»Ich glaube, es ist nur ein Schütze«, knurrte Renius, der sprungbereit auf den Fußballen stand und das Gestrüpp im Auge behielt. Er wusste, dass der Mann nicht am gleichen Ort bleiben würde, sondern sich, während sie hier redeten, näher heranschleichen würde, um besser zielen zu können.
»Willst du dein Leben darauf wetten, ja?«
Die beiden Männer sahen einander an, und Peppis packte Lanzers Bein, woraufhin das Pferd unwillig schnaubte.
Der Bandit war einfach und sauber gekleidet. Er sah aus wie die Jäger, die Marcus auf dem Gut gekannt hatte, durch den ständigen Aufenthalt in Wind und Sonne tief gebräunt. Er sah nicht aus wie ein Mann, der leere Drohungen ausstieß. Marcus stöhnte innerlich auf. Bestenfalls würden sie ohne Gepäck und Ausrüstung bei der Legion eintreffen, ein Einstand, den man ihn nie vergessen lassen würde. Schlimmstenfalls erwartete sie in wenigen Augenblicken der Tod.
»Du siehst aus wie ein kluger Mann«, fuhr der Bandit fort. »Wenn ich die Hand sinken lasse, bist du auf der Stelle tot. Leg dein Schwert auf den Boden, dann lebst du noch eine Weile, vielleicht sogar bis ins hohe Alter, ja?«
»Ich bin schon lange alt. Es lohnt sich nicht«, erwiderte Renius und setzte sich bereits in Bewegung.
Er schleuderte dem Mann seinen Gladius entgegen, der sich in der Luft drehte. Bevor die Waffe auftraf, warf sich der Gladiator seitlich hinter einen Felsen. Dort, wo er eben noch gestanden hatte, zischte ein Pfeil durch die Luft, doch es blieb der einzige. Keine weiteren Bogenschützen. Marcus hatte den Moment genutzt, um sich an Peppis vorbei unter dem Bauch des Pferdes hindurchzuducken, und warf sich jetzt in vollem Lauf in das Unterholz und den Hang hinauf, wobei er sich darauf verließ, dass ihn seine Geschwindigkeit auf den Beinen halten würde. Er erreichte den Hauptkamm, ohne langsamer zu werden und rannte noch schneller in die Richtung, in der er den Bogenschützen vermutete. Als er näher kam, brach ein Mann zu seiner Rechten aus der Deckung eines Feigenwäldchens hervor, und Marcus wäre beinahe ausgerutscht, als er herumschwenkte und die Verfolgung aufnahm.
Nach zwanzig Schritten auf dem losen Geröll hatte er ihn eingeholt und brachte ihn mit einem Sprung zu Fall. Der Aufprall riss ihm das Schwert aus der Hand, woraufhin er sich in einen Ringkampf mit einem Mann verwickelt sah, der sowohl größer als auch stärker war als er. Der Bogenschütze drehte sich ruckartig in Marcus’ Griff, und schon hatte einer den anderen mit wild fuchtelnden Händen an der Kehle gepackt. Marcus geriet in Panik. Das Gesicht des Mannes war rot, aber sein Hals schien aus Holz zu sein, das sich einfach nicht richtig greifen, geschweige denn zusammendrücken ließ.
Er hätte nach Renius gerufen, aber der Gladiator hätte den steilen Hang mit nur einem Arm nicht erklimmen können, außerdem bekam er mit den Pranken des Bogenschützen an der Kehle kaum Luft. Marcus bohrte die Daumen in die Luftröhre des Mannes und legte sein gesamtes Gewicht auf diesen Druckpunkt. Der andere grunzte vor Schmerz, doch seine haarigen Hände zogen sich immer fester zusammen, und Marcus sah weiße Blitze vor den Augen, während sein Körper nach Luft schrie. Seine eigenen Hände schienen schwächer zu werden, und einen Augenblick lang wollte er schon verzweifeln. Seine rechte Hand löste sich von der Kehle des Schützen, fast ohne dass er es gewollt hatte, und drosch auf das grunzende Gesicht unter ihm ein. Die weißen Blitze wurden von schwarzen Streifen durchzuckt, und sein Gesichtsfeld verengte sich zu einem dunklen Tunnel, doch er schlug wieder und immer wieder zu. Das Gesicht unter ihm war ein blutroter Brei, aber die Hände hielten seinen Hals erbarmungslos umklammert.
Dann fielen sie einfach herunter und blieben kraftlos auf dem Boden liegen. Marcus japste schluchzend nach Luft und rollte sich seitlich von seinem Gegner herunter. Sein Herz schlug mit unmöglicher Geschwindigkeit, ihm war schwindlig, und es kam ihm vor, als würde er davonfliegen. Mühsam kam er auf die Knie, und seine Finger tasteten halb taub in immer größer werdenden Kreisen nach dem Griff seines Schwertes.
Als sie sich endlich um das lederne Heft schlossen, stieß er ein stummes Dankesgebet aus. Von unten hörte er Renius und Peppis nach ihm rufen, doch er bekam noch nicht genug Luft, um ihnen zu antworten. Er machte ein paar taumelnde Schritte auf den Mann zu und erstarrte, als er sah, dass dessen Augen offen waren und ihn anblickten. Die breite Brust hob und senkte sich ebenso heftig wie die seine.
Rasselnde Worte quollen zwischen den zerschlagenen Lippen des Mannes hervor, doch er sprach Griechisch, und Marcus verstand ihn nicht. Immer noch keuchend setzte er die scharfe Schwertspitze auf die Brust des Mannes und stieß zu. Dann rutschten seine Hände vom Griff ab und er fiel mit ausgestreckten Gliedmaßen zu Boden, drehte sich schwach zur Seite und erbrach sich auf den Boden.
Als Marcus steifbeinig zum Pfad hinunterstakste, hatte Peppis Renius’ Pferd eingefangen, und der Gladiator drückte ein Stück Stoff auf die Wunde in Apollos Schulter. Das große Pferd zitterte, stand jedoch auf allen vieren und war hellwach. Peppis musste Lanzer fest am Zügel halten, denn das Pferd tänzelte immer wieder zur Seite, die Augen aus Angst vor dem Blutgeruch weit aufgerissen.
»Alles in Ordnung, mein Junge?«, erkundigte sich Renius.
Marcus brachte kein Wort heraus, nickte aber. Seine Kehle fühlte sich an, als wäre sie zermalmt worden, und die Luft ging mit jedem Atemzug pfeifend hindurch. Er zeigte darauf, und Renius winkte ihn zu sich, damit er sich seinen Hals ansehen konnte. Um die Pferde nicht zu erschrecken, bewegte er sich betont langsam.
»Nichts Schlimmes«, lautete einen Augenblick später sein Urteil. »Große Hände, dem Abdruck nach.«
Marcus konnte nur schwach keuchen. Er hoffte, Renius würde den säuerlichen Geruch nicht bemerken, der ihn wie eine Wolke zu umgeben schien, aber wahrscheinlich war er nur so rücksichtsvoll, es nicht zu erwähnen.
»Die hätten uns lieber nicht angreifen sollen«, bemerkte Peppis. Sein kleines Gesicht blickte ernst drein.
»Stimmt, mein Junge, aber wir haben trotzdem Glück gehabt«, erwiderte Renius. Dann sah er Marcus an. »Versuch nicht zu sprechen. Hilf dem Jungen, die Ausrüstung auf euer Pferd zu packen. Apollo dürfte ein oder zwei Wochen lahmen. Wir reiten abwechselnd, es sei denn, diese Banditen haben hier irgendwo ihre eigenen Pferde versteckt.«
Lanzer wieherte, und von weiter unten am Berg ertönte zur Antwort ein Schnauben. Renius grinste.
»Das Glück ist uns wieder einmal hold«, verkündete er fröhlich. »Hast du die Leiche durchsucht?«
Marcus schüttelte den Kopf und Renius zuckte die Achseln.
»Es lohnt wohl nicht, noch mal hinaufzusteigen. Sie hatten bestimmt nicht viel, und ein Bogen ist einem Mann mit einem Arm nicht viel nütze. Machen wir uns auf den Weg. Wenn wir uns ranhalten, können wir diesen Berg bis Sonnenuntergang hinter uns lassen.«
Marcus fing an, Apollo abzuladen und hielt das Tier am Zügel. Als Renius sich abwandte, klopfte er Marcus auf die Schulter. Eine Geste, die ihm viel mehr bedeutete als Worte.
Nach einem Monat der langen Tage und kalten Nächte tat es gut, aus der Ferne das Lager der Legion jenseits der Ebene zu erblicken. Selbst aus dieser Entfernung waren leise Geräusche zu hören. Das befestigte Lager sah dort am Horizont wie eine Stadt aus, eine Stadt mit achttausend Männern, Frauen und Kindern, die mit den vielen Verrichtungen beschäftigt waren, die nötig waren, um einen so großen Trupp Männer im Feld zu versorgen. Marcus versuchte sich die Waffenkammern und Schmieden vorzustellen, die für jedes Lager aufgebaut und später wieder zusammengepackt wurden. Es gab Küchen, Lager mit Baumaterial, Steinmetze, Tischler, Sattler, Sklaven, Prostituierte und tausend andere Zivilisten, die dafür lebten und dafür bezahlt wurden, die Kampfkraft Roms aufrecht zu erhalten. Im Gegensatz zu den Zeltreihen von Marius’ Legion war das dort vor ihnen ein Dauerlager mit einer soliden Mauer und weiteren Befestigungsanlagen rings um das Zentrum. In gewissem Sinne war es eine Stadt, aber eine Stadt in ständiger Kampfbereitschaft.