»Das ist eine andere Sache, Afanassij Wassiljewitsch. Ich weiß, daß ich es nicht für die Menschen tue, sondern für den, der uns allen das Leben befohlen hat. Was soll ich machen! Ich glaube, daß Er mir gnädig ist, daß Er, so schlecht und häßlich ich auch bin, mir verzeihen und mich aufnehmen wird, während die Menschen mich mit dem Fuße fortstoßen und der beste meiner Freunde mich verrät und hinterher noch sagt, er hätte mich eines guten Zwecks wegen verraten.«
Chlobujews Gesicht zeigte einen bitteren Ausdruck. Der Alte vergoß einige Tränen, ohne jedoch . . .
»Dienen Sie dann Dem, der so barmherzig ist. Ihm ist die Arbeit ebenso gefällig wie das Gebet. Übernehmen Sie irgendeine Beschäftigung, doch so, als täten Sie es für Ihn und nicht für die Menschen. Und wenn es auch die nutzloseste Tätigkeit ist, denken Sie aber dann, daß Sie es für Ihn tun. Das hat schon den einen Nutzen, daß Ihnen dann keine Zeit bleibt, Böses zu tun, keine Zeit, um Geld im Kartenspiel zu verlieren, mit Fressern zu schlemmen und sich in Salons herumzutreiben. Ach, Ssemjon Ssemjonowitsch! Kennen Sie den Iwan Potapytsch?«
»Ich kenne und schätze ihn.«
»Was war der für ein guter Kaufmann; er besaß eine halbe Million; als er aber sah, daß ihm alles gelang, ließ er sich gehen. Seinem Sohn gab er französischen Unterricht und verheiratete seine Tochter mit einem General. Nie saß er mehr in seinem Laden, nie sah man ihn auf der Börse; er suchte nur, einen Freund zu treffen und mit ihm ins Wirtshaus zum Teetrinken zu gehen; tagelang trank er Tee, und die Sache endete mit einem Bankerott. Da schickte ihm aber Gott ein Unglück: sein Sohn . . . Jetzt dient er bei mir im Geschäft als Kommis. Er hat ganz von Anfang angefangen. Jetzt geht es ihm besser. Er könnte wieder handeln und vielleicht auch fünfhunderttausend Rubel umsetzen. Aber er sagt: ›Ich war Kommis und will als Kommis sterben. Jetzt bin ich frisch und gesund, aber damals hatte ich einen dicken Bauch und hätte beinahe die Wassersucht gekriegt ... Nein!‹ sagt er. Jetzt nimmt er keinen Schluck Tee in den Mund. Ißt nichts als Kohlsuppe und Grütze, jawohl! Er betet so andächtig, wie keiner von uns; gibt auch Almosen, wie keiner von uns; ein anderer möchte wohl gerne den Armen helfen, hat aber schon sein ganzes Geld durchgebracht.«
Der arme Chlobujew wurde nachdenklich.
Der Alte ergriff seine beiden Hände. »Ssemjon Ssemjonowitsch! Wenn Sie nur wüßten, wie leid Sie mir tun! Ich habe die ganze Zeit an Sie gedacht. Hören Sie also. Sie wissen, hier im Kloster lebt ein Mönch, der sich keinem Menschen zeigt. Er ist ein Mann von großem Verstand, von einem solchen Verstand, daß ich es Ihnen gar nicht sagen kann. Er spricht nie, aber wenn er mal einem einen Rat gibt ... Ich fing ihm zu erzählen an, daß ich so einen Freund habe, doch seinen Namen . . . daß er daran kranke. Er hörte mir zu und unterbrach mich mit den Worten: ›Zuerst muß man an Gottes Sache denken und dann an die seinige. Man baut eine Kirche, hat aber kein Geld: man muß Geld für den Kirchenbau sammeln!‹ Und er schlug die Türe zu. Ich frage mich, was das wohl zu bedeuten habe. Offenbar will er keinen Rat geben. Nun ging ich zum Archimandriten. Kaum war ich bei ihm eingetreten, als er mich gleich fragte, ob ich nicht einen Menschen wüßte, dem man den Auftrag geben könne, Geld für den Kirchenbau zu sammeln; der Mann müßte entweder vom Adel oder aus dem Kaufmannsstande und wohlerzogener als die anderen sein; er müßte diesen Auftrag als seine Rettung auffassen. Ich war ganz bestürzt. Ach, mein Gott! Der Mönch hat ja dieses Amt für Ssemjon Ssemjonowitsch ausersehen. Die Wanderschaft ist für seine Krankheit sehr gut. Wenn er mit dem Sammelbuch vom Gutsbesitzer zum Bauern und vom Bauern zum Kleinbürger kommt, wird er erfahren, wie jedermann lebt und was jedermann braucht; wenn er einige Gouvernements durchwandert hat und heimkehrt, so wird er das Land besser kennen als alle Menschen, die in den Städten wohnen ... Solche Menschen brauchen wir jetzt. Da hat mir auch der Fürst neulich gesagt, er gäbe viel dafür, wenn er einen Beamten auftreiben könnte, der die Angelegenheit nicht aus den Akten kennt, sondern wie sie in Wirklichkeit ist, denn aus den Akten kann man, wie es heißt, nichts mehr ersehen: so verwickelt ist die ganze Geschichte.«
»Sie haben mich vollkommen verwirrt, Afanassij Wassiljewitsch«, sagte Chlobujew, ihn erstaunt anblickend. »Ich kann gar nicht glauben, daß Sie sich damit an mich wenden: dazu braucht man einen unermüdlichen, tatkräftigen Menschen. Und wie soll ich dann auch Frau und Kinder zurücklassen, die nichts zu essen haben?«
»Um Ihre Gattin und Ihre Kinder brauchen Sie sich nicht zu sorgen. Die nehme ich auf mich, und Ihre Kinder sollen Lehrer bekommen. Es ist doch edler und besser, für Gott zu bitten, als für sich selbst zu betteln. Ich werde Ihnen einen einfachen Wagen geben; vor dem Rütteln brauchen Sie keine Angst zu haben: das ist gut für Ihre Gesundheit. Ich werde Ihnen auch Geld mitgeben, damit Sie unterwegs denen geben können, die mehr Not als die anderen leiden. Sie können viele gute Werke tun: Sie werden keine Fehler machen und nur solchen geben, die wirkliche Not leiden. Wenn Sie so durchs Land fahren, werden Sie alle genau kennenlernen, auch wer . . . Das ist doch was ganz anderes, als wenn es ein Beamter tut, den alle fürchten und von dem . . .; mit Ihnen aber wird man gerne ins Gespräch kommen, wenn man weiß, daß Sie für den Kirchenbau sammeln.«
»Ich sehe, es ist ein vortrefflicher Gedanke, und ich möchte sehr gern auch nur einen Teil davon ausführen; aber ich glaube wirklich, es geht über meine Kraft.«
»Was entspricht denn unserer Kraft?« sagte Murasow. »Es gibt doch nichts, was unseren Kräften entspräche; alles geht über unsere Kraft. Ohne Hilfe von oben kann man überhaupt nichts anfangen. Doch das Gebet verleiht uns Kräfte. Der Mensch bekreuzigt sich, sagt: ›Herr, sei mir gnädig!‹, rudert mit den Armen und schwimmt ans Ufer. Darüber soll man nicht lange nachdenken; man muß es einfach als Gottes Willen hinnehmen. Der Wagen wird für Sie gleich fertig sein; gehen Sie nur zum Archimandriten, um das Sammelbuch und seinen Segen zu holen, und machen Sie sich dann gleich auf den Weg.«
»Ich gehorche und nehme es als eine göttliche Fügung auf.« – Herr, segne mich! – sagte er zu sich selbst und fühlte, wie ihm Kraft und Mut ins Herz drangen. Sein Geist erwachte gleichsam aus dem Schlafe, von der Hoffnung auf einen Ausweg aus seiner traurigen Lage geweckt. Ein Licht winkte ihm in der Ferne ...
Wir wollen aber Chlobujew verlassen und uns zu Tschitschikow wenden.*)Hier endet der von Gogol überarbeitete Text und beginnt die ursprüngliche, nicht überarbeitete Fassung.
Indessen liefen bei den Gerichten immer neue Klagen und Gesuche ein. Es meldeten sich Verwandte, von denen niemand etwas gehört hatte. Wie die Vögel sich auf ein Aas stürzen, so stürzte sich alles auf das Riesenvermögen, das die Alte hinterlassen hatte; es kamen Anzeigen gegen Tschitschikow, man erklärte, daß das letzte Testament gefälscht sei, daß auch das erste gefälscht sei, man bezichtigte ihn des Diebstahls und der Unterschlagung großer Summen. Man brachte sogar Beweise vor, daß Tschitschikow tote Seelen gekauft und während seiner Anstellung im Zollamte Konterbande durchgeschmuggelt habe. Man wühlte alles auf und erfuhr sein ganzes Vorleben. Gott allein weiß, wie man das alles erfahren hatte, es kamen aber auch solche Dinge auf, von denen Tschitschikow glaubte, daß sie keinem Menschen außer ihm und seinen vier Wänden bekannt seien. Vorläufig wurde das alles vom Gericht geheimgehalten und kam ihm nicht zu Ohren, obwohl ihm ein vertrauliches Billett seines Rechtsbeistandes, das er bald darauf erhielt, zu verstehen gab, daß der Tanz begonnen hatte. Das Billett war ganz kurz: »Ich beeile mich, Sie zu benachrichtigen, daß es viele Scherereien geben wird, merken Sie sich aber, daß Sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Die Hauptsache ist Ruhe. Wir werden schon alles machen.« Dieses Billett beruhigte ihn vollkommen. »Wirklich ein Genie!« sagte Tschitschikow. Um das Schöne noch zu vervollständigen, brachte ihm der Schneider den Anzug. Er verspürte große Lust, sich in dem neuen Frack von der Navarinoschen Flammenfarbe mit Pulverrauch zu sehen. Er zog die Hose an, die seine Beine so wunderbar umspannte, daß man sie malen könnte. Das Tuch schmiegte sich wunderbar um die Schenkel, um die Waden und um alle Details und verlieh ihnen eine noch größere Elastizität. Als er hinten die Schnalle anzog, wurde sein Bauch zu einer Trommel. Er schlug mit der Kleiderbürste darauf und sagte: »So ein Narr, wirkt aber im ganzen doch sehr malerisch.« Der Frack schien noch besser zu sitzen als die Hose: nirgends gab es eine Falte, die Hüften waren vollkommen umspannt, und die Taille war schön geschwungen. Auf Tschitschikows Bemerkung, daß es in der rechten Achsel etwas spanne, lächelte der Schneider bloß: deswegen sitzt der Frack in der Taille noch besser. »Sie können wegen der Arbeit ganz unbesorgt sein,« sagte der Schneider mit unverhohlenem Triumph, »außer in Petersburg wird man Ihnen nirgends so einen Frack machen können.« Der Schneider stammte selbst aus Petersburg und hatte auf seinem Schild stehen: »Ausländer aus London und Paris«. Er verstand keinen Spaß und wollte mit diesen beiden Städten allen anderen Schneidern den Mund verstopfen, damit in Zukunft keiner mit solchen Städten komme; sollen die anderen nur »Karlsruhe« oder »Kopenhagen« auf ihre Schilder setzen.