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»So! Nun ist die Gouvernementsstadt los!« sagte Tschitschikow zurückweichend. Sobald die Damen auf ihren Plätzen saßen, begann er wieder auszuschauen, ob es sich nicht an dem Ausdruck eines Gesichts oder eines Augenpaares erkennen ließe, wer die Briefschreiberin war; aber weder der Gesichtsausdruck noch der Ausdruck der Augen verrieten die Briefschreiberin. An allen sah er etwas unfaßbar Feines, etwas furchtbar Raffiniertes! ... »Nein,« sagte Tschitschikow zu sich selbst, »die Frauen sind so eine Sache ...« – hier winkte er mit der Hand und fuhr fort: »Darüber ist überhaupt nichts zu sagen! Versuch nur einer mit Worten, alles, was über ihr Gesicht läuft, alle diese Ausstrahlungen und Andeutungen wiederzugeben ... nein, das läßt sich gar nicht wiedergeben. Die Augen allein sind schon ein so grenzenloses Reich, daß ein Mensch, der hineingerät, unrettbar verloren ist! Dann kann man ihn weder mit einem Haken noch mit einem anderen Werkzeug herausziehen. Versuch’ nur einer, ihren Glanz allein zu beschreiben: er ist feucht, samtweich, zuckersüß – Gott allein weiß, was er nicht alles ist: hart und weich, sogar schmachtend oder, wie es manche nennen, trunken vor Wonne und auch ohne Wonne; das gefährlichste aber ist, wenn er wonnetrunken ist: dann dringt er einem tief ins Herz hinein oder fährt über die Seele wie ein Fiedelbogen. Nein, man findet einfach kein Wort dafür: es ist eben die Galanteriebranche des Menschengeschlechts und sonst nichts!«

Pardon! Dem Munde unseres Helden ist, glaube ich, ein auf der Straße aufgefangener Ausdruck entschlüpft. Was ist zu machen? So ist einmal die Lage des Schriftstellers in Rußland! Übrigens, wenn ein Wort aus der Straße ins Buch geraten ist, so ist es nicht die Schuld des Schriftstellers, sondern die der Leser und vor allem der Leser aus den höheren Gesellschaftsschichten: von ihnen bekommt man nie ein anständiges russisches Wort zu hören; französische, deutsche und englische Worte setzen sie einem wohl in solcher Menge vor, daß man kaum zuhören mag; sie gebrauchen sie sogar unter Beibehaltung der verschiedenen Aussprachen: sprechen sie Französisch, dann unbedingt mit dem französischen »r« und durch die Nase; das Englische reden sie wie ein Vogel und nehmen dabei sogar den Gesichtsausdruck eines Vogels an; sie lachen einen sogar aus, der dieses Vogelgesicht nicht nachmachen kann. Ein russisches Wort setzen sie aber einem niemals vor; höchstens daß sie aus Patriotismus bei sich auf dem Lande einen Bau in russischem Stil aufführen. So sind also die Leser aus den höheren Schichten und auch alle, die sich selbst zu den höheren Schichten rechnen! Und dabei kommen sie noch mit Ansprüchen! Sie verlangen, daß alles in einer korrekten, gereinigten und edlen Sprache abgefaßt sei – mit einem Worte, sie verlangen, daß die russische Sprache fertig verfeinert ganz von selbst aus den Wolken falle und sich ihnen gerade auf die Zunge setze, so daß sie nur den Mund zu öffnen und die Zunge herauszustrecken brauchen. Die weibliche Hälfte des Menschengeschlechts ist allerdings recht diffizil; doch die geehrten Leser sind zuweilen, offen gestanden, noch diffiziler.

Tschitschikow war indessen ganz ratlos, welche von den Damen wohl die Briefschreiberin gewesen sei. Als er gespannter hinzublicken versuchte, sah er, daß auch die Damengesichter etwas ausdrückten, was zugleich Hoffnungen und süße Qualen in den Herzen der armen Sterblichen weckte, und schließlich sagte er sich: »Nein, man kann es unmöglich erraten!« Dies tat jedoch der frohen Gemütsverfassung, in der er sich befand, keinen Abbruch. Er wechselte ungezwungen und sehr gewandt einige angenehme Worte mit einigen der Damen und trippelte bald auf die eine, bald auf die andere mit kleinen Schrittchen zu, wie es gewöhnlich die kleinen galanten Greise auf hohen Absätzen zu tun pflegen, die sehr geschickt um die Damen herumscharwenzeln. Nachdem er sich so mit kleinen Schrittchen recht geschickt nach rechts und nach links bewegt hatte, scharrte er mit dem Fuße und beschrieb dabei einen kurzen Schnörkel oder eine Art Komma. Die Damen waren überaus zufrieden und fanden an ihm nicht nur eine Menge angenehmer und liebenswürdiger Eigenschaften, sondern auch einen majestätischen Gesichtsausdruck, sogar etwas Martialisches und Kriegerisches, was bekanntlich den Damen gut gefällt. Seinetwegen entstanden sogar kleine Streitigkeiten: da sie merkten, daß er gewöhnlich vor der Türe stand, suchten manche die Plätze in der Nähe der Türe zu besetzen; als es der einen gelang, den anderen zuvorzukommen, kam es beinahe zu einem unangenehmen Auftritt, und diese Frechheit erschien vielen, die eigentlich das gleiche tun wollten, allzu stark.

Tschitschikow war so sehr von den Gesprächen mit den Damen hingerissen, oder wurde vielmehr von den Damen, die einen ganzen Haufen komplizierter und raffinierter allegorischer Andeutungen, die er sämtlich zu erraten hätte, nur so aus dem Ärmel schüttelten, so daß ihm sogar der Sehweiß auf die Stirne trat, beschäftigt – daß er die erste Anstandspflicht vernachlässigte und es unterließ, sich zuerst der Dame des Hauses zu widmen. Dieses fiel ihm erst dann ein, als er die Stimme der Gouverneurin selbst hörte, die schon seit einigen Minuten vor ihm stand. Die Gouverneurin sprach mit freundlicher und schelmischer Stimme, mit anmutigem Kopfnicken: »So sind Sie also, Pawel Iwanowitsch! ...« Ich kann die Worte der Gouverneurin nicht genau wiedergeben, sie sagte aber etwas, was von großer Freundlichkeit erfüllt war, und zwar in dem Stile, in dem die Damen und die Kavaliere in den Erzählungen unserer Salonschriftsteller, die es lieben, die höhere Welt zu schildern und mit der Kenntnis des höheren Tones zu prahlen, zu sprechen pflegen – also etwa: »Hat man sich denn Ihres Herzens schon so gänzlich bemächtigt, daß darin kein Plätzchen für die von Ihnen so erbarmungslos Vergessenen übriggeblieben ist?« Unser Held wandte sich augenblicklich zu der Gouverneurin und war schon bereit, ihr eine Antwort zu geben, die in keiner Weise schlechter gewesen wäre als die Antworten, die in den modischen Erzählungen alle die Swonskijs, Linskijs, Lidins, Gremins und die glänzenden Offiziere zu geben pflegen, als er unwillkürlich die Augen hob und sich plötzlich wie von einem Schlage betäubt fühlte.

Vor ihm stand nicht die Gouverneurin allein: sie hielt ein sechzehnjähriges junges Mädchen an der Hand, eine frische Blondine, mit feinen und anmutigen Gesichtszügen, mit etwas spitzem Kinn und einem wunderbar gerundeten Oval des Gesichts, das ein Künstler wohl zu einem Modell für eine Madonna gewählt hätte und wie man es in Rußland nur selten trifft, wo alles gerne in die Breite geht: Berge, Wälder, Steppen, Gesichter, Lippen und Füße – dieselbe Blondine, der er unterwegs begegnet war, als er von Nosdrjow fuhr, als infolge der Dummheit der Kutscher oder der Pferde ihre Equipagen so merkwürdig zusammenstießen, das Geschirr durcheinandergeriet und Onkel Mitjaj und Onkel Minjaj die Sache zu entwirren versuchten. Tschitschikow wurde so verlegen, daß er kein vernünftiges Wort zu sagen wußte und weiß der Teufel was stammelte, was ein Gremin, ein Swonskij oder ein Lidin keineswegs gesagt hätten.