Tschitschikow erklärte sich bereit, die Sache augenblicklich abzuschließen und bat nur um eine Liste aller Bauern.
Dies beruhigte Pljuschkin. Es war ihm anzusehen, daß er etwas vorhatte; und in der Tat: er nahm den Schlüsselbund, ging mit ihm zum Schrank, kramte lange zwischen den Gläsern und Tassen herum und erklärte schließlich: »Jetzt finde ich ihn nicht, ich hatte einen wunderbaren Likör, wenn die Leute ihn nur nicht ausgesoffen haben: es sind ja lauter Diebe! Da habe ich ihn schon!« Tschitschikow erblickte in seinen Händen ein Fläschchen, das so verstaubt war, daß es in einer Wolljacke zu stecken schien. »Meine Selige hat ihn selbst gemacht«, fuhr Pljuschkin fort. »Die Haushälterin, diese Betrügerin, hat sich um ihn nicht gekümmert und ihn nicht mal zugekorkt, die Kanaille! Allerlei Gewürm und sonstiger Dreck hatte sich drin angesammelt, aber ich habe alles herausgenommen, und nun ist der Likör wieder rein. Ich will Ihnen ein Gläschen einschenken.«
Tschitschikow beeilte sich aber, auf diesen feinen Likör zu verzichten, und erklärte, daß er schon gegessen und getrunken habe.
»So, schon gegessen und getrunken!« sagte Pljuschkin. »Ja, natürlich, einen Mann aus der guten Gesellschaft erkennt man überalclass="underline" er ißt nicht, ist aber immer satt; aber so einen Windbeutel und Schwindler kann man ewig füttern ... Wenn der Hauptmann gefahren kommt, so sagt er gleich: »Onkelchen«, sagt er, »geben Sie mir etwas zu essen!« Dabei bin ich ebenso sein Onkel, wie er mein Großvater ist. Bei sich zu Hause hat er wohl nichts zu essen, darum treibt er sich herum! Sie brauchen also eine Liste von all diesen Tagedieben? Gewiß! Ich habe sie schon einmal, so gut ich’s konnte, auf einen eigenen Zettel geschrieben, um sie bei der nächsten Revision streichen zu lassen.« Pljuschkin setzte sich die Brille auf und begann in den Papieren herumzukramen. Indem er einen Pack nach dem anderen aufschnürte, traktierte er seinen Gast mit solchen Staubwolken, daß dieser niesen mußte. Schließlich holte er einen Zettel hervor, der auf beiden Seiten eng beschrieben war. Die Bauernnamen saßen drauf wie die Fliegen. Es waren allerlei Namen darunter: ein Paramonow, ein Pimenow und ein Pantelejmonow; selbst ein gewisser Grigorij Dojesschaj-ne-dojedesch (kommst niemals an) war darunter; im ganzen waren es über hundertzwanzig Namen. Als Tschitschikow diese Zahl sah, lächelte er zufrieden. Er steckte den Zettel in die Tasche und erklärte Pljuschkin, daß er zum Abschluß des Kaufvertrages in die Stadt werde fahren müssen.
»In die Stadt? Wie mache ich es nur? ... Wie soll ich das Haus ohne Aufsicht lassen? Alle meine Leute sind entweder Diebe oder Spitzbuben: an einem einzigen Tage bestehlen sie mich so, daß nicht mal ein Nagel übrigbleibt, an dem ich meinen Rock aufhängen könnte.«
»Haben Sie denn keinen Bekannten in der Stadt?« »Einen Bekannten? Alle meine Bekannten sind entweder tot oder wollen mich nicht mehr kennen ... Ach ja, Väterchen, gewiß habe ich einen Bekannten!« rief er aus. »Ich kenne ja den Kammervorsitzenden, vor vielen Jahren pflegte er mich sogar zu besuchen. Wie sollte ich den nicht kennen? Wir sind doch an der gleichen Krippe aufgewachsen, sind zusammen über die Zäune geklettert! Wie sollte ich den nicht kennen? Einen besseren Bekannten gibt’s ja gar nicht! ... Soll ich ihm vielleicht einen Brief schreiben?«
»Natürlich schreiben Sie ihm einen Brief!«
»Gewiß, ein guter Bekannter von mir! In der Schule waren wir Freunde.«
Über das hölzerne Gesicht Pljuschkins glitt plötzlich ein warmer Strahl; es war kein Gefühl, sondern nur eine blasse Spiegelung eines Gefühls: die Erscheinung erinnerte an das unerwartete Auftauchen eines Ertrinkenden auf der Wasseroberfläche, das einen freudigen Aufschrei in der Menge, die sich am Ufer drängt, auslöst; doch vergebens werfen die erfreuten Brüder und Schwestern einen Strick aus und warten, ob nicht wieder der Rücken und die im Kampf ermüdeten Arme zum Vorschein kommen: es war sein letztes Auftauchen. Alles ist stumm, und noch schrecklicher und öder wird die stille Oberfläche des gleichgültigen Elements. So wurde auch das Gesicht Pljuschkins, nachdem der Abglanz eines Gefühls darüber gehuscht war, noch gefühlloser und hölzerner.
»Da hat auf dem Tische ein Bogen reines Papier gelegen«, sagte er: »Ich weiß nicht, wo es hingekommen ist: alle meine Leute taugen nichts!« Hierauf suchte er unter dem Tische und auf dem Tische, wühlte überall herum und rief schließlich: »Mawra! Mawra!« Auf den Ruf erschien eine Frau mit einem Teller in der Hand, auf dem der dem Leser schon bekannte Zwieback lag. Zwischen den beiden wickelte sich folgendes Gespräch ab:
»Räuberin, wo hast du das Papier hingetan?«
»Bei Gott, Herr, ich habe kein Papier gesehen, außer dem Stückchen, mit dem Sie das Schnapsglas zugedeckt haben.«
»Ich sehe es dir ja an den Augen an, daß du es gestohlen hast.«
»Wozu sollte ich es stehlen? Was hätte ich davon: ich kann ja gar nicht schreiben.«
»Du lügst, du hast es zum jungen Küster hingetragen, der versteht zu schreiben, darum hast du es ihm gegeben.«
»Wenn der Küster Papier braucht, so kann er sich selbst welches verschaffen. Ihr Papier hat er nicht vor die Augen bekommen!«
»Warte nur, warte: beim Jüngsten Gericht werden dich die Teufel schon mit glühenden Eisen zwicken! Du wirst es sehen, wie sie dich zwicken werden!«
»Was werden sie mir tun, wenn ich den Bogen nicht mal angerührt habe? Jede andere weibliche Schwäche kann man mir eher vorwerfen, aber Diebstahl hat mir noch niemand vorgeworfen.«
»Die Teufel werden dich aber zwicken! Sie werden sagen: ›Das hast du dafür, du Spitzbübin, daß du deinen Herrn betrogen hast!‹, und sie werden dich mit den glühenden Eisen zwicken!«
»Und ich werde darauf sagen: ›Ich habe es nicht verdient, bei Gott, ich habe es nicht verdient: ich habe das Papier nicht angerührt ...‹ Da liegt es ja auf dem Tisch. Immer machen Sie mir unverdiente Vorwürfe!«
Pljuschkin erblickte tatsächlich das Papier und hielt für eine Weile inne. Er kaute mit den Lippen und sagte: »Was bist du so aus dem Häuschen geraten? So ein Frauenzimmer! Wenn man ihr bloß ein Wort sagt, gibt sie gleich zehn zur Antwort! Geh, bring mir Feuer, damit ich den Brief versiegeln kann. Wart! Du wirst wohl eine Talgkerze nehmen; Talg schmilzt leicht: das Licht verbrennt, und es bleibt nichts übrig, und ich habe nur Schaden davon; bring mir lieber einen Kienspan!«
Mawra ging, Pljuschkin setzte sich aber in den Sessel, ergriff die Feder und drehte das Blatt lange hin und her, um festzustellen, ob sich nicht die Hälfte davon ersparen ließe; schließlich kam er zur Überzeugung, daß es doch nicht ging; er tauchte die Feder in das Tintenfaß mit einer verschimmelten Flüssigkeit und einer Menge von Fliegen auf dem Grunde und begann zu schreiben. Er malte Buchstaben, die an Musiknoten gemahnten, hemmte fortwährend den Schwung, in den seine Hand geraten war, setzte dicht Zeile an Zeile und dachte nicht ohne Bedauern daran, daß doch noch ein leerer Raum übrigbleiben mußte.
Konnte denn ein Mensch zu einer solchen häßlichen Kleinlichkeit herabsinken? Konnte er sich so verändern? Ist das überhaupt wahrscheinlich? – Alles ist wahrscheinlich, alles kann aus dem Menschen werden. Der begeisterte Jüngling von heute würde entsetzt zurückprallen, wenn man ihm sein Altersbild vorhalten wollte. Nehmt darum, wenn ihr aus den sanften Jünglingsjahren in das rauhe, härtende Mannesalter tretet, alle menschlichen Regungen mit, lasset nichts unterwegs liegen: ihr werdet es später nicht mehr auflesen können! Drohend und schrecklich ist das nahende Alter, und es wird euch nichts zurückgeben! Das Grab ist barmherziger, auf dem Grabsteine steht geschrieben: »Hier ruht ein Mensch«; doch nichts ist auf den kalten, gefühllosen Zügen des unmenschlichen Greisenalters zu lesen.
»Haben Sie vielleicht zufällig einen Freund,« fragte Pljuschkin, den Brief zusammenfaltend, »der entlaufene Seelen brauchen könnte?«
»Haben Sie denn auch entlaufene Seelen?« fragte Tschitschikow, wieder zur Besinnung kommend.