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Der Europäer kletterte hinauf. Ein neuer Tuchballen fiel auf den Ladentisch. Er rollte ihn mit der Fixigkeit der guten alten Zeit auf und schien ganz vergessen zu haben, daß er einer späteren Generation angehörte. Er trug das Stück sogar aus dem Laden ans Licht, kniff die Augen zusammen und sagte: »Eine hervorragende Farbe! Pulverdampf von Navarino mit Flammenschein!«

Das Tuch gefiel; sie einigten sich über den Preis, obwohl dieser »prix fix« war, wie der Kaufmann behauptete. Das Stück wurde mit beiden Händen gewandt abgetrennt. Dann auf echt russische Manier, mit unglaublicher Geschwindigkeit, in Papier eingewickelt. Das Paket machte einige schnelle Drehungen unter dem dünnen Bindfaden, der es wie lebendig umschlang. Die Schere durchschnitt den Bindfaden, und das Paket befand sich schon im Wagen. Der Kaufmann lüftete die Mütze. Einer, der die Mütze zieht . . . die Gründe: Tschitschikow holte aus der Tasche das Geld.

»Zeigen Sie mir schwarzes Tuch«, sagte eine Stimme.

– Hol’s der Teufel, das ist Chlobujew, – sagte sich Tschitschikow und wandte ihm den Rücken, um ihn nicht zu sehen: er hielt es für vernünftiger, einer Auseinandersetzung wegen der Erbschaft aus dem Wege zu gehen. Chlobujew hatte ihn aber schon bemerkt.

»Pawel Iwanowitsch, fliehen Sie vielleicht absichtlich vor mir? Ich konnte Sie nirgends finden, die Dinge liegen aber so, daß wir ernsthaft sprechen müssen.«

»Verehrtester, Verehrtester,« sagte Tschitschikow, ihm beide Hände drückend, »glauben Sie es mir, auch ich möchte mit Ihnen sprechen, finde aber immer keine Zeit.« Dabei dachte er sich aber: – Hol’ dich der Teufel! – Plötzlich erblickte er den in den Laden tretenden Murasow. »Ach, mein Gott, Afanassij Wassiljewitsch! Wie ist das werte Befinden?«

»Und wie geht es Ihnen?« fragte Murasow und zog den Hut. Auch der Kaufmann und Chlobujew zogen ihre Hüte.

»Ich habe Kreuzschmerzen, auch schlafe ich nicht gut. Vielleicht kommt es daher, weil ich mir zu wenig Bewegung mache ...«

Murasow wandte sich aber, statt sich in Erörterungen über den Gesundheitszustand Tschitschikows einzulassen, an Chlobujew: »Ssemjon Ssemjonowitsch, als ich Sie in den Laden treten sah, ging ich Ihnen nach. Ich habe mit Ihnen etwas zu besprechen, wollen Sie mich nicht besuchen?«

»Gewiß, gewiß!« antwortete Chlobujew eilig und verließ mit ihm den Laden.

– Worüber mögen die wohl reden? – fragte sich Tschitschikow.

»Afanassij Wassiljewitsch ist ein ehrwürdiger und kluger Mann,« sagte der Kaufmann, »er kennt sein Geschäft, läßt aber in puncto Aufklärung viel zu wünschen übrig. Ein Kaufmann ist doch ein Negoziant und nicht bloß Kaufmann. Damit hängen auch das Budget und die Reaktion zusammen, sonst führt es zum Pauperismus.« Tschitschikow winkte nur mit der Hand.

»Pawel Iwanowitsch, ich suche Sie überall«, erklang hinter ihm die Stimme Ljenizyns. Der Kaufmann zog respektvoll den Hut.

»Ach, Fjodor Fjodorowitsch!«

»Um Gotteswillen, kommen Sie zu mir, ich muß mit Ihnen reden«, sagte er. Tschitschikow blickte ihn an: er sah ganz verstört aus. Nachdem er mit dem Kaufmann abgerechnet hatte, verließ er den Laden.

»Ich erwarte Sie, Ssemjon Ssemjonowitsch«, sagte Murasow, als er Chlobujew eintreten sah; »ich bitte Sie ins Nebenzimmer.« Und er geleitete Chlobujew ins kleine Zimmer, das dem Leser schon bekannt ist; ein bescheideneres Zimmer hätte man auch bei einem Beamten mit nur siebenhundert Rubel Jahresgehalt nicht finden können.

»Sagen Sie doch, ich meine, Ihre Verhältnisse haben sich jetzt wohl gebessert? Ihre Tante hat Ihnen doch sicher was hinterlassen?«

»Was soll ich Ihnen sagen, Afanassij Wassiljewitsch? Ich weiß selbst nicht, ob sich meine Verhältnisse gebessert haben. Ich habe nur fünfzig Leibeigene und dreißigtausend Rubel bar geerbt und mit diesen einen Teil meiner Schulden bezahlen müssen – so ist mir nichts geblieben. Die Hauptsache aber ist, daß die Geschichte mit der Erbschaft nicht ganz sauber ist. Es stecken manche Gaunereien dahinter, Afanassij Wassiljewitsch! Ich werde es Ihnen gleich erzählen, und Sie werden staunen, was für Dinge vorkommen. Dieser Tschitschikow ...«

»Verzeihen Sie, Ssemjon Ssemjonowitsch; ehe wir über diesen Tschitschikow reden, wollen wir erst Ihre Lage besprechen. Sagen Sie mir: welche Summe wäre wohl nach Ihrer Meinung erforderlich und hinreichend, um Ihnen vollkommen aus der Klemme zu helfen?«

»Meine Verhältnisse sind recht schwierig«, sagte Chlobujew. »Um ganz aus der Klemme zu kommen, alle Schulden zu bezahlen und die Möglichkeit zu haben, ganz bescheiden zu leben, brauche ich mindestens hunderttausend Rubel, wenn nicht mehr – mit einem Worte, ich kann mir nicht helfen.«

»Nun, wenn Sie aber das Geld hätten, wie würden Sie dann Ihr Leben gestalten?«

»Ich würde mir eine kleine Wohnung mieten und mich ganz der Erziehung meiner Kinder widmen. An mich selbst denke ich nicht mehr: meine Karriere ist abgeschlossen, ich kann auch nicht mehr dienen: ich tauge zu nichts mehr.«

»Dann wäre Ihr Leben doch müßig, und ein Müßiggänger unterliegt leicht Versuchungen, die einem beschäftigten Menschen gar nicht einfallen.«

»Ich kann nicht, ich tauge zu nichts mehr: ich bin ganz dumm geworden und habe Kreuzschmerzen.«

»Wie kann man nur ohne Arbeit leben? Wie kann man in der Welt ohne ein Amt, ohne eine Tätigkeit existieren? Ich bitte Sie! Beachten Sie doch jede Kreatur Gottes: eine jede dient zu etwas, eine jede hat ihre Bestimmung. Selbst der Stein existiert nur dazu, um zu etwas verwendet zu werden; ist es aber möglich, daß der Mensch, das vernünftigste Wesen, sein Leben nutzlos verbringe?«

»Nun, ich bleibe doch nicht ganz ohne Arbeit. Ich kann mich mit der Erziehung meiner Kinder befassen.«

»Nein, Ssemjon Ssemjonowitsch, nein! Das ist das allerschwierigste. Wie soll einer, der sich selbst nicht zu erziehen vermochte, seine Kinder erziehen? Man kann die Kinder nur durch das Beispiel seines eigenen Lebens erziehen. Kann aber Ihr Leben als ein Vorbild dienen? Damit sie lernen, ihre Zeit müßig zu verbringen und Karten zu spielen? Nein, Ssemjon Ssemjonowitsch, geben Sie Ihre Kinder mir: Sie können sie nur verderben. Bedenken Sie es doch ernstlich: Sie sind an Ihrem Müßiggang zugrunde gegangen – also müssen Sie ihn fliehen. Wie kann man nur auf der Welt ohne jeden Halt leben? Ein jeder muß doch irgendwelche Pflicht erfüllen. Selbst der Tagelöhner dient. Er ißt sein karges Brot, doch er verdient es mit eigenen Händen und hat Interesse an seiner Tätigkeit.«

»Bei Gott, Afanassij Wassiljewitsch, ich habe es schon probiert, ich habe mich selbst zu überwinden versucht! Was soll ich machen! Ich bin alt geworden und zu nichts mehr fähig. Was soll ich nun anfangen! Soll ich denn wirklich in den Staatsdienst treten? Wie kann ich mich mit meinen fünfundvierzig Jahren an den gleichen Tisch mit den jüngsten Kanzleibeamten zu setzen? Auch bin ich nicht fähig, mich bestechen zu lassen – ich werde nur mir selbst und auch den anderen schaden. In den Kanzleien haben sich schon eigene Kasten gebildet. Nein, Afanassij Wassiljewitsch, ich habe schon nachgedacht, ich habe alles versucht und alles durchgenommen, aber ich tauge zu nichts. Höchstens passe ich in ein Altersheim ...«

»Das Altersheim ist für solche bestimmt, die gearbeitet haben; denjenigen aber, die sich in ihrer Jugend nur amüsiert haben, sagt man dasselbe, was die Ameise in der Fabel zur Grille sagt: ›Geh und tanz’!‹ Und selbst im Altersheim wird gearbeitet und nicht Whist gespielt. Ssemjon Ssemjonowitsch,« sagte Murasow, ihm durchdringend ins Gesicht blickend, »Sie betrügen sich und mich.«

Murasow sah ihm unverwandt ins Gesicht; doch der arme Chlobujew konnte ihm nichts antworten, und Murasow spürte Mitleid mit ihm.

»Hören Sie mal, Ssemjon Ssemjonowitsch ... Sie beten doch, Sie gehen zur Kirche, Sie versäumen, wie ich weiß, keine Frühmesse und keinen Abendgottesdienst. Sie haben zwar wenig Lust, früh aufzustehen, aber Sie stehen doch auf und gehen zur Kirche um vier Uhr früh, wo alle schlafen.«