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Nur der ausgedehnte alte Garten hinter dem Hause, der sich über das Dorf hinaus erstreckte und schließlich in den Feldern verlor, verwildert und vernachlässigt, schien allein dieses große Dorf zu beleben und bot in seiner malerischen Verwilderung den einzigen schönen Anblick. In grünen Wolken und unregelmäßigen, aus zitterndem Laube bestehenden Kuppeln hoben sich die ineinandergewachsenen Wipfel der in Freiheit verwilderten Bäume vom Himmel ab. Der weiße kolossale Stamm einer Birke, die von einem Sturm oder Gewitter ihres Wipfels beraubt worden war, ragte aus diesem grünen Dickicht empor und rundete sich in der Luft wie eine glänzende regelmäßige Marmorsäule; die schiefe spitze Bruchstelle, die sie oben statt eines Kapitals bekrönte, saß auf dem blendenden Weiß wie eine Mütze oder wie ein schwarzer Vogel. Der Hopfen, der unten die Holunder-, Ebereschen- und Haselnußstauden erstickte und dann längs des Zaunes kletterte, lief den Birkenstamm hinauf und umrankte ihn bis zur Mitte. Nachdem er die Mitte erreicht hatte, fiel er von da ab und klammerte sich zum Teil an die Wipfel anderer Bäume fest oder hing zum Teil in feinen, zähen Ranken, die in der Luft leise bebten, herab. Das von der Sonne beschienene grüne Dickicht öffnete stellenweise einen Ausblick in die unbeleuchtete Tiefe, die wie ein dunkler Rachen gähnte; sie war ganz vom Schatten umschlungen, und in der schwarzen Tiefe schimmerten kaum sichtbar: ein schmaler Fußpfad, ein eingestürztes Geländer, eine baufällige Laube, ein hohler, morscher Weidenstamm, graues Akaziengebüsch, das hinter der Weide seine in der furchtbaren Enge verdorrten, durcheinandergeflochtenen und gekreuzten Blätter und Äste hervorstreckte, und schließlich ein junger Ahornast, dessen tatzenförmige Blätter seitwärts hervorlugten und von denen das eine, von der Gott weiß wieso hineingeratenen Sonne durchdrungen, durchsichtig und feurig in diesem dichten Dunkel glühte. Etwas seitwärts, am Rande des Gartens, trugen einige hohe, alle anderen Bäume überragende Espen auf ihren zitternden Wipfeln riesige Krähennester. Einige von ihnen ließen abgebrochene, doch noch nicht ganz losgelöste Äste mit den verdorrten Blättern herabhängen. Mit einem Worte – alles war so schön, wie es sonst weder die Natur noch die Kunst zu erfinden vermögen und wie es nur dann der Fall ist, wenn sie sich miteinander verbünden: wenn die Natur über das oft sinnlos aufgetürmte Menschenwerk mit seinem Meißel nachgefahren ist, die schweren Massen leichter gemacht, die rohe Symmetrie und die dürftigen Lücken vernichtet hat, durch die der unverhüllte, nackte Plan hervorlugt, und allem, was in der Kühle abgemessener Genauigkeit und Reinlichkeit entstanden ist, eine wunderbare Wärme verliehen hat.

Nach einer oder zwei Wendungen kam unser Held dicht vor das Haus, das jetzt einen noch traurigeren Eindruck machte. Das morsche Holz des Tores und Zaunes war schon vom grünen Schimmel überzogen. Eine ganze Menge sichtlich zerfallender Baulichkeiten – Gesindegebäude, Scheunen und Schuppen – füllte den Hof. Alles zeugte davon, daß hier einst eine große Wirtschaft betrieben worden war, und alles blickte jetzt düster drein. Nichts belebte das Bild: weder sich auftuende Türen, noch aus den Häusern tretende Menschen, noch irgendwelche lebendige Hausarbeit! Nur das Haupttor allein stand offen, und auch das nur aus dem Grunde, weil eben ein Bauer mit vollbeladenem, mit Bastmatten zugedecktem Wagen wie eigens zur Belebung dieser ausgestorbenen Stätte hereingefahren war. Zu anderer Zeit war wohl auch dieses Tor fest verschlossen, denn in der eisernen Klammer hing ein riesengroßes Vorhängeschloß. Vor einem der Gebäude bemerkte Tschitschikow eine Gestalt, die mit dem Bauern, der eben mit seinem Wagen gekommen war, sofort Streit anfing. Lange konnte er das Geschlecht dieser Gestalt nicht erkennen: ob es ein Mann oder ein Weib war. Die Kleidung, die sie anhatte, war höchst unbestimmt und glich am ehesten einem Frauenmorgenrock; auf dem Kopfe hatte sie eine spitze Haube, wie sie die leibeigenen Bauernweiber zu tragen pflegen; nur die Stimme kam ihm für ein Frauenzimmer etwas zu rauh vor. »Weiß Gott, ein Weibsbild!« sagte er sich, fügte aber gleich hinzu: »Weiß Gott, doch kein Weibsbild!« – »Natürlich ein Weibsbild!« sagte er endlich, nachdem er die Gestalt genauer betrachtet hatte. Auch die Gestalt musterte ihn ihrerseits ebenso aufmerksam. Der Gast erschien ihr wohl wie ein Wunder, denn sie musterte nicht nur ihn, sondern auch Sselifan und die Pferde vom Schwanze bis zur Schnauze. Nach dem Schlüsselbund, den sie am Gürtel hängen hatte, und den kräftigen Schimpfworten, mit denen sie den Bauern traktierte, schloß Tschitschikow, daß es die Wirtschafterin sein müsse.

»Hör’ mal, Mütterchen,« sagte er, aus dem Wagen steigend, »ist der Herr ...?«

»Er ist nicht zu Hause«, unterbrach ihn die Wirtschafterin, ohne das Ende der Frage abzuwarten; nach einer Weile fügte sie hinzu: »Was wollen Sie denn?«

»Es ist eine geschäftliche Angelegenheit.«

»Dann treten Sie bitte ins Haus!« sagte die Wirtschafterin. Sie wandte ihm ihren Rücken zu, der mit Mehl beschmiert war und etwas tiefer ein recht großes Loch hatte.

Tschitschikow trat in den großen dunklen Flur, aus dem es ihn kalt wie aus einem Keller anwehte. Aus dem Flur kam er in ein ebenso dunkles Zimmer, das nur aus dem breiten Spalt unten an der Türe sein Licht erhielt. Er öffnete diese Türe und kam in einen hellen Raum. Die hier herrschende Unordnung machte ihn stutzig. Es sah so aus, als ob man im ganzen Hause die Böden scheuerte und sämtliche Möbel zeitweise hier untergebracht hätte. Auf dem einen Tisch stand sogar ein zerbrochener Stuhl und neben diesem eine Uhr, deren Pendel stille stand und an den eine Spinne bereits ihr Gewebe befestigt hatte. Hier stand auch, an die Wand gelehnt, ein Schrank mit altertümlichem Silber, Karaffen und chinesischem Porzellan. Auf dem Sekretär, dessen Perlmuttermosaik stellenweise herausgefallen war und nur gelbe, mit trockenem Leim gefüllte Lücken zurückgelassen hatte, lag allerlei Kram durcheinander: ein Haufen eng beschriebener Zettel unter einem grün angelaufenen marmornen Briefbeschwerer mit einem kleinen Ei oben, ein altertümliches Buch in Ledereinband mit Rotschnitt, eine ganz ausgetrocknete Zitrone, kaum größer als eine Walnuß, eine abgebrochene Sessellehne, ein mit einem Brief zugedecktes Likörglas mit einer Flüssigkeit, in der drei Fliegen schwammen, ein Stück Siegellack, ein kleiner, irgendwo aufgelesener Lumpen, zwei mit Tinte beschmierte Schreibfedern, so trocken, wie wenn sie die Schwindsucht hätten, und ein gelber Zahnstocher, mit dem sein Besitzer wohl noch vor der Invasion der Franzosen in Moskau in seinen Zähnen gestochert hatte.

An den Wänden hingen ohne jedes System mehrere Bilder eng durcheinander. Ein vergilbter Stich, der irgendeine Schlacht darstellte, mit riesengroßen Trommeln, schreienden Soldaten mit Dreispitzen auf den Köpfen und ertrinkenden Pferden; der Stich steckte in einem Mahagonirahmen mit schmalen Bronzestreifen und runden Bronzeverzierungen an den vier Ecken, doch ohne Glas. Neben ihm nahm ein riesengroßes, fast schwarzes Ölbild, auf dem Blumen, Früchte, eine zerschnittene Melone, ein Wildschweinkopf und eine mit dem Kopf nach unten hängende Ente dargestellt waren, die halbe Wand ein. Von der Mitte der Decke hing ein in einem Leinensack steckender Kronleuchter herab, der so furchtbar verstaubt war, daß er dem Kokon einer Seidenraupe glich. In einem Winkel des Zimmers war ein Haufen von gröberen Gegenständen aufgestapelt, die es wohl nicht verdienten, auf dem Tische zu liegen. Was sich alles in diesem Haufen befand, war schwer zu sagen, denn das Ganze war so dick mit Staub bedeckt, daß jede Hand, die die Sachen berührte, sofort eine Art Handschuh bekam; am deutlichsten waren darin ein abgebrochenes Stück von einer hölzernen Schaufel und eine alte Stiefelsohle zu unterscheiden. Man würde niemals glauben, daß dieses Zimmer von einem lebenden Wesen bewohnt werde, wenn nicht eine alte abgetragene Mütze, die auf dem Tische lag, davon zeugte. Während Tschitschikow die seltsame Ausstattung des Zimmers studierte, ging eine Seitentüre auf, und die gleiche Wirtschafterin, die er schon auf dem Hofe gesehen hatte, trat ins Zimmer. Nun merkte er aber, daß es eher ein Hausverwalter als eine Wirtschafterin war: eine Wirtschafterin pflegt sich wenigstens nicht den Bart zu rasieren, dieser aber rasierte sich den Bart, und zwar wohl sehr selten, denn das ganze Kinn und die untere Hälfte der Wange glichen einer Drahtbürste, mit der man die Pferde zu striegeln pflegt. Tschitschikow nahm einen fragenden Ausdruck an und wartete mit Spannung, was der Hausverwalter ihm wohl sagen würde. Der Hausverwalter wartete seinerseits, was ihm Tschitschikow sagen wollte. Diese beiderseitige Verlegenheit machte Tschitschikow stutzig, und er entschloß sich, zu fragen: