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Zwei Turteltauben zeigen Dir meiner Asche Haus Und girren in den Zweigen: Sie starb und weinte sich die Augen aus!

In der letzten Zeile stimmte zwar das Versmaß nicht, allein das machte nichts: der Brief war ganz im Geiste der damaligen Zeit geschrieben. Es fehlte jede Unterschrift: weder Name, noch Vorname, noch das Datum waren angegeben. Im Postskriptum hieß es nur, daß das eigene Herz des Adressaten die Schreiberin erraten müsse und daß auf dem morgen stattfindenden Ball beim Gouverneur das Original selbst anwesend sein werde.

Das interessierte ihn außerordentlich. In der Anonymität lag so viel Verlockendes und die Neugierde Reizendes, daß er den Brief noch ein zweites und ein drittes Mal las und schließlich sagte: »Es wäre doch recht interessant zu erfahren, wer ihn geschrieben hat!« Mit einem Wort, die Sache schien eine ernste Wendung nehmen zu wollen; länger als eine Stunde dachte er darüber nach; dann spreizte er die Arme, neigte den Kopf und sagte: »Der Brief ist doch sehr kunstvoll geschrieben!« Zuletzt faltete er den Brief selbstverständlich zusammen und legte ihn in die Schatulle neben einen Theaterzettel und eine Familienanzeige, die seit sieben Jahren an der gleichen Stelle lag. Etwas später brachte man ihm tatsächlich eine Einladung zum Ball beim Gouverneur; solche Bälle sind in den Gouvernementsstädten durchaus gewöhnlich: denn ohne einen Ball kann der Gouverneur gar nicht auf die Liebe und den Respekt des Adels rechnen.

Alles nicht zur Sache Gehörige wurde sofort zur Seite geschoben, und alle seine Sinne richteten sich auf die Vorbereitungen zum Ball; denn er hatte in der Tat viele anspornende Gründe dafür. Dafür ist aber wohl seit der Erschaffung der Welt noch nie soviel Zeit auf die Toilette verwendet worden. Eine ganze Stunde war nur dem Betrachten des Gesichts im Spiegel gewidmet. Er versuchte, ihm eine ganze Menge der verschiedensten Ausdrücke zu verleihen: bald einen würdigen und soliden, bald einen respektvollen mit einem gewissen Lächeln, bald einen einfach respektvollen ohne Lächeln; er machte gegen den Spiegel mehrere Verbeugungen, die er mit einigen unartikulierten Lauten begleitete, die wie Französisch klangen, obwohl Tschitschikow kein Wort Französisch verstand. Er bereitete sich selbst eine Menge angenehmster Überraschungen, indem er sich mit den Augenbrauen und mit den Lippen zuzwinkerte und sogar einige Bewegungen mit der Zunge machte; was macht der Mensch nicht alles, wenn er allein ist, sich seiner Schönheit bewußt und obendrein auch überzeugt ist, daß niemand durch eine Türspalte hereinguckt. Zuletzt streichelte er sich leicht das Kinn und sagte: »Ach, du nettes Kerlchen!« Hierauf begann er sich anzukleiden. Während des ganzen Ankleideprozesses befand er sich in der zufriedensten Stimmung: als er die Hosenträger anknöpfte und sich die Krawatte umband, machte er Kratzfüße und Verbeugungen; obwohl er nie im Leben getanzt hatte, machte er dennoch einen Luftsprung. Dieser Luftsprung hatte auch einige kleine harmlose Folgen: die Kommode erzitterte, und die Bürste fiel vom Tisch.

Sein Erscheinen auf dem Ball erregte ein ungewöhnliches Aufsehen. Das ganze Publikum wandte sich ihm zu – der eine mit Karten in der Hand, der andere im interessantesten Punkte eines Gesprächs, nachdem er gerade gesagt hatte: »Und die niedere Instanz des Kreisgerichts antwortete darauf ...« Was aber das Kreisgericht antwortete, das verschwieg er und eilte unserem Helden entgegen, um ihn zu begrüßen. »Pawel Iwanowitsch! Ach, mein Gott, Pawel Iwanowitsch! Liebster Pawel Iwanowitsch! Verehrtester Pawel Iwanowitsch! Mein Herz, Pawel Iwanowitsch! Da sind Sie also, Pawel Iwanowitsch! Da ist er, unser Pawel Iwanowitsch! Lassen Sie sich ans Herz drücken, Pawel Iwanowitsch! Laßt ihn mal mir, ich will ihn recht fest umarmen und küssen, meinen teuren Pawel Iwanowitsch!« Tschitschikow fühlte sich zugleich von mehreren Menschen umarmt. Er hatte sich noch nicht ganz aus der Umarmung des Kammervorsitzenden befreit, als er schon in den Armen des Polizeimeisters lag; der Polizeimeister übergab ihn dem Inspektor der Medizinalverwaltung; der Inspektor der Medizinalverwaltung dem Branntweinpächter, der Branntweinpächter – dem Stadtarchitekten ... Als der Gouverneur, der gerade in Gesellschaft einiger Damen stand und in der einen Hand eine Bonbonhülle und in der anderen ein Bologneser Hündchen hielt, ihn erblickte, ließ er sofort wie die Bonbonhülle so auch das Bologneser Hündchen zu Boden fallen – das Hündchen winselte nur –, mit einem Worte, Tschitschikow verbreitete eine ungewöhnliche Freude und Heiterkeit. Da gab es kein einziges Gesicht, das nicht das größte Vergnügen zeigte oder wenigstens das allgemeine Vergnügen widerspiegelte. Das kann man an den Gesichtern von Beamten beobachten, wenn ein hoher Vorgesetzter zur Revision ins Amt gekommen ist: nachdem der erste Schreck vorüber ist, sehen sie, daß ihm manches gefallen hat und daß er sogar zu scherzen, das heißt mit einem angenehmen Lächeln einige Worte zu sagen geruht – dann lachen die sich um ihn drängenden Beamten doppelt so laut; außerordentlich herzlich lachen diejenigen, die die von ihm gesprochenen Worte nur schlecht gehört haben; und selbst der ganz weit an der Türe stehende Polizist, der in seinem Leben noch nie gelacht und der kurz vorher dem Volke mit der Faust gedroht hat – auch dieser zeigt nach den unveränderlichen Gesetzen der Reflexion etwas wie ein Lächeln, obwohl dieses Lächeln mehr dem Ausdruck gleicht, den man nach einer starken Prise Schnupftabak unmittelbar vor dem Schnupfen annimmt. Unser Held beantwortete jede Liebenswürdigkeit und fühlte sich ungewöhnlich leicht beschwingt: er verbeugte sich nach rechts und nach links, zwar etwas schief, wie es seine Gewohnheit war, doch vollkommen ungezwungen, so daß alle bezaubert waren. Die Damen umringten ihn sofort als glänzende Girlande, die ganze Wolken von Wohlgerüchen jeder Art ausströmte: die eine atmete Rosenduft, die andere roch nach Frühling und Veilchen, die dritte war stark mit Reseden parfümiert; Tschitschikow hob nur die Nase in die Höhe und schnüffelte. Die Toiletten zeigten ein wahres Meer von Geschmack: die Mousseline-, Atlas- und Gazestoffe waren von den modernen blassen Tönen, für die es sogar keine Namen gibt – so raffiniert war der Geschmack! Die Bänder und Blumensträuße umschwebten die Kleider in der malerischsten Unordnung, obwohl diese Unordnung von manchem tüchtigen Kopf reiflich durchdacht war. Ein leichter Kopfschmuck war nur an den Ohren befestigt und schien sagen zu wollen: »Paßt auf, gleich fliege ich davon! Schade nur, daß ich die Schöne nicht mitnehmen kann!« Die Taillen waren stramm umspannt und zeigten feste und für die Augen angenehme Formen (es ist zu bemerken, daß alle Damen der Stadt N. im allgemeinen etwas voll waren, sich aber so kunstvoll zu schnüren verstanden und so angenehme Manieren hatten, daß man diese Fülle gar nicht sah). Alles war bei ihnen mit ungewöhnlichem Scharfsinn durchdacht und vorgesehen: der Hals und die Schultern waren gerade so tief entblößt, als es nötig war und auch nicht um ein Haar tiefer; eine jede zeigte ihre Besitzungen gerade so weit, als diese nach ihrer eigenen Überzeugung imstande waren, einen Menschen zugrunde zu richten; alles übrige war mit ungewöhnlichem Geschmack versteckt: bald umschlang ein leichtes Bändchen, leichter als das Gebäck, das unter dem Namen »Baiser« bekannt ist, ätherisch den Hals, bald ragten an den Schultern aus dem Kleide kleine gezackte Hüllen aus feinstem Batist hervor, die man »Sittsamkeiten« nennt. Diese »Sittsamkeiten« verhüllten vorne und hinten alles, was den Menschen nicht mehr zugrunde richten konnte, erregten aber zugleich die Meinung, daß gerade unter ihnen das Verderben stecke. Die langen Handschuhe waren nicht bis zu den Ärmeln hinaufgezogen, sondern ließen mit Absicht die Leidenschaft erregenden Teile der Arme oberhalb des Ellenbogens, die bei vielen eine beneidenswerte Fülle atmeten, entblößt, bei manchen waren die Glacéhandschuhe bei den Versuchen, sie höher hinaufzuziehen, sogar geplatzt – mit einem Worte, alles schien die Etikette zu tragen: »Nein, das ist keine Gouvernementsstadt, das ist die Residenz, das ist Paris!« Nur hier und da guckte irgendeine noch nie dagewesene Haube hervor oder eine Feder, vielleicht sogar eine Pfauenfeder, die im Widerspruch zu jeder Mode nur dem eigenen Geschmack der Trägerin entsprach. Ohne das geht es aber nicht ab, das ist schon einmal die Eigenschaft der Gouvernementsstadt: irgendwie muß sie sich immer blamieren. Während Tschitschikow die Damen betrachtete, dachte er: »Welche mag wohl die Schreiberin des Briefes sein?« Er versuchte sogar, seine Nase hervorzustrecken, doch diese geriet sofort in einen Strudel von Ellenbogen, Aufschlägen, Ärmeln, Schleifenenden, duftigen Chemisetten und Kleidern. Die Galoppade fegte wie toll dahin: die Postmeisterin, der Polizeihauptmann, eine Dame mit einer blauen Feder, eine Dame mit einer weißen Feder, der georgische Fürst Tschipchaichilidsew, ein Beamter aus Petersburg, ein Beamter aus Moskau, der Franzose Coucou, ein Herr Perchunowskij, ein Herr Berenkendowskij – alles erhob sich und raste dahin ...