Zehntes Kapitel
Beim Polizeimeister, dem den Lesern schon bekannten Vater und Wohltäter der Stadt, versammelt, hatten die Beamten Gelegenheit, aneinander festzustellen, wie sie infolge all dieser Sorgen und Aufregungen abgemagert waren. Und in der Tat, die Ernennung des neuen Generalgouverneurs, die eingelaufenen Papiere von so ernstem Inhalt und alle die unheimlichen Gerüchte – dies alles hatte sichtbare Spuren auf ihren Gesichtern hinterlassen, und vielen von ihnen waren sogar die Fräcke zu weit geworden. Alle waren getroffen: der Kammervorsitzende war abgemagert, der Inspektor der Medizinalverwaltung war abgemagert, der Staatsanwalt war abgemagert und selbst ein gewisser Ssemjon Iwanowitsch, dessen Familiennamen niemals genannt wurde und der einen Ring am Zeigefinger trug, den er den Damen zu zeigen pflegte, war abgemagert. Natürlich fanden sich auch, wie es immer geht, einige Tapfere, die den Mut nicht sinken ließen; ihrer waren aber nicht viele: es war eigentlich nur der Postmeister allein. Sein stets gleichmäßiger Charakter hatte nicht die geringste Veränderung erfahren, und er pflegte bei solchen Gelegenheiten immer zu sagen: »Wir kennen die Herren Generalgouverneure! Es werden ihrer vielleicht drei oder vier abwechseln, ich aber sitze schon seit dreißig Jahren auf meinem Platz, sehr verehrter Herr!« Darauf pflegten die anderen Beamten zu erwidern: »Du hast es gut, sprechen Sie deutsch, Iwan Andreitsch: deine Sache ist die Post – du hast nur die Poststücke anzunehmen und zu befördern; der einzige Betrug, den du verüben kannst, ist, daß du das Postamt eine Stunde zu früh schließt, um dann von einem Kaufmann, der mit seinem Brief zu spät gekommen ist, eine Kleinigkeit zu erpressen, oder daß du ein Paket, das nicht befördert werden darf, dennoch beförderst; an deiner Stelle kann natürlich ein jeder ein Heiliger sein. Wenn du aber einen Posten hättest, wo dich der Teufel jeden Tag in Versuchung brächte, so daß man dir auch, wenn du nichts nehmen wolltest, dennoch etwas in die Hand drückte! Du hast es auch nicht schwer: du hast bloß einen Jungen. Denke dir aber den Fall, Bruder, Gott hat deine Praskowja Fjodorowna so gesegnet, daß sie dir jedes Jahr ein Kind schenkt: bald eine Praskuschka, bald einen Petruscha; dann würdest du schon ein anderes Lied singen!« So sprachen die Beamten; ob aber ein Mensch die Kraft hat, der Versuchung des Teufels zu widerstehen, darüber maßt sich der Autor kein Urteil an. In der Versammlung, die dieses Mal zusammentrat, fehlte in einer recht fühlbaren Weise das, was man Sinn und Ordnung zu nennen pflegt. Überhaupt sind wir für Repräsentantenversammlungen nicht geschaffen. Bei allen unseren Zusammenkünften, von den Bauernversammlungen bis zu den Sitzungen der verschiedenen gelehrten und sonstigen Komitees herrscht, wenn nicht ein kluger Kopf das Ganze leitet, ein ordentliches Durcheinander. Es ist sogar schwer zu sagen, warum das so ist; es wird wohl eine nationale Eigentümlichkeit sein, daß uns nur solche Beratungen gelingen, in denen über irgendeine Zecherei oder ein Essen verhandelt wird: also alle die Klubsitzungen und ähnliche Veranstaltungen auf deutsche Manier. Die Bereitwilligkeit hierzu ist hingegen immer vorhanden. Wenn gerade der richtige Wind weht, gründen wir im Nu alle möglichen Wohltätigkeits-, Unterstützungs- und sonstigen Vereine. Das Ziel wird immer sehr schön sein, es wird aber trotzdem nichts herauskommen. Vielleicht beruht das darauf, daß wir gleich bei Beginn befriedigt sind und die Sache damit als erledigt ansehen. Wenn wir zum Beispiel irgendeinen Verein zur Unterstützung von Armen gegründet und beträchtliche Summen gespendet haben, so veranstalten wir sofort, um unser lobenswertes Beginnen zu feiern, ein Diner für die ersten Beamten der Stadt, was natürlich die Hälfte der gespendeten Gelder kostet; für den Rest wird für das Komitee eine großartige Wohnung mit Beheizung und Bedienung gemietet; zuletzt bleiben für die Armen von der ganzen Summe fünf und ein halber Rubel übrig; bei der Verteilung dieser Summe zeigen sich unter den Komiteemitgliedern Unstimmigkeiten, und jeder empfiehlt irgendeine arme Gevatterin. Übrigens war die Sitzung, über die wir hier berichten, ganz anderer Art: sie war ja aus dringender Notwendigkeit zustande gekommen. Es handelte sich nicht um irgendwelchen Armen oder Abseitsstehenden: die Sache ging jeden Beamten persönlich an; es handelte sich um ein Ungemach, das allen in gleicher Weise drohte, daher mußte man notgedrungen einmütiger und in engerer Gemeinschaft vorgehen. Trotz alledem kam dabei der Teufel weiß was heraus. Ganz abgesehen von den Meinungsverschiedenheiten, die eine Eigentümlichkeit aller solcher Beratungen bilden, zeigte sich in den Ansichten der Versammelten eine ganz unfaßbare Unsicherheit: der eine sagte, Tschitschikow sei ein Banknotenfälscher, fügte aber gleich darauf hinzu: »vielleicht auch nicht«; der andere behauptete, er sei ein Beamter aus der Kanzlei des Generalgouverneurs, erklärte aber gleich darauf: »Übrigens weiß der Teufel, was er ist: es steht ihm doch nicht auf der Stirn geschrieben.« Gegen die Vermutung, daß er ein verkleideter Räuber sei, sprachen sich alle ablehnend aus; alle fanden, daß schon, abgesehen von seinem Äußern, das an sich die Biederkeit selbst sei, auch in seinen Worten nichts läge, was auf einen Menschen mit gewalttätigen Neigungen schließen ließe. Plötzlich rief der Postmeister, der einige Minuten in tiefe Nachdenklichkeit versunken war, ganz unerwartet aus: »Wissen Sie, meine Herren, wer er ist?« Die Stimme, mit der er dies sagte, klang dermaßen erschütternd, daß alle wie aus einem Munde schrien: »Wer ist er denn?« – »Meine Herren, er ist niemand anders als der Hauptmann Kopejkin, mein sehr verehrter Herr!« Und als alle wie aus einem Munde fragten: »Und wer ist dieser Hauptmann Kopejkin?« antwortete der Postmeister: »Wie, Sie wissen nicht, wer der Hauptmann Kopejkin ist?«