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»Ach so! Schon zwölf!« sagte endlich Tschitschikow, indem er auf die Uhr blickte. »Was verliere ich soviel Zeit? Wenn ich noch wenigstens etwas Gescheites getan hätte, aber ich redete nur dummes Zeug und wurde dann nachdenklich. Was bin ich für ein Narr!« Nachdem er dies gesagt, vertauschte er sein schottisches Kostüm mit einem europäischen, zog sein volles Bäuchlein mit der Schnalle fester zusammen, besprengte sich mit Eau de Cologne, nahm seine warme Mütze in die Hand und die Papiere unter den Arm und begab sich auf die Zivilkammer, um die Kaufverträge abzuschließen. Er beeilte sich, nicht weil er etwa zu spät zu kommen fürchtete – das brauchte er nicht zu fürchten, denn der Kammervorsitzende war sein guter Bekannter und hatte die Macht, die Amtsstunden nach Belieben zu verlängern oder abzukürzen, gleich dem alten Zeus Homers, der die Tage verlängerte und die Nächte schneller eintreten ließ, wenn er die Kämpfe seiner Lieblingsheroen unterbrechen oder zum Abschluß bringen lassen wollte; er empfand aber noch immer eine gewisse Unruhe und Verlegenheit: ab und zu kam ihm der Gedanke, daß die Seelen doch nicht ganz echt seien und daß es in solchen Fällen immer von Vorteil wäre, die Last möglichst schnell loszuwerden. Kaum war er auf die Straße getreten, immer noch in diese Gedanken versunken und zugleich auf den Schultern einen mit braunem Tuch gedeckten Bären schleppend, als er gleich an der ersten Straßenkreuzung mit einem Herrn zusammenstieß, der gleichfalls einen mit braunem Tuch gedeckten Bären schleppte und eine warme Mütze mit Ohrenklappen aufhatte. Dieser Herr schrie auf: es war Manilow. Sie schlossen einander in die Arme und verblieben an die fünf Minuten mitten auf der Straße in dieser Stellung. Die gegenseitigen Küsse waren so heftig, daß beiden nachher den ganzen Tag die Vorderzähne schmerzten. Manilows Gesicht nahm vor Freude einen solchen Ausdruck an, daß die Augen vollständig verschwanden und nur noch die Nase und die Lippen übrigblieben. Etwa eine Viertelstunde lang hielt er Tschitschikows Hand mit seinen beiden Händen fest und machte sie gehörig warm. In den feinsten und angenehmsten Wendungen erzählte er, wie er herbeigeflogen sei, um Pawel Iwanowitsch zu umarmen; er schloß seine Rede mit einem Kompliment, das man höchstens einem jungen Mädchen zu sagen pflegt, mit dem man zu Tanze geht. Tschitschikow öffnete den Mund, ohne noch recht zu wissen, wie er sich bedanken solle, als Manilow plötzlich eine mit einem rosa Bändchen umwundene Papierrolle aus seinem Pelze hervorholte.

»Was ist denn das?«

»Die Bäuerlein.«

»Ach so!« Tschitschikow entfaltete das Papier, überflog es mit den Augen und wunderte sich über die Sorgfalt und Schönheit der Schrift. »Es ist so schön geschrieben,« sagte er, »daß man es gar nicht ins reine zu schreiben braucht. Und dann diese schöne Einfassung rundherum! Wer hat die Einfassung gemacht?«

»Ach, fragen Sie lieber nicht«, sagte Manilow.

»Sie?«

»Meine Frau.«

»Mein Gott! Ich geniere mich wirklich, daß ich Ihnen solche Mühe gemacht habe.«

»Für Pawel Iwanowitsch gibt es keine zu große Mühe.«

Tschitschikow verbeugte sich dankbar. Als Manilow erfuhr, daß er auf die Zivilkammer ging, um die Kaufverträge abzuschließen, erklärte er sich bereit, ihn zu begleiten. Die Freunde faßten sich unter und setzten den Weg gemeinsam fort. Bei jeder kleinen Erderhöhung, bei jedem Hügel und jeder Stufe stützte Manilow Tschitschikow, wobei er ihn mit der Hand beinahe in die Höhe hob; mit einem angenehmen Lächeln fügte er hinzu, daß er es nicht zulassen werde, daß Pawel Iwanowitsch sich seine Füßchen verstauche. Tschitschikow genierte sich sehr und wußte gar nicht, wie ihm zu danken, denn er war sich seines schweren Gewichtes wohl bewußt. Unter gegenseitigen Dienstleistungen erreichten sie endlich den Platz, auf dem das Amtsgebäude stand – ein großes zweistöckiges, steinernes Haus, so weiß wie Kreide, wohl um die Seelenreinheit der in ihm wirkenden Beamten zu versinnbildlichen. Die übrigen Gebäude, die sich auf diesem Platze befanden, entsprachen an Größe in keiner Weise dem Amtsgebäude. Dies waren: ein Schilderhäuschen, vor dem ein Soldat mit einem Gewehr stand, zwei oder drei Fuhrmannsbuden und schließlich lange Bretterzäune mit den bekannten mit Kohle oder Kreide hingekritzelten Inschriften und Zeichnungen. Sonst befand sich auf diesem einsamen, oder wie man sich bei uns auszudrücken pflegt, schönen Platze nichts. Aus den Fenstern des ersten und des zweiten Stocks blickten die unbestechlichen Häupter der Priester der Themis heraus, die sofort wieder verschwanden, weil wohl in diesem Moment ein Vorgesetzter ins Zimmer trat. Die Freunde gingen nicht, sondern liefen die Treppe hinauf, weil Tschitschikow, um sich nicht von Manilow stützen zu lassen, die Schritte beschleunigte und weil Manilow seinerseits, um Tschitschikow nicht müde werden zu lassen, vorauseilte; darum keuchten die beiden schwer, als sie den dunklen Korridor betraten. Weder die Gänge noch die Zimmer setzten ihre Blicke durch Reinlichkeit in Erstaunen. Damals war man um die Reinlichkeit noch wenig besorgt, und alles, was schmutzig war, blieb eben schmutzig, ohne ein anziehendes Äußere anzunehmen. Göttin Themis empfing ihre Gäste ganz wie sie war, im Negligé und im Schlafrock. Eigentlich müßten wir auch die Kanzleiräume beschreiben, die unsere Helden durchschritten, der Autor empfindet aber eine große Scheu vor allen Amtslokalitäten. Selbst wenn er mal zufällig diese Lokalitäten in glänzender und veredelter Gestalt, mit lackierten Fußböden und Tischen zu durchschreiten hatte, so machte er es immer im schnellsten Tempo, die Augen zu Boden gesenkt; darum hat er auch keine Ahnung davon, wie dort alles blüht und gedeiht. Unsere Helden sahen viel für Konzepte wie auch für die Reinschrift bestimmtes Papier, gesenkte Köpfe, breite Nacken, Fräcke und Röcke vom bekannten Schnitt der Gouvernementschneider und sogar eine einfache hellgraue Joppe, die von den anderen sehr abstach und deren Träger, den Kopf auf die Seite gebeugt und beinahe ans Papier gedrückt, schnell und mit Schwung ein Protokoll abschrieb, das wohl von der Beschlagnahme eines Gutes handelte, welches sich irgendein friedlicher Gutsbesitzer, der seine Tage ruhig im Anklagezustande verbrachte und unter diesem fremden Obdache Kinder und Enkel gezeugt, widerrechtlich angeeignet hatte; ab und zu fielen kurze, heisere Worte: »Fedossej Fedossejitsch, leihen Sie mir, bitte, den Akt Nummer dreihundertachtundsechzig!« – »Immer müssen Sie den Stöpsel vom amtlichen Tintenfasse verlegen!« Zuweilen erklang befehlend eine majestätischere Stimme, die offenbar von einem Vorgesetzten herrührte: »Da, schreib das ins reine! Sonst lasse ich dir die Stiefel ausziehen und du bleibst mir hier sechs Tage sitzen und kriegst nichts zu essen.« Die Schreibfedern erzeugten ein lautes Geräusch und es klang, als führen mehrere Wagen mit Reisig durch einen Wald, wo der Boden einen viertel Arschin hoch mit trockenem Laub bedeckt sei.