Выбрать главу

Alle antworteten, sie hätten keine Ahnung davon, wer der Hauptmann Kopejkin sei.

»Der Hauptmann Kopejkin«, sagte der Postmeister, indem er seine Tabaksdose nur halb öffnete, da er fürchtete, es könnte jemand von den in der Nähe Sitzenden seine Finger hineinstecken, an deren Sauberkeit er nicht recht glaubte; er pflegte sogar manchmal zu sagen: »Ich weiß es schon, Väterchen, Sie haben mit Ihren Fingern vielleicht Gott weiß wo herumgewühlt, der Tabak ist aber eine Sache, die Reinlichkeit verlangt.« – »Der Hauptmann Kopejkin«, wiederholte er, nachdem er eine Prise genommen hatte: »Wenn ich es Ihnen übrigens erzähle, so kann es sogar für einen Schriftsteller höchst interessant werden, es ist gewissermaßen ein ganzes Poem.«

Alle Anwesenden äußerten den Wunsch, diese, wie sich der Postmeister ausdrückte, »für einen Schriftsteller höchst interessante Geschichte, gewissermaßen ein ganzes Poem« zu hören, und er begann wie folgt:

Die Geschichte von Hauptmann Kopejkin

»Nach der Campagne von 1812, mein sehr verehrter Herr,« begann der Postmeister, obwohl im Zimmer nicht ein Herr, sondern ihrer sechs saßen, »nach der Campagne von 1812 wurde mit den anderen Verwundeten auch der Hauptmann Kopejkin heimgeschickt. Ein Hitzkopf, launisch wie der Teufel, hatte schon auf der Hauptwache und im Arrest gesessen und alles gekostet, was es nur auf der Welt gibt. Bei Krasnoje oder bei Leipzig hatte ihm ein Geschoß, denken Sie sich nur, einen Arm und ein Bein weggerissen. Damals waren wegen der Verwundeten, wissen Sie, noch keinerlei Verfügungen erlassen worden: der Invalidenfond wurde, wie Sie es sich denken können, gewissermaßen erst viel später gegründet. Der Hauptmann Kopejkin sieht, daß er arbeiten muß, er hat aber, sehen Sie, nur den einen linken Arm. Er kam nach Hause zu seinem Vater, aber der Vater sagte ihm: ›Ich habe nichts, um dich zu ernähren, ich‹, stellen Sie es sich nur vor, ›ich kann mir selbst kaum mein Brot verdienen.‹ Nun entschloß sich der Hauptmann Kopejkin, mein sehr verehrter Herr, nach Petersburg zu gehen, um sich bei der vorgesetzten Behörde zu bemühen: so und so, er habe gewissermaßen und sozusagen sein Leben geopfert und sein Blut vergossen ... So kam er also, wissen Sie, mit dem Train oder mit Staatsfuhren – mit einem Wort, er kam, mein sehr verehrter Herr, irgendwie nach Petersburg. Nun stellen Sie sich vor: so ein Hauptmann Kopejkin ist plötzlich in eine Hauptstadt geraten, die in der ganzen Welt nicht ihresgleichen hat! Er sieht vor sich plötzlich eine Welt, gewissermaßen ein Feld des Lebens, Sie wissen wohl, so eine märchenhafte Scheherezade. So einen Newskij-Prospekt, oder, wissen Sie, so eine Gorochowaja- oder irgendeine, hol’s der Teufel, Litejnaja-Straße; da ragt so eine Fahnenstange in die Luft: Brücken hängen wie durch einen Zauber, ganz ohne Stützpunkte; mit einem Worte, die reinste Semiramis, mein sehr verehrter Herr! Er versucht sich eine Wohnung zu mieten, aber die Preise sind furchtbar gemein: lauter Gardinen, Vorhänge, allerlei Teufelszeug, Teppiche – das reinste Persien, mein sehr verehrter Herr ... man tritt sozusagen Kapitalien mit den Füßen. Man geht durch die Straßen, und die Nase wittert schon aus der Ferne die Tausende; die Staatsbank meines Hauptmanns Kopejkin besteht aber, Sie werden es wohl begreifen, aus zehn Fünfrubelscheinen und etwas Silbergeld ... Ein Dorf kann man sich dafür nicht kaufen, das heißt, man kann schon eins kaufen, wenn man vierzigtausend dazulegt; diese vierzigtausend müßte man aber erst beim König von Frankreich pumpen. Kurz und gut, er fand schließlich in einem Revaler Wirtshaus Unterkunft, für einen Rubel pro Tag; das Mittagessen besteht aus einer Kohlsuppe und einem Stück Klops ... Er sieht, daß es keinen Sinn hat, allzu lange dazubleiben. Er erkundigt sich, wohin er sich zu wenden habe. ›Ja, das ist eine Frage!‹ sagt man ihm: ›Die höchsten Behörden sind noch nicht in der Hauptstadt;‹ Sie verstehen, alles war noch in Paris, die Armee war noch nicht zurückgekehrt; ›es gibt aber‹, sagt man ihm, ›eine provisorische Kommission. Versuchen Sie es dort, vielleicht kann die für Sie etwas tun.‹ – ›Gut, ich gehe in die Kommission‹, sagt Kopejkin, ›und erkläre ihnen dort: soundso, ich habe gewissermaßen mein Blut vergossen, habe, bildlich gesprochen, mein Leben geopfert.‹ So stand er eines Morgens recht früh auf, schabte sich mit der linken Hand den Bart, denn ein Barbier hätte wohl ein Vermögen gekostet, zog seine Uniform an und humpelte, stellen Sie sich vor, auf seinem Holzfuß zum Vorsitzenden der Kommission. Er erkundigt sich, wo dieser Vorsitzende wohnt. ›Hier,‹ sagt man ihm, ›in diesem Hause am Kai.‹ Sie können sich wohl so ein Bauernhäuschen vorstellen: die Fensterchen sind Spiegelscheiben von anderthalb Klafter Höhe, nichts als Marmor und Lack, mein sehr verehrter Herr ... mit einem Worte, zum Verrücktwerden. Irgendeine Türklinke aus Metall ist ein Komfort erster Qualität, so daß man zuerst in den nächsten Laden laufen, sich für einen Groschen Seife kaufen und sich dann gewissermaßen an die zwei Stunden die Hände reiben muß, ehe man so eine Klinke anrührt. Schon der Portier vor dem Eingang mit dem Stab in der Hand: so eine Grafenphysiognomie, Batistkragen, ganz wie ein gemästeter fetter Mops ... Kopejkin schleppt sich auf seinem Holzfuß in den Empfangssaal, drückt sich in eine Ecke, um nicht mit dem Arm irgendso ein Amerika oder Indien – bildlich gesprochen, so eine vergoldete Porzellanvase umzustoßen. Es versteht sich von selbst, daß er lange genug stehen mußte, denn er kam zu einer Stunde, als der Vorsitzende gewissermaßen noch kaum aufgestanden war und sein Kammerdiener ihm so eine silberne Schüssel zu allerlei Waschungen reichte. Mein Kopejkin wartet an die vier Stunden, als der diensthabende Beamte eintritt und meldet: ›Gleich erscheint der Vorsitzende.‹ Das Zimmer ist schon voller Epaulettes und Achselbänder, die Menschen drängen sich wie die Bohnen auf einer Schüssel. Endlich kommt der Vorsitzende, mein sehr verehrter Herr. Nun ... Sie können sich vorstellen, wie so ein Vorsitzender aussieht! In seinem Gesicht ist, sozusagen ... seinem Dienstrange entsprechend, Sie verstehen mich wohl ... so ein Ausdruck ... In jeder Bewegung ein Großstädter; er geht auf den einen und auf den andern zu und fragt: ›Was wollen Sie? Was wünschen Sie? In welcher Angelegenheit sind Sie hier?‹ Endlich kommt er, mein sehr verehrter Herr, zum Kopejkin. Kopejkin sagt: ›Soundso, habe mein Blut vergossen und gewissermaßen einen Arm und ein Bein verloren: ich kann nicht arbeiten; darum erlaube ich mir die Anfrage, ob ich nicht auf eine Unterstützung rechnen darf, ob nicht eine Verfügung wegen einer sozusagen Gratifikation oder Pension zu erwarten ist.‹ Sie verstehen es doch. Der Vorsitzende sieht: vor ihm steht ein Mann mit einem Holzbein, und der rechte Ärmel ist leer an den Waffenrock festgesteckt. ›Gut,‹ sagt er, ›fragen Sie in einigen Tagen wieder nach.‹ Mein Kopejkin ist ganz begeistert: ›Nun,‹ denkt er sich, ›die Sache ist gemacht!‹ Er ist, Sie können es sich wohl denken, in bester Laune, hüpft auf dem Trottoir, macht einen Sprung ins Restaurant Palkin, um einen Schnaps zu nehmen, ißt im Gasthause zur Stadt London zu Mittag, läßt sich ein Kotelett mit Kapern geben, dann eine Poularde mit allerlei Kram, dazu eine Flasche Wein, geht abends ins Theater – mit einem Worte, er macht sich einen guten Tag. Auf dem Trottoir sieht er plötzlich eine Engländerin daherschweben, Sie können sich wohl denken, schön und schlank wie ein Schwan. Mein Kopejkin – sein Blut kommt, Sie begreifen doch, in Wallung – humpelt ihr auf seinem Holzbein nach. ›Lieber nicht,‹ sagt er sich dann, ›ich will das Kurschneiden einstweilen aufstecken! Nachher, wenn ich die Pension schon bekommen habe; ich bin schon ganz aus Rand und Band geraten.‹ So hatte er an einem Tage, wollen Sie es beachten, beinahe die Hälfte seines Vermögens durchgebracht. Nach drei oder vier Tagen kommt er, mein sehr verehrter Herr, wieder in die Kommission zum Vorsitzenden. Jawohl! ›Ich komme,‹ sagt er, ›um mich zu erkundigen: soundso krankheitshalber und infolge meiner Verwundungen ... habe gewissermaßen mein Blut vergossen ...‹ und so weiter, Sie verstehen wohl, in amtlichem Ton. ›Ach was‹, sagt der Vorsitzende: ›vor allen Dingen muß ich Ihnen mitteilen, daß wir in Ihrer Sache ohne Genehmigung der höchsten Stelle nichts machen können. Sie sehen doch selbst, was jetzt für eine Zeit ist. Die militärischen Operationen sind, sozusagen, noch nicht endgültig abgeschlossen. Gedulden Sie sich bis zur Ankunft des Herrn Ministers. Sie können überzeugt sein, daß man Sie nicht übersehen wird. Und wenn Sie inzwischen nichts zum Leben haben, so nehmen Sie dies, das ist alles,‹ sagt er, ›was ich für Sie tun kann.‹ Sie verstehen, er gab ihm nicht viel, aber doch so viel, daß Kopejkin damit bei einiger Sparsamkeit doch noch bis zu der Entscheidung hätte auskommen können. Kopejkin strebte aber nach etwas anderem. Er stellte sich vor, man würde ihm schon morgen einige Tausende auszahlen: ›Hier hast du es, mein Lieber, trink und amüsiere dich;‹ statt dessen sagt man ihm aber: ›Wart!‹ und gibt ihm sogar keinen Termin an. Im Kopfe hat er aber die Engländerin und allerlei Souplettes und Kotelettes. Düster wie ein Uhu tritt er auf die Straße, oder wie ein Pudel, den der Koch mit Wasser begossen hat – hat den Schwanz eingeklemmt und läßt die Ohren hängen. Er hat schon Geschmack am Petersburger Leben gefunden, hat auch schon manches gekostet. Da soll er aber, der Teufel weiß wie, leben und nichts Süßes zu kosten bekommen. Er ist aber ein frischer, lebhafter Mensch und hat einen richtigen Wolfshunger. Wenn er an so einem Restaurant vorübergeht, so ist der Koch, Sie können sich wohl denken, ein Ausländer, ein Franzose mit solch einem offenen Gesicht, hat holländische Wäsche an und eine Schürze, die sich sozusagen nur mit Schnee vergleichen läßt; er arbeitet an irgendeinem fines-herbes, an einem Kotelett mit Trüffeln, mit einem Worte, an einer solchen Delikatesse, daß man vor lauter Appetit sich selbst auffressen möchte. Und wenn er an den Miljutinschen Läden vorbeigeht, so schaut aus einem Fenster sozusagen irgendein Räucherlachs heraus, Kirschen zu fünf Rubeln das Stück, oder ein Omnibus von einer Wassermelone, die nur auf einen Dummkopf wartet, der für sie hundert Rubel bezahlt; mit einem Wort, auf Schritt und Tritt Versuchungen; das Wasser läuft ihm, bildlich gesprochen, im Munde zusammen, er muß aber warten. Versetzen Sie sich nur in seine Lage; einerseits sozusagen der Räucherlachs und die Wassermelone, und andererseits reicht man ihm ein bitteres Gericht unter dem Namen ›Morgen‹: – ›Sollen sie dort machen,‹ sagt er sich, ›was sie wollen, ich gehe aber hin, bringe die ganze Kommission und alle Vorsitzenden auf die Beine und sage ihnen: Nein, ganz wie Sie wollen, aber so geht das nicht!‹ Und in der Tat: er ist zudringlich und frech, hat nicht zuviel Grütze im Kopf, dafür aber Keckheit mehr, als man braucht. Er kommt also in die Kommission. ›Was gibt’s?‹ fragt man ihn: ›Was kommen Sie schon wieder? Man hat Ihnen doch schon mal gesagt ...‹ – ›Ach was,‹ sagt er, ›ich kann mich so nicht durchschlagen. Ich muß‹, sagt er, ›auch ein Kotelett essen und eine Flasche französischen Wein trinken; auch muß ich mich ein wenig zerstreuen, will auch mal ins Theater gehen‹, Sie verstehen schon. – ›Da müssen Sie schon entschuldigen‹, sagt der Vorsitzende: ›Dazu hat der Mensch gewissermaßen, sozusagen, die Geduld. Man hat Ihnen vorläufig einige Mittel bewilligt, damit Sie sich ernähren können, bis Ihre Sache entschieden ist. Sie werden ohne Zweifel ordentlich belohnt werden: denn es hat bisher noch keinen Fall gegeben, daß bei uns in Rußland ein Mann, der, sozusagen, seinem Vaterlande gedient hat, ohne Versorgung geblieben wäre. Wenn Sie sich aber mit Koteletts und Theaterbesuchen verwöhnen wollen, so müssen Sie schon entschuldigen. In solchem Falle müssen Sie sich selbst die Mittel dazu verschaffen und sich selbst helfen.‹ Aber mein Kopejkin läßt sich nicht beirren. Die Worte prallen von ihm ab wie Erbsen von der Wand. Er erhob ein großes Geschrei und ließ an der ganzen Gesellschaft kein gutes Haar! Er begann auf alle die Amtsvorstände, Sekretäre und sonstigen Beamten zu schimpfen. ›Sie sind‹, sagt er, ›dies‹, sagt er, ›und Sie sind jenes! Sie‹, sagt er, ›kennen Ihre Pflichten nicht! Sie sind‹, sagt er, ›Gesetzverächter!‹ sagt er. Alle bekamen von ihm was ab. Ganz zufällig war dort, wissen Sie, ein General von einem ganz anderen Ressort anwesend, und auch der bekam von ihm, mein sehr verehrter Herr, was ab! Es war ein richtiger Aufruhr. Was soll man nur mit einem solchen Satan anfangen? Der Vorsitzende sieht, daß man, gewissermaßen, sozusagen, zu strengen Maßregeln greifen muß. ›Gut‹, sagt er, ›wenn Sie sich damit nicht begnügen wollen, was man Ihnen gibt, und nicht geneigt sind, hier in der Hauptstadt gewissermaßen ruhig auf die Entscheidung Ihrer Sache zu warten, so werde ich Sie nach Ihrem Wohnort spedieren. Man hole‹, sagt er, ›einen Feldjäger her, damit er ihn nach seinem Wohnort transportiert!‹ Der Feldjäger aber, wissen Sie, steht schon hinter der Tür: ein drei Ellen langer Kerl mit einer Hand, wissen Sie, die schon von der Natur selbst bestimmt ist, um den Postkutschern die Rücken zu bearbeiten, mit einem Worte so ein Dentist ... So setzt man den Knecht Gottes in den Wagen und schiebt ihn mit dem Feldjäger ab. ›Nun,‹ denkt sich Kopejkin, ›so brauche ich wenigstens kein Fahrgeld zu zahlen, ich bin auch dafür dankbar.‹ So fährt er, mein sehr verehrter Herr, mit dem Feldjäger, und wie er so, gewissermaßen, mit dem Feldjäger fährt, überlegt er sich: ›Schön,‹ sagt er sich, ›du sagst mir, ich solle mir selbst die Mittel verschaffen und mir selbst helfen; gut,‹ sagt er, ›ich werde mir schon die Mittel verschaffen!‹ Nun, wie man ihn an den Bestimmungsort befördert und wohin man ihn eigentlich gebracht hat, darüber ist nichts Sicheres bekannt. So versanken alle Nachrichten über den Hauptmann Kopejkin in den Strom der Vergessenheit, in so eine Lethe, wie es die Dichter nennen. Aber, gestatten Sie, meine Herren, hier fängt eben der Faden unseres Romans an. Was aus dem Kopejkin geworden ist, das weiß niemand; aber es vergingen keine zwei Monate, als in den Wäldern von Rjasan eine Räuberbande auftauchte, und der Hauptmann dieser Bande war, mein sehr verehrter Herr, niemand anders als ...«