbeiten mussten, hatten sich auf dem kleinen Deck versammelt. Marcus zählte fünfzehn Matrosen, während fünf weitere an den Rudern und in der Takelage zu tun hatten.
Parus räusperte sich, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.
»Da sich der Erste Maat den Arm gebrochen hat, sagt der Kapitän, dass der hier die restliche Überfahrt lang seine Arbeit machen soll. Geht wieder an die Arbeit.«
Die Männer wandten sich zum Gehen, und Marcus trat wütend einen Schritt vor.
»Bleibt, wo ihr seid«, donnerte er, selbst überrascht von der Kraft seiner Stimme. Einen Augenblick hatte er ihre Aufmerksamkeit, und er hatte nicht vor, ihn ungenutzt verstreichen zu lassen.
»Also, ihr wisst alle, dass ich dem Ersten Maat den Arm gebrochen habe, deshalb werde ich es nicht leugnen. Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit und haben uns geprügelt, das ist alles.
Ich weiß nicht, warum er dem Kapitän nicht erzählt hat, wer es war, aber ich respektiere ihn dafür ein wenig mehr. Ich werde seine Arbeit tun, so gut ich es vermag, aber ich bin kein Seemann, und das wisst ihr auch. Ihr arbeitet mit mir zusammen, und es macht mir nichts aus, wenn ihr mir sagt, falls ich etwas falsch mache. Aber wenn ihr behauptet, ich würde etwas falsch machen, dann solltet ihr auch besser Recht haben. In Ordnung?«
Von den versammelten Männern kam halblautes Gemurmel. »Wenn du kein Seemann bist, dann hast du keine Ahnung von dem, was du tust. Was soll uns denn ein Bauer auf einem Handelsschiff nutzen?«, fragte ein über und über tätowierter Matrose. Er grinste höhnisch und Marcus antwortete schnell, rot vor Wut.
»Als Erstes werde ich eine Runde über das Schiff machen und mit jedem von euch reden. Ihr erklärt mir genau, worin eure Aufgabe besteht, und ich erledige sie. Wenn ich es nicht schaffe, gehe ich wieder zum Kapitän und sage ihm, dass ich der Aufgabe nicht gewachsen bin. Hat jemand Einwände?«
Es herrschte Schweigen. Ein paar von ihnen schien die Herausforderung zu interessieren, auf den meisten Gesichtern jedoch lag offene Feindseligkeit. Marcus biss die Zähne zusammen und spürte, wie der lockere Zahn wehtat.
Er zog seinen Dolch aus dem Gürtel und hielt ihn hoch. Es war eine schön gearbeitete Waffe, die ihm Marius als Abschiedsgeschenk gegeben hatte. Obwohl nicht übermäßig verziert, war es trotzdem ein teueres Stück, mit einem mit Bronzedraht umwickelten Griff.
»Wenn ein Mann etwas kann, was ich nicht schaffe, schenke ich ihm den hier, ein Geschenk des Legaten Marius der Primigenia. Wegtreten.«
Jetzt war das Interesse auf den Gesichtern schon größer, und einige Matrosen blickten auf die Klinge, die er immer noch hochhielt, während sie auf ihre Posten zurückkehrten.