»Was ist das für eine Geschichte?«
»Ach, liebste Anna Grigorjewna! Wenn Sie sich doch nur die Lage vorstellen könnten, in der ich mich befand! Denken Sie nur: da kommt zu mir heute die Protopopenfrau, die Frau des P. Kirill, und was denken Sie? Unser stiller, sanfter Gast, was der bloß angestellt hat!«
»Wie, hat er denn auch der Protopopenfrau den Hof gemacht?«
»Ach, Anna Grigorjewna, wenn er ihr bloß den Hof gemacht hätte, das wäre noch nicht so schlimm! Hören Sie nur, was mir die Protopopenfrau erzählte. Es kam zu ihr die Gutsbesitzerin Korobotschka, ganz außer sich vor Schreck und bleich wie der Tod, und erzählte ihr ... Gott, was sie ihr erzählte! Hören Sie nur, es ist ein ganzer Roman: plötzlich, zur Mitternachtstunde, als alles im Hause schläft, ertönt vor dem Tore ein Lärm, so schrecklich, wie man ihn sich gar nicht vorstellen kann! Und eine Stimme schreit: ›Macht auf, macht auf! Sonst wird das Tor eingeschlagen! ...‹ Wie gefällt Ihnen das? Ist das nicht ein reizender Mensch?«
»Wie ist denn diese Korobotschka? Ist sie hübsch und jung?«
»Keine Spur, ein altes Weib.«
»Das ist ja entzückend! So hat er sich an die Alte herangemacht? Einen guten Geschmack haben unsere Damen, die sich in ihn verliebten.«
»Aber nein, Anna Grigorjewna, es ist etwas ganz anderes, als Sie glauben. Denken Sie sich nur: er erscheint vom Kopf bis zu den Füßen bewaffnet wie ein Rinaldo Rinaldini und verlangt: ›Verkaufen Sie mir alle Seelen, die gestorben sind.‹ Die Korobotschka antwortet ihm ganz vernünftig: ›Ich kann sie nicht verkaufen, denn sie sind tot.‹ – ›Nein,‹ sagt er, ›sie sind nicht tot; es ist meine Sache,‹ sagt er, ›zu wissen, ob sie tot sind oder nicht; sie sind nicht tot, sie sind nicht tot!‹ schreit er: ›Sie sind nicht tot!‹ Mit einem Worte, er macht einen furchtbaren Skandal; das ganze Dorf läuft zusammen, die Kinder weinen, alle schreien, keiner versteht den anderen, kurz – horreur, horreur, horreur! ... Aber Sie können sich gar nicht vorstellen, wie ich mich aufregte, als ich das alles hörte. ›Liebste Gnädige,‹ sagt mir Maschka, ›schauen Sie doch nur in den Spiegel, wie blaß Sie sind.‹ – ›Ach was, Spiegel,‹ sag ich ihr, ›ich muß sofort zu Anna Grigorjewna fahren und es ihr erzählen.‹ Sofort befehle ich den Wagen anzuspannen. Der Kutscher Andrjuschka fragt mich, wohin er fahren soll, aber ich kann kein Wort hervorbringen, ich schaue ihm nur ganz blöde in die Augen; ich glaube, er dachte sich, ich sei verrückt geworden. Ach, Anna Grigorjewna! Wenn Sie sich nur vorstellen könnten, wie erschrocken ich war!«
»Es ist doch wirklich merkwürdig«, sagte die in allen Beziehungen angenehme Dame: »Was hat es wohl mit diesen toten Seelen für eine Bewandtnis? Ich gestehe, daß ich gar nichts begreife. Schon zum zweitenmal höre ich von diesen toten Seelen; und mein Mann sagt, daß Nosdrjow einfach lügt. Etwas wird aber schon wahr sein.«
»Versetzen Sie sich nur in meine Lage, Anna Grigorjewna, wie es mir zumute war, als ich dieses hörte. ›Nun weiß ich nicht,‹ sagt die Korobotschka, ›was ich tun soll. Er zwang mich,‹ sagt sie, ›irgendein gefälschtes Papier zu unterschreiben und warf mir fünfzehn Rubel in Banknoten hin; ich bin‹, sagt sie, ›eine unerfahrene, hilflose Witwe, ich weiß nichts!‹ Ja, das sind Sachen! Wenn Sie sich nur vorstellen könnten, wie mich das alles aufgeregt hat!«
»Sie können sich denken, was Sie wollen, es handelt sich aber sicher nicht um die toten Seelen, es muß etwas anderes dahinter stecken.«
»Auch ich muß gestehen«, sagte nicht ohne Erstaunen die einfach angenehme Dame und fühlte sofort die heftigste Begierde zu hören, was wohl dahinter stecken möge. Sie fragte sogar gedehnt: »Was glauben Sie, steckt wohl dahinter?«
»Nun, was denken Sie?«
»Was ich mir denke? ... Ich muß gestehen, ich bin ganz ratlos.«
»Ich möchte doch gerne wissen, was Sie sich wohl darüber für Gedanken machen?«
Doch die angenehme Dame wußte nichts zu sagen. Sie hatte nur die Fähigkeit, sich aufzuregen, doch irgendeine kluge Kombination aufzustellen, brachte sie nicht fertig, und darum hatte sie mehr als jede andere das Bedürfnis nach zärtlicher Freundschaft und Ratschlägen.
»Also hören Sie, ich will Ihnen sagen, was hinter diesen toten Seelen steckt«, sagte die in allen Beziehungen angenehme Dame, und die einfach angenehme Dame wurde bei diesen Worten ganz Ohr: ihre niedlichen Ohren spitzten sich ganz von selbst, sie richtete sich auf, so daß sie fast nicht mehr auf dem Sofa saß; obwohl sie recht korpulent war, wurde sie plötzlich leicht und dünn wie ein Federflaum, der beim leisesten Lufthauch in die Höhe steigt.
So wird ein russischer Gutsbesitzer, der auf Hunde und auf die Jagd versessen ist, wenn er sich dem Walde nähert, aus dem jeden Augenblick der von den Treibern aufgescheuchte Hase herausspringen kann, mit seinem Pferd und mit der zum Schlage erhobenen Peitsche zu einem erstarrten Augenblick, zu Schießpulver, das nur auf einen Funken wartet. Seine Augen bohren sich in die trübe Luft, er wird schon das Tier einholen, er wird ihm schon den Garaus machen, und wenn auch die ganze schneeverwehte Steppe sich gegen ihn erhebt und seinen Mund, seinen Schnurrbart, seine Augen und Brauen und seine Bibermütze mit silbernen Sternen überschüttet.
»Die toten Seelen ...« sagte die in allen Beziehungen angenehme Dame.
»Was? Was?« fiel ihr die Freundin ganz außer sich ins Wort.
»Die toten Seelen! ...«
»Ach, sagen Sie es doch, um Gottes willen!«
»Die toten Seelen sind nur ein Vorwand, die Sache ist aber folgende: er will die Gouverneurstochter entführen.«
Diese Schlußfolgerung war in der Tat höchst unerwartet und in jeder Beziehung ungewöhnlich. Als die angenehme Dame das hörte, erstarrte sie zu Stein, erbleichte, erbleichte wie der Tod und bekam ernsthaft Angst. »Ach, mein Gott!« rief sie, die Hände zusammenschlagend: »Das hätte ich wirklich niemals erwartet!«
»Ich muß aber sagen, daß ich, gleich als Sie den Mund aufmachten, schon ahnte, worum es sich handelt«, entgegnete die in allen Beziehungen angenehme Dame.
»Was für einen Wert hat nach alledem die Institutserziehung, Anna Grigorjewna! Was soll man von dieser Unschuld halten?!«
»Eine nette Unschuld! Ich hörte sie solche Sachen sagen, die ich gar nicht nachzusprechen wage.« »Wissen Sie, Anna Grigorjewna, da bricht einem das Herz entzwei, wenn man sieht, was für Fortschritte die Unsittlichkeit macht.«
»Und die Männer sind alle in sie vernarrt. Ich muß aber gestehen, daß ich an ihr nichts finden kann ...«
»Sie ist ganz unerträglich affektiert.«
»Ach, liebste Anna Grigorjewna! Sie ist wie eine Statue, ohne den geringsten Ausdruck im Gesicht.«
»So affektiert! So furchtbar affektiert! Mein Gott, wie affektiert! Wer sie das gelehrt hat, weiß ich nicht; aber ich habe noch nie ein weibliches Wesen gesehen, das so furchtbar affektiert wäre.«
»Herzchen! Sie ist eine Statue und bleich wie der Tod.«
»Ach, Ssofja Iwanowna, sagen Sie das nicht: sie schminkt sich ja, daß es eine wahre Schande ist.«
»Was sagen Sie nur, Anna Grigorjewna: sie ist ein Stück Kreide, Kreide, die reinste Kreide.«
»Liebste, als ich neben ihr saß, sah ich es: die Schminke ist fingerdick aufgetragen und bröckelt ab wie Mörtel von der Wand. Die Mutter hat sie es gelehrt, die Mutter ist eine Kokette, doch die Tochter wird die Mutter noch überflügeln.«
»Aber erlauben Sie, Sie können mir selbst einen beliebigen Eid auferlegen, ich bin bereit, sofort meine Kinder, meinen Mann, mein ganzes Hab und Gut hinzugeben, wenn an ihr auch nur ein bißchen, auch nur eine Spur, auch nur ein Schatten von lebenswarmer Farbe ist!«
»Ach, wie können Sie das nur sagen, Ssofja Iwanowna! « rief die in allen Beziehungen angenehme Dame und schlug die Hände zusammen.