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Während er aber, von seinen Gedanken und von der Schlaflosigkeit geplagt, in seinem harten Sessel saß und Nosdrjow samt seiner gesamten Verwandtschaft aufs eifrigste durchnahm; während vor ihm ein Talglicht brannte, dessen Docht schon längst von einer schwarzen Rußkappe bedeckt war und das jeden Augenblick zu verlöschen drohte; während zu ihm ins Fenster die blinde dunkle Nacht hereinblickte, bereit, in blaue Morgendämmerung überzugehen, und in der Ferne mehrere Hähne krähten; während vielleicht irgendein Unglücklicher von unbekanntem Namen und Rang in einem Friesmantel durch die schlafende Stadt schlich, ein Mensch, der leider nur den einen vom liederlichen russischen Volk ausgetretenen Weg kennt – um diese selbe Zeit spielte sich am anderen Ende der Stadt ein Ereignis ab, dem es beschieden war, die unangenehme Lage unseres Helden noch unangenehmer zu machen. Durch die entlegenen Straßen und Gassen der Stadt rasselte nämlich ein höchst seltsames Fuhrwerk, für welches es recht schwer wäre, einen Namen zu finden. Es glich weder einem Reisewagen, noch einer Kutsche, noch einer Equipage, sondern eher einer dickbackigen Wassermelone, die man auf Räder gesetzt hatte. Die Backen dieser Melone, das heißt die Wagentüren, die noch Spuren einer gelben Bemalung zeigten, schlossen sehr schlecht infolge des schlechten Zustandes der Klinken und der Schlösser, die nur notdürftig mit Stricken zusammengebunden waren. Die Wassermelone war angefüllt mit Kattunkissen in Form von Tabaksbeuteln, von Rollen und auch von gewöhnlichen Kissen; mit Säcken voll Brot, Semmeln, Brezeln und Kringeln aus Hefenteig. Eine Pastete mit Hühnerfüllsel und eine mit Gurkenfüllsel guckten sogar heraus. Auf dem hinteren Trittbrett befand sich eine Person des Lakaienstandes, in einer Joppe aus hausgewebtem buntem Leinen, mit unrasiertem, leicht ergrautem Kinn – eine Person, die man »Bursch« zu nennen pflegt. Der Lärm und das Gerassel der eisernen Beschläge und verrosteten Schrauben weckten am anderen Ende der Stadt einen Nachtwächter, der seine Hellebarde hob und schlaftrunken aus vollem Halse »Wer da?« schrie; als er jedoch merkte, daß niemand kam und nur das Gerassel zu hören war, fing er ein Tier, das auf seinem Kragen saß, ging auf die Laterne zu und richtete es eigenhändig mittels seines Fingernagels hin, worauf er die Hellebarde wieder wegstellte und nach den Satzungen seines Rittertums von neuem einschlief. Den Pferden knickten immer wieder die Vorderbeine ein, weil sie nicht beschlagen waren und das bequeme Stadtpflaster offenbar noch nicht kannten. Die Fuhre machte noch einige Wendungen, bog schließlich an der kleinen St. Nikolaus-Pfarrkirche vorbei in eine dunkle Gasse ein und hielt vor dem Tore des Hauses der Protopopenfrau. Aus dem Wagen sprang ein Mädel in einem Wams und Kopftuch und hieb mit beiden Fäusten so stark gegen das Tor, wie es auch ein Mann nicht besser machen könnte (der Bursche in der bunten Jacke wurde erst später an den Beinen heruntergezogen, denn er schlief wie eine Leiche). Die Hunde fingen zu bellen an, das Tor ging auf und verschlang schließlich nicht ohne Mühe dieses plumpe Erzeugnis eines Wagenbauers. Die Equipage kam in einen engen Hof, der fast ganz von aufgestapeltem Holz, Hühnerställen und allerlei Anbauten eingenommen war; der Equipage entstieg die Gnädige: diese Gnädige war die Gutsbesitzerin und Kollegiensekretärin Korobotschka. Die Alte war bald nach der Abreise unseres Helden in solche Unruhe wegen eines möglichen Betruges geraten, daß sie nach drei schlaflosen Nächten den Entschluß faßte, nach der Stadt zu fahren – obwohl ihre Pferde nicht beschlagen waren –, um dort etwas Sicheres darüber zu erfahren, welche Preise für tote Seelen gezahlt werden und ob sie nicht, Gott behüte, eine große Dummheit begangen und die Seelen viel zu billig verkauft habe. Welche Folgen ihre Ankunft hatte, kann der Leser aus einem Gespräch erfahren, das zwischen zwei gewissen Damen stattfand. Dieses Gespräch ... es soll aber lieber erst im nächsten Kapitel stattfinden.

Neuntes Kapitel

Zur frühen Morgenstunde, noch vor der Zeit, die in der Stadt N. für Visiten bestimmt ist, flatterte aus der Türe eines orangegelben hölzernen Hauses mit einem Mezzanin und blauen Säulen eine Dame in einem eleganten karierten Überwurf, begleitet von einem Lakai in einem Mantel mit mehreren Kragen und goldenen Tressen auf dem glänzenden Hut. Die Dame flatterte sofort mit ungewöhnlicher Eile die herabgelassene Stufe der vor dem Hause wartenden Equipage hinauf. Der Lakai schlug die Wagentür hinter ihr zu, warf das Trittbrett hinauf, klammerte sich an den Riemen hinten fest und rief dem Kutscher zu: »Vorwärts!« Die Dame hatte eine Neuigkeit, die sie soeben gehört hatte, bei sich und fühlte einen unüberwindlichen Drang, sie so schnell als möglich jemand anderem mitzuteilen. Jeden Moment blickte sie aus dem Wagenfenster hinaus und stellte zu ihrem unsagbaren Ärger fest, daß noch immer die Hälfte des Weges übrigblieb. Jedes Haus schien ihr heute länger als sonst; das weiße, steinerne Spital mit den schmalen Fenstern zog sich unerträglich in die Länge, so daß sie es schließlich nicht mehr aushielt und rief: »Der verfluchte Bau, er will gar kein Ende nehmen!« Der Kutscher hatte schon zweimal den Befehl bekommen: »Schneller, schneller, Andrjuschka! Du fährst heute unerträglich langsam!« Endlich war das Ziel erreicht. Die Equipage hielt vor einem gleichfalls hölzernen zweistöckigen Hause von dunkelgrauer Farbe mit kleinen weißen Basreliefs über den Fenstern, mit einem hohen hölzernen Gitter dicht vor den Fenstern und einem schmalen Vorgärtchen, hinter dessen Gitter die schmächtigen Bäumchen ganz weiß von dem sie immer bedeckenden Straßenstaub waren. In den Fenstern erblickte man Blumentöpfe, einen Papagei, der sich in seinem Käfig schaukelte, indem er sich mit dem Schnabel am Ring festhielt, und, zwei Hündchen, die in der Sonne schliefen. In diesem Hause wohnte eine intime Freundin der Dame, die soeben angekommen. Der Autor ist in Verlegenheit, wie er die beiden Damen so nennen soll, daß keine von ihnen ihm zürne, wie man es einst zu tun pflegte. Einen Familiennamen erfinden, wäre gefährlich. Welchen Namen man auch erfinden mag, immer wird sich in irgendeinem Winkel unseres Landes, das ja groß genug ist, jemand finden, der diesen Namen trägt; dieser könnte dem Autor ernsthaft böse werden und sagen, daß er absichtlich im geheimen hingereist sei, um alles auszuspionieren und zu erfahren, was für ein Mensch er sei, was für einen Pelz er trage, was für eine Agrafena Iwanowna er zu besuchen pflege und was er gern esse. Wollte man die Menschen aber mit ihrem Rang bezeichnen, so könnte es, Gott behüte, noch gefährlicher werden. Alle Stände und Rangklassen sind bei uns jetzt dermaßen gereizt, daß ihnen alles, was sie in einem gedruckten Buche finden, als eine persönliche Anspielung erscheint: diese Stimmung hängt einmal in der Luft. Wenn man bloß sagt, daß in einer gewissen Stadt ein dummer Mensch wohnt, so wird das gleich als eine persönliche Beleidigung aufgefaßt: sofort tritt ein Herr von ehrwürdigem Äußeren vor und ruft: »Auch ich bin ein Mensch, folglich bin auch ich dumm«; mit einem Worte, er errät sofort den Zusammenhang. Darum wollen wir die Dame, die eben den Besuch empfing, so nennen, wie sie fast einstimmig in der Stadt N. genannt wurde: »die in allen Beziehungen angenehme Dame«. Diesen Namen hatte sie auf eine rechtmäßige Weise erworben, denn sie hatte kein Mittel gespart, um als im höchsten Grade liebenswürdig zu erscheinen, obwohl durch diese Liebenswürdigkeit zuweilen eine unheimliche Gewandtheit des weiblichen Charakters hindurchschimmerte. In manchem ihrer angenehmen Worte steckte ein höchst gefährlicher Stachel! Und was erst in ihrem Herzen kochte gegen jede, die sich auf irgendeine Weise oder durch irgendein Mittel den ersten Platz zu erkämpfen suchte, davor möchte Gott einen jeden behüten! Dies alles war aber in den feinsten Anstand gehüllt, den man in einer Gouvernementsstadt überhaupt treffen kann. Jede ihrer Bewegungen war mit feinem Geschmack berechnet, sie liebte sogar Verse, sie hielt sogar zuweilen ihren Kopf träumerisch gesenkt, und alle waren sich darin einig, daß sie wirklich eine in allen Beziehungen angenehme Dame sei. Die andere Dame, d. h. die, die soeben gekommen war, hatte keinen so vielseitigen Charakter, und darum wollen wir sie »die einfach angenehme Dame« nennen. Der Besuch weckte die beiden Hündchen, die in der Sonne schliefen: die zottige Adéle, die sich fortwährend in ihren eigenen langen Haaren verfing, und den Rüden Potpourri mit den dünnen Beinchen. Beide Hunde trugen bellend ihre geringelten Schwänze ins Vorzimmer, wo der Besuch seinen Umhang ablegte und plötzlich in einem Kleid von moderner Farbe und Muster, mit langen Schwänzen am Halse, dastand; durchs Zimmer zog ein Duft von Jasmin. Sobald die in allen Beziehungen angenehme Dame von der Ankunft der einfach angenehmen Dame erfahren hatte, lief sie sofort ins Vorzimmer hinaus. Die beiden Damen griffen sich bei den Händen, küßten sich und schrien auf, wie die Institutsschülerinnen aufzuschreien pflegen, wenn sie sich bald nach der Entlassung aus der Anstalt begegnen und ihre Mütter ihnen noch nicht erklärt haben, daß der Vater der einen ärmer sei und im Range tiefer stehe, als der Vater der anderen. Der Kuß schallte so laut, daß die beiden Hündchen wieder zu bellen anfingen, wofür sie einen Klaps mit dem Taschentuch bekamen – und die beiden Damen begaben sich in den Salon, der selbstverständlich blau war und ein Sofa, einen ovalen Tisch und sogar eine efeuumwundene spanische Wand enthielt. Ihnen folgten knurrend die zottige Adéle und der schlanke Potpourri auf seinen dünnen Beinchen. »Hierher, hierher, in diese Ecke!« sagte die Hausfrau, den Besuch in eine Ecke des Sofas nötigend. »Ja, so! Ja, so! Da haben Sie auch ein Kissen!« Mit diesen Worten stopfte sie ihr hinter den Rücken ein Kissen, auf dem mit bunter Wolle ein Ritter gestickt war, und zwar so, wie man solche Ritter immer auf Kanevas zu sticken pflegt: die Nase bildete eine Treppe und der Mund ein Viereck. »Wie freue ich mich, daß Sie ... Ich höre eben jemand vorfahren und frage mich, wer mich wohl so früh besuchen könnte. Parascha sagt: ›Es ist die Vizegouverneurin‹, und ich sage: ›Da ist wieder die dumme Gans gekommen, um mich zu langweilen!‹ Ich wollte schon sagen lassen, ich sei nicht zu Hause ...«