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Ross schrie dem Steuermann zu: »Hart nach Steuerbord!«

Mehr konnte er nicht tun, während er hilflos zusehen mußte, wie das größere Schiff unbarmherzig auf sie zukam.

Mit quälender Langsamkeit, gleichsam widerwillig, drehte der Bug der Foracha bei, und das Hochseeschiff krachte gegen die Steuerbordseite der Bark und scheuerte daran entlang, so daß sie sich schlingernd auf die Seite legte und schließlich im Kielwasser des vorbeifahrenden Schiffes schaukelte.

Ross stand vor Wut zitternd da und starrte dem Schiff hinterher. Der Wind hatte sich unversehens gelegt, die Segel des größeren Schiffes waren erschlafft, und es kam allmählich zum Stillstand.

»Möge der Käpt’n dieses Schiffes weder den Kukkuck noch den Wachtelkönig jemals wiedersehen! Möge die Seekatze ihn holen! Möge er brüllend sterben! Möge er in seinem Grab verfaulen!«

Die Flüche sprudelten nur so aus Ross hervor, als er wutentbrannt dastand und mit der Faust zu dem Schiff hinüber drohte.

»Einen Tod ohne Priester für ihn in einer Stadt ohne Geistlichen .«

»Kapitän!« Die Stimme, die seinen Redefluß unterbrach, war weiblich und ruhig, aber bestimmt. »Ich glaube, Gott hat vorläufig genug Flüche gehört und weiß, daß Ihr aufgebracht seid. Was ist der Grund für Euer Fluchen?«

Ross wirbelte herum. Er hatte vollkommen vergessen, daß unten in der Hauptkajüte der Foracha eine Mitreisende untergebracht war.

Nun stand auf dem Achterdeck neben Odar, dem Steuermann, eine hochgewachsene Nonne und betrachtete ihn mit mißbilligendem Stirnrunzeln. Die junge Frau war groß und wohlproportioniert - eine Tatsache, die selbst die düstere Farbe ihrer Kleidung und der mit Biberpelz besetzte wollene Umhang, der sie fast vollständig verhüllte, nicht verbergen konnten. Widerspenstige Strähnen roten Haares schossen unter ihrer Kopfbedeckung hervor und flatterten im Seewind. Ihre blassen Gesichtszüge waren ebenmäßig und ihre Augen hell, doch ließ sich nur schwer bestimmen, ob sie blau oder grün waren, so sehr veränderten sie je nach Gefühlslage ihre Farbe.

Zu seiner Verteidigung deutete Ross auf das andere Schiff.

»Es tut mir leid, wenn ich Euch gekränkt habe, Schwester Fidelma«, murmelte er. »Aber dieses Schiff dort hätte uns beinahe versenkt.«

Ross wußte, daß es sich bei seiner Mitreisenden nicht um eine gewöhnliche Nonne handelte, sondern um die Schwester von Colgu, dem König von Muman. Sie war, wie er aus früheren Begegnungen wußte, eine ddlaigh, eine Advokatin der Gerichtsbarkeit der fünf Königreiche von Éireann, mit dem Rang einer anruth, der zweithöchsten Qualifikation, die die Universitäten und kirchlichen Hochschulen verleihen konnten.

»Ihr habt mich nicht gekränkt, Ross«, antwortete Fidelma lächelnd. »Obschon Eure Verwünschungen Gott gekränkt haben mögen. Meiner Meinung nach verschwendet man beim Fluchen häufig Energie, die für etwas Sinnvolleres eingesetzt werden könnte.«

Ross nickte widerwillig. In Gesellschaft von Frauen fühlte er sich stets unbehaglich und hatte sich - wohl nicht zuletzt deshalb - für ein Leben auf See entschieden. Einmal war er verheiratet gewesen, doch am Ende hatte seine Frau ihn und ihre gemeinsame Tochter verlassen. Doch selbst seine Tochter, um die er sich fortan kümmerte und die jetzt etwa in Fidelmas Alter sein mußte, hatte ihm den Umgang mit dem anderen Geschlecht nicht erleichtert. In Gesellschaft der jungen Nonne war ihm besonders unwohl. Durch ihr ruhiges, bestimmtes Auftreten fühlte er sich zuweilen wie ein Kind, dessen Benehmen ständig beurteilt wird. Das Schlimmste war, daß sie auch noch recht hatte: den unbekannten Kapitän zu verwünschen half niemandem weiter.

»Was ist der Grund für Euer Fluchen?« wiederholte Fidelma ihre Frage.

Ross gab ihr rasch eine Erklärung und deutete dabei auf das große Hochseeschiff, das jetzt in eine Flaute geraten war.

Fidelma musterte das Schiff neugierig.

»An Bord scheint sich nicht das geringste zu regen, Ross«, bemerkte sie. »Habe ich nicht gehört, wie Ihr gerufen habt?«

»Doch«, erwiderte Ross, »aber ich erhielt keine Antwort.«

Tatsächlich war Ross selbst gerade erst zu dem Schluß gekommen, daß eigentlich jemand an Bord des Schiffes seine barc bemerkt oder seinen Ruf erwidert haben müßte. Brummend wandte er sich an Odar: »Versucht, uns längsseits zu manövrieren.«

Der Steuermann nickte, wendete langsam den Bug der barc und betete, daß es windstill bleiben möge, bis er die gewünschte Position erreicht hatte. Odar war ein schweigsamer Mann und an den Küsten Mumans für seine Geschicklichkeit bekannt. Es dauerte nicht lange, bis sie mit dem Rumpf gegen das größere Schiff stießen und Ross’ Männer nach den Seilen griffen, die an den Seiten herunterhingen.

Schwester Fidelma lehnte auf der anderen Seite der Foracha, wo sie nicht im Wege stand, an der Reling und blickte mit sachlichem Interesse zu dem hochauf-ragenden Schiff hinauf.

»Dem Aussehen nach zu urteilen ein gallisches Handelsschiff«, rief sie Ross zu. »Hängt das Topsegel nicht gefährlich schief?«

Widerwillig warf Ross ihr einen anerkennenden Blick zu. Er hatte es aufgegeben, sich über das Wissen zu wundern, das die junge Advokatin an den Tag legte. Dies war das zweite Mal, daß er sie auf seinem Schiff mitnahm, und inzwischen hatte er sich daran gewöhnt, daß sie über Kenntnisse verfügte, die für ihr Alter höchst ungewöhnlich waren.

»Es stammt aus Gallien, ganz richtig«, bestätigte er. »Die schweren Spanten und die Takelage sind typisch für die Bauweise in den Häfen von Morbihan. Und das Topsegel ist, wie Ihr richtig bemerkt habt, nicht ordnungsgemäß befestigt.«

Er schaute besorgt gen Himmel.

»Verzeiht, Schwester, aber wir müssen an Bord gehen und nachsehen, was da nicht stimmt, bevor wieder Wind aufkommt.«

Fidelma hob die Hand zum Zeichen der Einwilligung.

Ross bedeutete Odar, das Ruder einem anderen Besatzungsmitglied zu überlassen und ihn mit einigen seiner Männer zu begleiten. Behende schwangen sie sich über die Außenseiten, kletterten die Seile hinauf und verschwanden oben an Deck. Fidelma wartete. Sie konnte sie an Bord des größeren Schiffes rufen hören und sah, wie Ross’ Männer eilends in die Takelage stiegen und die Segel einholten, offensichtlich für den Fall, daß wieder Wind aufkam. Bald darauf erschien der Kapitän an der Außenseite des Schiffes, schwang sich hinüber und landete katzengleich auf dem Deck der Foracha. Fidelma bemerkte seinen verwirrten Gesichtsausdruck.

»Was ist los, Ross?« fragte sie. »Wütet etwa eine Krankheit an Bord?«

Ross trat einen Schritt vor. Verriet sein Blick nicht nur Bestürzung, sondern auch heimliche Furcht?

»Schwester, würde es Euch etwas ausmachen, mich auf das gallische Schiff zu begleiten? Ich möchte, daß Ihr es Euch anseht.«

»Ich bin kein Seemann, Ross. Wozu sollte ich es mir ansehen? Wütet irgendeine Krankheit an Bord?« wiederholte sie stirnrunzelnd.

»Nein, Schwester.« Ross zögerte einen Augenblick. Ihm war äußerst unbehaglich zumute. »Um ehrlich zu sein ... es ist niemand dort.«

Nur ihr Blinzeln verriet Fidelmas Überraschung. Schweigend folgte sie Ross zur Außenseite des Schiffes.

»Laßt mich vorausklettern, Schwester, dann kann ich Euch an diesem Tau hinaufziehen.«

Er deutete auf ein Seil, das er zu einer Schlinge band, während er sprach.

»Stellt einfach Euern Fuß in die Schlinge und haltet Euch fest, wenn ich’s Euch sage.«

Er drehte sich um und kletterte am Tau hinauf auf das Deck des Handelsschiffes. Fidelma wurde ohne Zwischenfälle die kurze Strecke hochgezogen. Tatsächlich, an Deck des Schiffes befand sich niemand außer Ross und seiner Mannschaft, die inzwischen die Segel festgezurrt hatte. Einer von Ross’ Männern war an der Ruderpinne postiert, um das Schiff unter Kontrolle zu halten. Fidelma sah sich auf dem verlassenen, aber ordentlichen und sauber geschrubbten Deck neugierig um.