»Das ist es eben, daß ich welche habe. Mein Schwiegersohn ist der Sache nachgegangen und sagt, daß die Leute spurlos verschwunden sind; er ist aber ein Militär und versteht nur, mit den Sporen herumzuspringen; wenn es aber gilt, sich beim Gericht zu bemühen ...«
»Wieviel solche Seelen haben Sie?«
»Es werden wohl auch an die siebzig Stück sein.«
»Nein, wirklich?«
»Bei Gott! Jedes Jahr laufen mir welche davon. Die Leute sind furchtbar gefräßig und haben sich vor lauter Nichtstun das Fressen angewöhnt, ich habe aber selbst fast nichts zu essen ... Für diese Seelen würde ich jeden Preis nehmen. Empfehlen Sie es doch Ihrem Freunde: wenn er bloß zehn Stück von den entlaufenen Seelen einfängt, so hat er eine hübsche Summe verdient. Eine Seele gilt doch heute fünfhundert Rubel.«
– Nein, davon soll der Freund nichts zu riechen bekommen, – sagte sich Tschitschikow und erklärte Pljuschkin, daß er einen solchen Freund nicht habe, daß die Gerichtskosten alles aufzehren würden: man lasse dem Gerichtsbeamten lieber seine beiden Rockschöße zurück und mache, daß man weiterkomme; wenn aber Pljuschkin sich tatsächlich in einer so bedrängten Lage befinde, so sei er aus bloßer Teilnahme bereit, für diese Seelen einen Preis zu bieten ... das sei aber eine solche Bagatelle, daß es sich darüber nicht zu reden verlohne.
»Wieviel würden Sie denn geben?« fragte Pljuschkin. Seine Hände zitterten vor Habgier wie Quecksilber.
»Ich würde fünfundzwanzig Kopeken für die Seele zahlen.«
»Wie kaufen Sie: gegen bar?«
»Ja, ich zahle sofort.«
»Väterchen, meiner Armut wegen könnten Sie mir wirklich vierzig Kopeken pro Stück zahlen.«
»Verehrtester!« sagte Tschitschikow, »nicht nur vierzig Kopeken, fünfhundert Rubel würde ich Ihnen gern zahlen. Mit Vergnügen würde ich sie Ihnen zahlen, denn ich sehe, daß ein ehrwürdiger, guter Greis wegen seiner Gutmütigkeit solche Not leidet.«
»So ist es, bei Gott! Bei Gott, es ist wahr!« sagte Pljuschkin, indem er den Kopf hängen ließ und ihn traurig schüttelte. »Alles kommt von meiner Gutmütigkeit.«
»Nun sehen Sie es, ich habe Ihren Charakter im Nu erfaßt. Warum sollte ich nicht auch fünfhundert Rubel für die Seele geben, aber ... ich habe kein Vermögen. Wenn Sie wollen, kann ich noch fünf Kopeken zulegen, so daß jede Seele auf dreißig Kopeken zu stehen kommt.«
»Nun, Väterchen, wie Sie wollen, legen Sie wenigstens noch zwei Kopeken dazu.«
»Zwei Kopeken will ich gerne zulegen. Wie viele Seelen haben Sie im ganzen? Sie sprachen, glaube ich, von siebzig Stück?«
»Nein, es werden im ganzen achtundsiebzig sein.«
»Achtundsiebzig, achtundsiebzig, zu zweiunddreißig Kopeken pro Seele, das macht ...« Unser Held dachte kaum mehr als eine Sekunde nach und erklärte plötzlich: »Das macht vierundzwanzig Rubel sechsundneunzig Kopeken!« Er war sehr stark im Kopfrechnen. Er ließ sich sofort von Pljuschkin eine Quittung ausstellen und gab ihm das Geld, das jener mit beiden Händen so vorsichtig zum Sekretär trug, als ob es eine Flüssigkeit wäre, von der er keinen Tropfen verschütten wollte. Als er vor dem Sekretär stand, sah er sich das Geld noch einmal an und legte es ebenso vorsichtig in eines der Fächer, in dem es dem Gelde wohl beschieden war, begraben zu sein, bis P. Karp und P. Polikarp, die beiden Geistlichen seines Dorfes, ihn selbst begraben würden, zur unbeschreiblichen Freude des Schwiegersohnes und der Tochter, vielleicht auch des Hauptmanns, der sich für seinen Verwandten ausgab. Nachdem Pljuschkin das Geld verschlossen hatte, setzte er sich in den Sessel und schien keinen neuen Gesprächsstoff finden zu können.
»Wie, Sie wollen schon aufbrechen?« fragte er, als er Tschitschikow eine kleine Bewegung machen sah; dieser wollte aber nur sein Taschentuch hervorholen. Diese Frage erinnerte Tschitschikow daran, daß er hier tatsächlich nichts mehr zu suchen hätte. »Ja, es wird Zeit!« sagte er, nach seinem Hute greifend.
»Und der Tee?«
»Nein, den Tee trinke ich lieber ein anderes Mal.«
»Schade! Ich habe ja schon den Samowar aufsetzen lassen. Offen gestanden, ich bin kein Liebhaber von Tee: das Getränk ist teuer, und auch der Zuckerpreis ist wahnsinnig gestiegen. Proschka! Wir brauchen keinen Samowar! Den Zwieback bringst du der Mawra zurück, hörst du? Sie soll ihn an die gleiche Stelle legen; oder nein, gib ihn her, ich will ihn selbst hintragen. Leben Sie wohl, Väterchen! Gott segne Sie! Den Brief geben Sie aber dem Kammervorsitzenden. Ja! Soll er ihn nur lesen, er ist ja mein alter Bekannter. Gewiß, wir sind doch an der gleichen Krippe aufgewachsen!«
Hierauf begleitete ihn diese seltsame Erscheinung, dieses eingeschrumpfte alte Männchen vor das Tor und befahl, das letztere sofort zu schließen; dann machte er eine Runde durch alle Vorratskammern, um sich zu vergewissern, ob alle Wächter an ihren Plätzen seien; an jeder Ecke mußte so ein Wächter stehen und mit einer Holzschaufel auf ein leeres Faß statt auf ein Eisenbrett trommeln; darauf blickte er in die Küche hinein, wo er, unter dem Vorwande, sich überzeugen zu wollen, ob das Essen des Hausgesindes gut sei, eine ordentliche Portion Kohlsuppe und Brei verzehrte; dann warf er der ganzen Dienerschaft Diebstahl und schlechtes Betragen vor und kehrte in sein Zimmer zurück. Als er allein geblieben war, kam ihm sogar der Gedanke, daß er den Gast für seine beispiellose Großmut eigentlich hätte belohnen müssen. »Ich werde ihm eine Taschenuhr schenken,« sagte er sich, »eine gute silberne Uhr, nicht etwa eine aus Tombak oder Bronze; sie ist zwar etwas verdorben, aber er kann sie reparieren lassen; er ist doch noch ein junger Mann, also braucht er eine Taschenuhr, um guten Eindruck auf seine Braut zu machen. Oder nein,« sagte er sich nach kurzer Überlegung, »lieber vermache ich sie ihm in meinem Testament, damit er sich später meiner erinnert.«
Unser Held war aber auch ohne die Uhr in der besten Stimmung. Dieser unerwartete Kauf war ein Geschenk des Himmels. Und in der Tat: es waren nicht bloß tote, sondern auch entlaufene Seelen, und im ganzen an die zweihundert Stück! Als er sich vorhin dem Dorfe Pljuschkins näherte, hatte er schon natürlich geahnt, daß da ein Geschäft zu machen sei, aber auf so ein vorteilhaftes Geschäft hatte er gar nicht gerechnet. Während der ganzen Fahrt war er ungewöhnlich lustig; er pfiff und trompetete, indem er sich eine Faust vor die Lippen hielt. Schließlich stimmte er ein so ungewöhnliches Lied an, daß Sselifan nach längerem Zuhören leicht den Kopf schüttelte und sagte: »Wie der Herr heute singt!« Es war schon recht dunkel, als sie die Stadt erreichten. Licht und Schatten waren gänzlich vermischt, und auch alle Gegenstände schienen durcheinandergeraten. Der buntgestreifte Schlagbaum sah höchst unbestimmt aus; der Schnurrbart des Wachpostens schien auf der Stirne, viel höher als die Augen zu sitzen, und von der Nase war überhaupt nichts zu sehen. Das Dröhnen und Poltern gab zu erkennen, daß der Wagen schon über das Straßenpflaster rollte. Die Straßenlaternen brannten noch nicht, nur hier und da waren einzelne Fenster erleuchtet, und in den Neben- und Quergassen spielten sich Szenen ab, die diese Stunde in allen Städten begleiten, wo es viele Soldaten, Fuhrleute, Arbeiter und die eigenartigen weiblichen Wesen gibt, die in roten Schals, in Schuhen ohne Strümpfe an den Straßenecken wie die Fledermäuse herumschwirren. Tschitschikow sah sie aber nicht und bemerkte nicht mal die vielen mageren Beamten mit den Stöckchen in der Hand, die wohl vom Abendspaziergange vor der Stadt heimkehrten. Ab und zu schlugen nur einzelne, wohl von Frauenlippen kommende Rufe an sein Ohr: »Du lügst, Säufer, niemals habe ich ihm eine solche Gemeinheit erlaubt!« Oder: »Rühr mich nicht an, Rohling! Komm nur aufs Revier, dort werde ich es dir schon zeigen! ...« Mit einem Worte lauter Rufe, die auf einen in Gedanken versunkenen zwanzigjährigen Jüngling, der aus dem Theater kommt und eine spanische Straße, eine Nacht und ein herrliches Frauenbild mit Locken und einer Gitarre im Kopfe trägt, wie kochendes Wasser wirken. Was schwebt nicht alles in seinem Kopfe? Er ist im Himmel, er weilt bei Schiller zu Besuch – und plötzlich hört er dicht vor sich die verhängnisvollen Worte und sieht sich auf die Erde, sogar auf den Heumarkt, sogar vor eine Schenke versetzt, und wieder prangt vor ihm das Alltagsleben.