»Was für eine riskante Sache?« fragte Tschitschikow besorgt.
»Nun, die Entführung der Gouverneurstochter. Offen gestanden, habe ich es von dir erwartet, bei Gott, ich habe es erwartet! Schon als ich euch zum erstenmal auf dem Ball zusammen sah. ›Nicht umsonst,‹ dachte ich mir, ›sitzt Tschitschikow bei ihr ...‹ Übrigens hast du nicht die richtige Wahl getroffen: ich kann an ihr wirklich nichts finden. Bikassow hat aber eine Verwandte, eine Tochter seiner Schwester, das ist ein Mädel! Da kann man wohl sagen: ein Wunder Gottes!«
»Was redest du eigentlich? Ich will die Gouverneurstochter entführen? Was fällt dir ein?« sagte Tschitschikow und glotzte ihn an.
»Hör’ auf, Bruder: was bist du doch für ein Geheimniskrämer! Offen gestanden, bin ich jetzt zu dir gekommen, um dir meine Hilfe anzubieten. Ich will dir den Gefallen tun und bei der Trauung den Zeugen machen; ich stelle auch den Wagen und die Pferde bei, doch nur unter der Bedingung: du mußt mir dreitausend Rubel pumpen. Es ist für mich eine Lebensfrage!«
Während Nosdrjow so schwatzte, rieb sich Tschitschikow einigemal die Augen, um sich zu vergewissern, daß er nicht träume. Die Herstellung falscher Banknoten, die Entführung der Gouverneurstochter, der Tod des Staatsanwalts, an dem er die Schuld tragen sollte, die Ankunft des Generalgouverneurs – dies alles machte ihm ordentlich Angst. – Nun wenn es schon so weit gekommen ist, – sagte er sich, – so darf ich nicht länger säumen und muß mich schleunigst aus dem Staube machen.
Er bemühte sich, Nosdrjow so schnell als möglich loszuwerden, ließ sofort Sselifan kommen und befahl ihm, bei Sonnenaufgang bereit zu sein, um schon um sechs Uhr früh abreisen zu können; Sselifan sollte alles nachsehen, den Wagen schmieren usw. Sselifan sagte: »Zu Befehl, Pawel Iwanowitsch«, blieb aber noch eine Weile unbeweglich vor der Türe stehen. Der Herr befahl Petruschka, den Koffer, der schon ordentlich verstaubt war, unter dem Bette hervorzuziehen, und fing an, mit Hilfe des Dieners alle seine Habseligkeiten ganz wahllos hineinzupacken: Socken, Hemden, gewaschene und schmutzige Wäsche, Schuhleisten, einen Kalender ... Alle diese Dinge kamen ohne jedes System in den Koffer: Tschitschikow wollte unbedingt schon am Abend fertig sein, damit seine Abreise am nächsten Morgen keinen Aufschub erleide. Nachdem Sselifan an die zwei Minuten vor der Türe gestanden hatte, verließ er sehr langsam das Zimmer. So langsam, wie man es sich nur vorstellen kann, stieg er die Treppe hinunter, auf den ausgetretenen Stufen die Spuren seiner nassen Stiefel zurücklassend; dabei kratzte er sich den Nacken. Was mochte das Kratzen in diesem Falle bedeuten? Und was bedeutet es überhaupt? War es der Ärger, daß die plötzliche Abreise eine von ihm mit einem Kollegen in einem unansehnlichen Pelze und Gürtel verabredete Zusammenkunft in einer kaiserlichen Branntweinschänke unmöglich machte? Oder hatte er an dem neuen Ort eine Liebschaft angefangen, so daß das abendliche Stehen vor dem Tore und das galante Drücken der weißen Hände zu der Stunde, wo die Dämmerung sich über die Stadt herabsenkt, ein Bursche im roten Hemde vor dem Hausgesinde auf der Balalaika klimpert und die zusammengewürfelte, abgehetzte Volksmenge leise Reden führt, ein Ende nehmen sollte? Oder tat es ihm einfach leid, das warme Plätzchen in der Gesindeküche unter dem Schafspelze am Ofen und die Kohlsuppe mit dem weichen städtischen Fleischkuchen zu verlassen, um sich wieder unter Regen und Unwetter über die Landstraßen zu schleppen? Das weiß Gott allein – erraten kann man’s nicht. Gar vieles bedeutet beim russischen Volke dieses Kratzen im Nacken!
Elftes Kapitel
Von alledem, was Tschitschikow erwartete, geschah jedoch nichts. Zuerst wachte er viel später auf, als er sich vorgenommen hatte – das war die erste Unannehmlichkeit. Als er aufgestanden war, schickte er sofort hinunter, um zu erfahren, ob der Wagen angespannt und alles fertig sei; man meldete ihm aber, daß der Wagen noch nicht angespannt und noch nichts fertig sei – das war die zweite Unannehmlichkeit. Er geriet in Wut und nahm sich sogar vor, unserem Freunde Sselifan ein ordentliches Donnerwetter zu machen und wartete nur mit Ungeduld, mit was für Ausreden dieser wohl kommen würde. Bald erschien Sselifan an der Schwelle, und der Herr hatte das Vergnügen, von ihm die bewußten Reden zu hören, die man immer von seiner Dienerschaft zu hören bekommt, wenn man in aller Eile abreisen will.
»Pawel Iwanowitsch, man muß ja noch die Pferde beschlagen.«
»Ach du, Tölpel! Warum hast du mir das nicht früher gesagt? Hast du vielleicht keine Zeit gehabt?«
»Zeit habe ich wohl gehabt ... Dann sind auch die Räder nicht in Ordnung, Pawel Iwanowitsch, man wird sie neu bereifen müssen, denn die Straßen sind jetzt ausgefahren und holperig ... Außerdem muß ich melden: der Vorderteil des Wagens ist ganz aus den Fugen, so daß der Wagen vielleicht schon nach zwei Stationen entzweigeht.« »Gemeiner Kerl!« schrie Tschitschikow und schlug die Hände zusammen. Dann ging er so nahe auf Sselifan zu, daß dieser, aus Angst, von seinem Herrn ein Geschenk zu bekommen, zurücktaumelte und auf die Seite wich.
»Willst du mich morden? Wie? Willst du mich erstechen? Willst du mich auf der Landstraße umbringen, du Räuber, du verfluchter Tölpel, du Meerungeheuer? Drei Wochen sitzen wir doch auf dem gleichen Fleck! Wenn du doch nur ein Wort gesagt hättest, du Taugenichts, hast es aber für die letzte Stunde aufgespart! Wo man schon ganz Spannung ist und nur einzusteigen und wegzufahren braucht? Und da mußtest du mir so übel mitspielen, wie? Du hast es doch schon früher gewußt? Was? Antworte! Hast du es gewußt?«
»Ich hab’ es gewußt«, antwortete Sselifan mit gesenktem Kopf.
»Nun, warum hast du es nicht früher gesagt, wie?«
Auf diese Frage gab Sselifan keine Antwort; wie er aber mit gesenktem Kopfe dastand, schien er sich selbst zu sagen: – Es hat sich wirklich so seltsam gefügt: ich hab’ es wohl gewußt, aber nicht gesagt! –
»Geh jetzt hin und hol einen Schmied. Alles muß in zwei Stunden fertig sein. Hörst du? Unbedingt in zwei Stunden; und wenn nicht, so werde ich dich, so werde ich dich ... zu einem Widderhorn biegen, zu einem Knoten zusammenbinden!« Unser Held war sehr zornig.
Sselifan wandte sich schon zur Türe, um den Auftrag seines Herrn auszuführen, blieb aber stehen und sagte: »Noch eines, Herr: den Schecken sollte man verkaufen, denn er ist ein ganz gemeiner Kerl, Pawel Iwanowitsch; Gott möchte einen jeden vor einem solchen Gaul behüten, er stört nur beim Fahren.«
»Ja, gewiß, gleich laufe ich auf den Markt, um ihn zu verkaufen!«
»Bei Gott, Pawel Iwanowitsch, der sieht nur so aus, als ob er was taugte, in Wirklichkeit ist er aber ein Gauner von einem Gaul, einen solchen Gaul kann man nirgends ...«
» Dummkopf! Wenn ich ihn mal verkaufen will, so verkaufe ich ihn. Was kommst du noch mit langen Erklärungen! Ich werde mal sehen: wenn du mir nicht sofort die Schmiede holst und wenn nicht in zwei Stunden alles fertig ist, so beutele ich dich so durch, daß du dein eigenes Gesicht nicht erkennst! Marsch! Geh!« Sselifan ging.
Tschitschikow geriet in die übelste Laune und schleuderte den Säbel, den er auf Reisen immer bei sich führte, um den Leuten, von denen er Respekt verlangte, solchen einzuflößen, zu Boden. Über eine Viertelstunde verhandelte er mit den Schmieden, ehe er mit ihnen handelseinig wurde, denn die Schmiede waren, wie das immer so ist, abgefeimte Gauner: als sie merkten, daß die Arbeit sehr dringend war, verlangten sie den sechsfachen Preis. Wie sehr er sich auch ereiferte und sie Spitzbuben, Räuber und Ausbeuter der Durchreisenden nannte, wobei er sogar auf das Jüngste Gericht hinwies – alles machte auf die Schmiede nicht den geringsten Eindruck; sie zeigten eine große Charakterstärke und ließen nicht nur nichts vom Preise nach, sondern vertrödelten statt der zwei Stunden ganze fünfeinhalb. Während dieser Zeit hatte er das Vergnügen, die einem jeden Reisenden bekannten angenehmen Augenblicke zu durchkosten, wenn der Koffer gepackt ist und im Zimmer nur noch Bindfaden, Papierfetzen und sonstige Abfälle herumliegen, wenn der Mensch weder als Reisender noch als Ansässiger anzusehen ist und durch das Fenster langsam vorbeigehende Menschen sieht, die über ihre Groschen sprechen und mit einer eigentümlichen dummen Neugier die Augen heben, um ihn anzublicken und dann ihren Weg fortzusetzen, was die üble Laune des armen, nicht abreisen könnenden Reisenden nur noch verschlimmert. Alles, was er sieht: der kleine Kramladen vor seinem Fenster, der Kopf der Alten, die im Hause gegenüber wohnt und ab und zu an das Fenster mit dem kurzen Vorhang tritt – alles ist ihm widerlich, und doch geht er nicht vom Fenster weg. Er steht da, bald ganz geistesabwesend, bald mit stumpfem Interesse alle beweglichen und unbeweglichen Dinge betrachtend, und zerdrückt vor lauter Ärger eine Fliege, die unter seinem Finger summt und mit den Flügeln gegen die Fensterscheibe schlägt. Alles nimmt aber ein Ende, und der ersehnte Augenblick ist da: alles ist fertig, der Vorderteil des Wagens ist ordentlich befestigt, das Rad ist neu bereift, die Pferde sind von der Tränke zurückgekommen, und die räuberischen Schmiede sind, nachdem sie die ihnen ausgezahlten Rubelscheine nachgezählt und dem Reisenden alles Gute gewünscht haben, abgezogen. Endlich waren die Pferde angespannt, zwei soeben gekaufte, heiße Wecken in den Wagen gepackt, und auch Sselifan hatte sich schon etwas in die am Bocke angebrachte Tasche gesteckt; unser Held setzte sich in Gegenwart des Polowoi, der die Mütze schwenkend in seinem obligaten baumwollenen Rock vor der Türe stand, wie auch der anderen Lakaien und Kutscher, wie solcher, die zum Gasthaus gehörten, so auch der fremden, die sich versammelt hatten, um zu sehen, wie ein fremder Herr die Stadt verläßt und die auch bei jeder anderen Ausfahrt zugegen sind, in die Equipage – und der Wagen, von der Art, wie ihn die Junggesellen haben, der in dieser Stadt eine so lange Station gemacht hatte und dessen die Leser wohl schon überdrüssig geworden sind, rollte endlich zum Tore des Gasthauses hinaus. – Gott sei Dank! – dachte sich Tschitschikow, indem er sich bekreuzigte. Sselifan holte mit der Peitsche aus, Petruschka, der einige Minuten auf dem Trittbrett geschwebt hatte, stieg zum Kutscher hinauf, unser Held setzte sich recht bequem auf dem kaukasischen Teppich zurecht, schob sich ein Lederkissen in den Rücken, drückte sich die beiden heißen Wecken an den Körper, und die Equipage begann wieder zu hüpfen und zu springen, infolge des Pflasters, das bekanntlich die Kraft besaß, jeden Gegenstand in die Höhe zu werfen. Mit einem seltsamen, undefinierbaren Gefühl betrachtete er die Häuser, die Mauern, den Bretterzaun und die Straßen, die auch ihrerseits in einer scheinbar hüpfenden Bewegung langsam zurücktraten und von denen nur der liebe Gott allein wußte, ob Tschitschikow sie je wieder in seinem Leben sehen würde. An einer Straßenkreuzung mußte der Wagen halten, weil durch die Quergasse eine endlose Beerdigungsprozession zog. Tschitschikow steckte den Kopf aus dem Wagen und befahl Petruschka, zu erfragen, wer da beerdigt werde; er erfuhr, daß es die Beerdigung des Staatsanwalts war. Von den unangenehmsten Empfindungen erfüllt, drückte er sich sofort in eine Ecke, zog das Lederverdeck hoch und den Vorhang zu. Während die Equipage stillstand, betrachteten Sselifan und Petruschka, die Köpfe fromm entblößt, den Leichenzug und zählten genau nach, wie viele Fußgänger und Equipagen an der Prozession teilnahmen; Tschitschikow hatte ihnen befohlen, sich keinem erkennen zu geben und keinen der ihnen bekannten Lakaien zu grüßen und blickte selbst ängstlich durch die kleinen Fensterchen im ledernen Verdeck hinaus. Dem Sarge folgten entblößten Hauptes alle Beamten. Er fürchtete anfangs, sie könnten seine Equipage erkennen, sie hatten aber ganz andere Sorgen. Sie führten nicht mal die üblichen Gespräche, die stets bei einem Leichenzuge geführt werden. Die Gedanken eines jeden waren nur auf sich selbst gerichtet: sie dachten daran, was der neue Generalgouverneur wohl für ein Mensch sei, wie er wohl die Sache anpacken und wie er sie empfangen werde. Den zu Fuß gehenden Beamten folgten geschlossene Wagen, aus denen Damen mit Trauerhauben hervorblickten. Nach den Bewegungen ihrer Lippen und Hände zu schließen, waren sie in lebhafte Gespräche vertieft; vielleicht sprachen auch sie über die Ankunft des neuen Generalgouverneurs, stellten Kombinationen über die Bälle an, die er geben würde, und redeten von ihren ewigen Festons und Kleiderbesätzen. Diesen Equipagen folgten im Gänsemarsche einige leere Droschken, nach diesen kam aber nichts mehr, und unser Held konnte weiterfahren. Er ließ das Lederverdeck herunter, seufzte und sprach aus tiefster Seele: »Ja, der Staatsanwalt! Er hat gelebt und gelebt und ist dann gestorben! Und nun werden die Zeitungen berichten, er sei, zum größten Leidwesen seiner Untergebenen und der ganzen Menschheit, als ein geachteter Bürger, ein seltener Vater und ein musterhafter Gatte gestorben; noch vieles andere werden sie schreiben; vielleicht werden sie noch hinzufügen, daß ihn die Tränen der Witwen und Waisen zum Grabe begleitet hätten; wenn man aber die Sache vernünftig betrachtet, so gelangt man zum Schluß, daß er bloß buschige Augenbrauen gehabt hat und sonst nichts.« Jetzt befahl er Sselifan, schneller zu fahren und dachte sich dabei: – Es ist eigentlich gut, daß ich einem Leichenzuge begegnet bin; man sagt, es bedeute Glück, wenn man einer Leiche begegnet. –