Sie schüttelte bei seinen Worten langsam den Kopf.
»Wenn du mich liebst, lässt du mich hier im Haus des Marius. Ich kann Schmuck machen, und eines Tages habe ich genug Geld, um mich freizukaufen. Hier kann ich so glücklich werden, wie ich es niemals werden würde, wenn ich zulasse, dass ich dich liebe. Das könnte ich wohl, aber du wirst Soldat und ziehst davon, in weit entfernte Winkel der Welt, und ich würde deine Frau und deine Kinder sehen, müsste ihnen auf der Straße zunicken. Mach mich nicht zu deiner Hure, Gaius. Dieses Leben kenne ich zur Genüge, ich will es nicht. Lass mich letzte Nacht nicht bereuen. Ich möchte so etwas Wundervolles nicht bereuen.«
»Ich könnte dich freikaufen«, flüsterte er gequält. Das alles schien keinen Sinn zu ergeben.
In ihren Augen blitzte es wütend auf, doch sie beherrschte sich. »Nein, das könntest du nicht. Natürlich könntest du mir meinen Stolz nehmen und mich laut römischem Gesetz freilassen, aber das hätte ich mir in deinem Bett verdient. Dort, worauf es ankommt, bin ich frei, Gaius, das habe ich jetzt begriffen. Um vor dem Gesetz ein freier Bürger zu sein, muss ich ehrlich arbeiten, um mich selbst zurückzukaufen. Dann gehöre ich mir. Ich bin heute einem Mann begegnet, der von sich sagt, er sei ehrlich und stolz. Auch ich besitze beides, Gaius, Ehrlichkeit und Stolz, und ich möchte weder das eine noch das andere verlieren. Ich werde dich nie vergessen. Besuch mich in zwanzig Jahren, dann schenke ich dir einen Anhänger aus Gold, der aus Liebe gemacht ist.«
»Das werde ich tun«, gelobte er, beugte sich zu ihr und küsste ihre Wange. Dann erhob er sich und verließ den duftenden Garten.
Er trat hinaus auf die Straßen der Stadt und ging immer weiter und weiter, bis er sich verlaufen hatte und zu müde war, um außer seiner Betäubung noch etwas zu fühlen.
23
Der Mond ging auf. Marius funkelte den Zenturio finster an.
»Meine Befehle waren eindeutig. Warum hast du sie nicht befolgt?«
»Ich dachte, es läge ein Fehler vor, Legat.« Der Mann kam ein wenig ins Stammeln. Sein Gesicht war fahl. Er kannte die Konsequenzen. Soldaten sandten keine Boten aus, um Befehle in Frage zu stellen. Sie führten sie aus. Aber das, was von ihm verlangt worden war, war Wahnsinn.
»Du bist angewiesen worden, dir eine Taktik gegen eine römische Legion zu überlegen. Insbesondere, Mittel und Wege zu finden, ihre Mobilität außerhalb der Tore zu neutralisieren. Was hast du daran nicht verstanden?«, knurrte Marius grimmig, und der Mann wurde noch blasser, während er seinen Rang und damit seine Pension dahingehen sah.
»Ich ... Niemand rechnet damit, dass Sulla Rom angreift. Noch nie hat jemand die Stadt angegriffen -«
Marius fiel ihm ins Wort. »Du bist degradiert. Schick mir Octavius, deinen Stellvertreter.«
Etwas zerbrach in dem Mann. Er war über vierzig Jahre alt und würde nie wieder befördert werden.
»Wenn sie wirklich kommen, Herr, möchte ich in der ersten Reihe stehen, um sie aufzuhalten.« »Um deinen Fehler gutzumachen?«, fragte Marius.
Der Mann nickte matt.
»Es sei dir gewährt. Dein Gesicht wird das erste sein, das sie zu sehen bekommen. Und sie werden kommen. Nicht als Lämmer, sondern als Wölfe.«
Marius blickte dem gebrochenen Mann nach, der steif davonwankte, und schüttelte den Kopf. So viele wollten einfach nicht glauben, dass Sulla ihre geliebte Stadt angreifen würde. Für Marius war es längst Gewissheit. Die täglich eintreffenden Nachrichten besagten, dass es Sulla gelungen war, den aufständischen Armeen unter Mithridates das Rückgrat zu brechen und dabei ein Gutteil von Griechenland in Schutt und Asche zu legen. Kaum ein Jahr war vergangen, und er würde als Held und Eroberer zurückkehren. Das Volk würde ihm alles gewähren. In einer derartig gestärkten Position würde er seine Legion keinesfalls im Feld oder in einer benachbarten Stadt lassen und mit seinen Kumpanen in aller Stille in den Senat zurückkehren. Das war das Risiko, das Marius eingegangen war. Obwohl es sonst nichts Bewundernswertes an diesem Mann gab, musste er zugeben, dass Sulla ein hervorragender Feldherr war, und Marius hatte die ganze Zeit über gewusst, dass er sehr wohl gewinnen und als Sieger zurückkehren konnte.
»Die Stadt gehört mir«, murmelte er dumpf und ließ den Blick über die Soldaten schweifen, die Brustwehren für Bogenschützen auf den gewaltigen Toren bauten. Er fragte sich, wo sich sein Neffe herumtreiben mochte und bemerkte geistesabwesend, dass er ihn in den letzten Wochen kaum zu Gesicht bekommen hatte. Müde rieb er sich den Nasenrücken. Er wusste, dass er sich zu wenig Ruhe gönnte.
Seit einem Jahr hatte er ständig zu wenig Schlaf bekommen, hatte seine Versorgungslinien aufgebaut, seine Männer bewaffnet und für die Belagerung Roms vorgesorgt. Rom war als Stadtfestung neu erschaffen worden, es gab keinerlei Schwachpunkte mehr an den Mauern. Die Stadt würde standhalten, das wusste er. Sulla würde sich an den Toren aufreiben.
Seine Zenturios waren handverlesen, und der Verlust dieses einen heute Morgen war durchaus ärgerlich. Jeder Mann war aufgrund seiner Flexibilität befördert worden, seiner Fähigkeit, auf neue Situationen zu reagieren, bereit für die Zeit, in der die größte Stadt der Welt ihren eigenen Kindern im Kampf gegenübertrat - sie vernichtete.
Gaius war betrunken. Er stand mit einem vollen Weinbecher am Rand eines Balkons und versuchte, klar aus den Augen zu sehen. Unten im Garten plätscherte ein Brunnen. Mit verschwommenem Blick beschloss er, hinunterzugehen und den Kopf ins Wasser zu stecken. Die Nacht war warm genug.
Drinnen umfing ihn der Lärm des Gelages als tosendes Durcheinander aus Musik, Gelächter und trunkenen Rufen. Es war bereits nach Mitternacht, keiner war mehr nüchtern. Die flackernden Öllampen an den Wänden warfen ein sanftes Licht auf die Zecher.
Eine Frau streifte Gaius und legte ihm kichernd einen Arm um die Schultern, sodass er etwas von dem Rotwein auf den hellen Marmorboden verschüttete. Ihre Brüste waren unverhüllt, und sie zog seine freie Hand auf sie, während sie ihre Lippen auf seinen Mund presste.
Er löste sich von ihr und schnappte nach Luft. Sie nahm ihm den Wein aus der Hand und leerte den Becher mit einem Zug. Dann warf sie ihn über die Schulter, langte nach unten in die Falten seiner Toga und liebkoste ihn mit erotischer Fingerfertigkeit. Er küsste sie wieder und wankte unter ihrem betrunkenen Gewicht zurück, bis sein Rücken an einer Säule unweit des Balkons Halt fand. Er spürte den kalten Stein durch den Stoff.
Die Menge nahm keine Notiz von ihnen. Viele waren nur noch halb bekleidet, und in dem in der Mitte des Raumes eingelassenen Wasserbecken aalten sich nasse Pärchen. Der Gastgeber hatte für etliche Sklavenmädchen gesorgt, doch die Ausschweifungen hatten sich mit zunehmender Trunkenheit ausgeweitet, und zu dieser fortgeschrittenen Stunde nahmen die letzten hundert Gäste so ziemlich alles, was sie bekommen konnten.
Gaius stöhnte, als die Fremde ihren Mund über ihm öffnete, und winkte einem vorübereilenden Sklaven, damit er ihm noch einen Becher Wein brachte. Er ließ ein paar Tropfen auf seine nackte Brust fallen und sah zu, wie die Flüssigkeit bis zu ihrem emsig arbeitenden Mund hinunterrann, wo er ihn geistesabwesend mit den Fingern in ihre weichen Lippen rieb.
Die Musik und das Lachen rings um ihn herum wurden immer lauter. Die Luft war heiß und feucht vom aufsteigenden Dampf der Wasserbecken und dem Licht der Lampen. Er trank den Wein aus und warf den Becher über den Balkon hinunter in die Dunkelheit. Er hörte ihn nicht im Garten aufprallen. Sein fünftes Gelage in zwei Wochen. Eigentlich hatte er gedacht, er wäre zu müde, um schon wieder auszugehen, aber Diracius war bekannt dafür, dass es bei ihm immer besonders wild zuging. Die anderen vier waren erschöpfend gewesen, und ihm war klar, dass dieses hier sein Ende sein könnte. Sein Verstand schien ein wenig entrückt, wie ein Beobachter der sich windenden Knäuel rings um ihn herum. Eigentlich hatte Diracius Recht gehabt, als er sagte, die Feste würden ihm helfen, zu vergessen, aber selbst nach so vielen Monaten war ihm jeder Augenblick mit Alexandria noch so gegenwärtig, dass er ihn jederzeit heraufbeschwören konnte. Was er verloren hatte, war seine Fähigkeit zu staunen und sich an etwas zu erfreuen.