»Wie? Was fällt dir ein! Du hast mich wohl nicht erkannt? Schau mich doch mal ordentlich an!« sagte zu ihm Tschitschikow.
»Wie soll ich Sie nicht erkannt haben! Ich sehe Sie doch nicht zum erstenmal«, sagte der Portier. »Sie allein darf ich nicht vorlassen, jeden anderen aber wohl.«
»Was sagst du bloß? Wieso? Warum?«
»So ist mir befohlen worden; es darf halt nicht sein«, sagte der Portier und fügte dem noch ein »Ja« hinzu; darauf nahm er eine ganz ungezwungene Haltung ein und zeigte nichts von jenem freundlichen Ausdruck, mit dem er ihm sonst immer aus dem Mantel half. Wie er ihn so ansah, dachte er sich wohclass="underline" – Aha! Wenn dich die Herrschaften nicht über die Schwelle lassen, so mußt du wohl ein ganz gemeiner Bursche sein! –
– Unbegreiflich! – dachte sich Tschitschikow und begab sich sofort zum Kammervorsitzenden; als aber der Vorsitzende ihn erblickte, geriet er in solche Verlegenheit, daß er keine zwei vernünftigen Worte hervorbringen konnte und so dummes Zeug zusammenschwatzte, daß alle beide sich genieren mußten. Tschitschikow verließ ihn und versuchte unterwegs zu erraten, was für einen Sinn wohl die Worte des Vorsitzenden gehabt hätten, konnte aber nichts begreifen. Darauf besuchte er die anderen: den Polizeimeister, den Vizegouverneur, den Postmeister, aber diese empfingen ihn entweder überhaupt nicht oder so seltsam und fingen so konfuse und unverständliche Gespräche an, daß er an ihrer Zurechnungsfähigkeit zweifeln mußte. Er versuchte noch den einen und den anderen anzutreffen, um wenigstens den Grund zu erfahren, erfuhr aber nichts. Wie im Halbschlafe irrte er planlos durch die Stadt und konnte noch immer nicht begreifen, ob er selbst verrückt geworden sei, oder die Beamten den Kopf verloren hätten; ob das Ganze sich im Traume abspiele, oder ob in Wirklichkeit etwas so Dummes begonnen hätte, was noch dümmer wäre als jeder Traum. Recht spät, in der Abenddämmerung, kehrte er in seinen Gasthof zurück, den er in einer so guten Laune verlassen hatte, und ließ sich vor Langweile Tee geben. In Nachdenklichkeit und Ratlosigkeit über seine seltsame Lage versunken, schenkte er sich den Tee ein, als plötzlich die Türe seines Zimmers aufging und vor ihm ganz unerwartet Nosdrjow stand.
»Nicht umsonst sagt das Sprichwort: ›Für einen Freund sind auch sieben Werst keine Entfernung‹!« sagte Nosdrjow, die Mütze abnehmend. »Wie ich eben vorbeigehe, sehe ich Licht im Fenster. ›Ich will mal nachsehen‹, denke ich mir: ›er schläft wohl noch nicht.‹ Ah! Es ist schön, daß du Tee auf dem Tische hast, ich will gerne ein Täßchen trinken: heute habe ich zu Mittag einen ganz scheußlichen Fraß gegessen und fühle, daß in meinem Magen etwas losgeht. Laß mir mal eine Pfeife stopfen! Wo ist denn deine Pfeife?«
»Ich rauche doch keine Pfeife«, sagte Tschitschikow trocken.
»Unsinn, als ob ich nicht weiß, daß du ein Raucher bist! He! Wie heißt doch dein Diener? He, Wachramej, hör’ mal!«
»Er heißt nicht Wachramej, sondern Petruschka!«
»Wieso? Früher hast du doch einen Wachramej gehabt?«
»Niemals habe ich einen Wachramej gehabt.«
»Ja, es stimmt, Derebin hat einen Wachramej. Denk dir nur, was für einen Dusel dieser Derebin hat: seine Tante hat sich mit ihrem Sohn entzweit, weil er eine Leibeigene geheiratet hat, und hat nun ihr ganzes Vermögen dem Neffen vermacht. Ich denke mir: wie schön wäre es doch, auch so eine Tante für die Zukunft zu haben! Ja, Bruder, warum hast du dich plötzlich von allen zurückgezogen und läßt dich nirgends mehr blicken? Gewiß, ich weiß, du beschäftigst dich zuweilen mit den Wissenschaften und liest gerne (woraus Nosdrjow schloß, daß unser Held sich mit den Wissenschaften beschäftigte und gerne las, das können wir, offen gestanden, unmöglich erklären; noch viel weniger wußte es Tschitschikow). Ach, Bruder Tschitschikow! Wenn du bloß gesehen hättest ... das wäre wirklich ein Fressen für deinen satirischen Geist (warum Tschitschikow einen satirischen Geist haben sollte, war gleichfalls unbekannt). Denke dir nur, beim Kaufmann Lichatschow gab es neulich ein Spielchen – wie wir da alle lachen mußten! Perependew, der mit mir war, sagte: ›Ach, wenn doch der Tschitschikow hier wäre, das wäre was für ihn!‹ (Tschitschikow hatte, solange er lebte, keinen Perependew gekannt). Gestehe es nur, Bruder, es war wirklich gemein von dir, als du mit mir Dame spieltest! Ich hatte doch das Spiel gewonnen ... Ja, Bruder, du hast mich einfach begaunert. Aber ich kann, hol’ mich der Teufel, keinem Menschen zürnen. Neulich mit dem Vorsitzenden ... Ach ja, ich muß dir noch sagen: die ganze Stadt ist jetzt gegen dich. Sie glauben, daß du falsche Banknoten machst. Sie versuchten, mich auszufragen; aber ich trat mit Leib und Seele für dich ein; habe ihnen eingeredet, daß ich dich noch von der Schule her kenne und auch deinen Vater gekannt habe; das muß ich schon sagen, ich habe ihnen etwas Ordentliches zusammengelogen!«
»Was, ich mache falsche Banknoten?« rief Tschitschikow aus und erhob sich von seinem Stuhl.
»Warum hast du ihnen aber solche Angst eingejagt?« fuhr Nosdrjow fort. »Sie sind vor Schreck, hol’s der Teufel, ganz verrückt geworden: haben dich auch zu einem Spion und Räuber erklärt ... Der Staatsanwalt ist aber vor Schreck gestorben, morgen ist die Beerdigung. Gehst du nicht hin? Die Wahrheit zu sagen, haben sie Furcht vor dem neuen Generalgouverneur, daß es deinetwegen einen Skandal gibt; was den Generalgouverneur betrifft, so bin ich der Ansicht, daß er, wenn er gar zu stolz und zu vornehm tut, mit dem Adel nichts anfangen kann. Der Adel will freundlich angefaßt sein, nicht wahr? Gewiß, er kann sich in seinen vier Wänden einsperren und keinen einzigen Ball geben, was erreicht er aber damit? Damit kann er nichts gewinnen. Du hast aber eine riskante Sache unternommen, Tschitschikow!«