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»Halt, halt, Dummkopf!« rief Tschitschikow Sselifan zu.

»Da gebe ich dir gleich eins mit dem Säbel!« schrie ein entgegensausender Feldjäger mit einem ellenlangen Schnurrbart. »Siehst du denn nicht, der Teufel schinde deine Seele, daß es eine Staatsequipage ist?« Und wie ein Gespenst verschwand unter Donner und Staub die Troika.

Wieviel Seltsames und Lockendes, Emporhebendes und Herrliches liegt in dem einen Wort: Reisen! Wie herrlich ist sie selbst, diese Fahrt! Ein heiterer Tag, herbstliches Laub, kalte Luft ... Du hüllst dich fester in deinen Mantel, ziehst die Mütze über die Ohren und drückst dich enger und gemütlicher in die Ecke! Zum letztenmal hat ein kalter Schauer deine Glieder ergriffen, und schon ist an seine Stelle eine wohlige Wärme getreten. Die Pferde rasen dahin ... Wie verführerisch schleicht der Schlummer heran, die Augenlider fallen zu, und du hörst wie im Schlafe das Lied vom weißen Schnee, das Schnauben der Pferde, das Rasseln der Räder, und schon schnarchst du und drängst deinen Nachbar in die Ecke. Wenn du erwachst, liegen schon fünf Stationen hinter dir; Mondlicht; eine unbekannte Stadt; Kirchen mit altertümlichen Holzkuppeln und schwarzen Turmspitzen; dunkle hölzerne und weiße gemauerte Häuser; Mondlicht hier und da, als ob weiße Leinentücher an den Wänden hingen und auf den Straßen und auf dem Pflaster lägen; kohlschwarze Schatten durchschneiden sie schräg; wie schimmerndes Metall glänzen die schräg beleuchteten Schindeldächer; und keine Seele weit und breit: alles schläft. Höchstens brennt noch in einem Fensterchen ein einsames Licht: ist’s ein Handwerker, der ein Paar Stiefel näht, ist’s ein Bäcker, der sich bei seinem kleinen Ofen zu schaffen macht? Was kümmert’s uns? Und erst die Nacht!... Himmlische Mächte! Welch eine Nacht begibt sich dort oben in der Höhe! Und die Luft, und der Himmel, der ferne, hohe Himmel in seiner unerreichbaren Tiefe, der sich so grenzenlos wohltönend und heiter breitet! ... Doch ein kalter nächtlicher Hauch weht dir kühl in die Augen und schläfert dich ein, und schon schlummerst du, vergißt dich und schnarchst – und ärgerlich wirft sich dein armer, in die Ecke gedrückter Reisegenosse hin und her, als er deine Last auf sich fühlt. Du erwachst – und wieder liegen vor dir Felder und Steppen; nichts ist zu sehen, alles ist leer, alles ist offen. Ein Werstpfahl fliegt dir mit seiner Zahl in die Augen; der Morgen bricht an; am weißen, kalten Horizont schimmert ein bleicher goldener Streif; frischer und steifer wird der Wind; du hüllst dich fester in deinen warmen Mantel! ... Welch eine herrliche Kälte! Welch ein herrlicher Schlaf, in den du aufs neue versinkst! Ein Stoß – und du erwachst wieder. Die Sonne steht schon hoch am Himmel. »Vorsicht! Vorsicht!« ruft eine Stimme; der Wagen fährt einen steilen Abhang hinab; unten ist ein breiter Mühlendamm und ein großer klarer Teich, der wie ein Messingdeckel in der Sonne glänzt; ein Dorf, die Häuser liegen am Abhang zerstreut; wie ein Stern strahlt seitwärts das Kreuz der Dorfkirche; Geschwätz der Bauern und ein unerträglicher Appetit im Magen ... Gott! Wie schön ist zuweilen auch eine weite, weite Reise! Wie oft habe ich schon wie ein Ertrinkender und Untergehender nach dir gegriffen, und wie oft hast du mich großmütig errettet! Und wieviel herrliche Pläne, poetische Träume sind schon auf einer solchen Fahrt entstanden, wieviel wunderbare Eindrücke gabst du den Sinnen! ...

Auch unser Freund Tschitschikow hatte auf seiner Fahrt durchaus keine ausgesprochen prosaischen Träume. Wollen wir mal untersuchen, was er fühlte. Anfangs fühlte er nichts und blickte nur ab und zu zurück, um sich zu vergewissern, daß er die Stadt tatsächlich verlassen hatte; als er aber sah, daß die Stadt schon längst verschwunden war, daß von den Schmieden, Mühlen und sonstigen Dingen, die in der Nähe der Städte zu sein pflegen, keine Spur mehr zu sehen war und selbst die weißen Türme der steinernen Kirchen in den Erdboden versunken waren, richtete er seine ganze Aufmerksamkeit auf die Fahrt, blickte nur nach rechts und nach links, und die Stadt N. war ganz seinem Gedächtnisse entschwunden, als hätte er sie vor langer Zeit, in seiner Kindheit, auf der Durchreise berührt. Zuletzt interessierte ihn auch die Fahrt nicht mehr; er schloß ein wenig die Augen und ließ seinen Kopf auf das Kissen fallen. Der Autor muß gestehen, daß er sich darüber freut, weil er endlich einmal Gelegenheit hat, einiges über seinen Helden zu erzählen, während ihm bisher immer, wie es der Leser schon sah, bald Nosdrjow, bald die Bälle, bald die Damen, bald der städtische Klatsch und bald die Tausende von Bagatellen im Wege waren, die nur dann als Bagatellen erscheinen, wenn sie im Buche stehen, aber, solange sie in die Wirklichkeit gehören, als höchst wichtige Angelegenheiten angesehen werden. Jetzt wollen wir aber dies alles beiseite lassen und an die Sache schreiten.

Es ist sehr zweifelhaft, ob der von uns erwählte Held den Lesern gefallen wird. Daß er den Damen nicht gefallen wird, darf man wohl positiv behaupten, denn die Damen verlangen, daß ein Held die Vollkommenheit selbst sei; der geringste seelische oder körperliche Makel macht ihn sofort unmöglich. Wenn der Autor ihm noch so tief in die Seele hineinblickt und sein Bild reiner als ein Spiegel zeichnet, so wird das dem Helden nicht den geringsten Wert verleihen. Sogar die Korpulenz und das mittlere Alter Tschitschikows werden ihm viel schaden: die Korpulenz wird man ihm auf keinen Fall verzeihen, und sehr viele Damen werden sich von ihm abwenden und sagen: »Pfui, wie garstig!« Das alles ist dem Autor wohl bekannt, und dennoch kann er sich leider keinen tugendhaften Menschen zum Helden wählen. Aber ... vielleicht wird man in dieser selben Erzählung andere, noch niemals angeschlagene Saiten hören, den unendlichen Reichtum des russischen Geistes kennenlernen, einen mit göttlichen Tugenden begabten Mann erblicken oder ein herrliches russisches Mädchen, das in der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat, mit der ganzen wunderbaren Schönheit der weiblichen Seele, die ganz aus großmütigem Streben und Selbstaufopferung besteht. Und vor ihnen werden die tugendhaften Menschen aller anderen Völker ebenso leblos erscheinen, wie das tote Buch vor dem lebendigen Wort! Russische Regungen werden sich bemerkbar machen ... und die Leser werden sehen, wie tief in die Natur des Slaven das eingedrungen ist, was die Natur der anderen Völker nur oberflächlich berührt hat ... Warum sollen wir aber von Dingen sprechen, die in der Zukunft liegen? Es ziemt sich nicht für den Autor, der schon längst ein vom strengen Innenleben und von der erfrischenden Nüchternheit der Vereinsamung erzogener, gereifter Mann ist, sich gleich dem Jüngling zu vergessen. Alles kommt einmal an die Reihe, alles hat seine Zeit und seinen Platz! Und doch hat der Autor keinen tugendhaften Menschen zum Helden erwählt. Man darf sogar verraten, warum. Weil es endlich einmal Zeit ist, den armen tugendhaften Menschen in Ruhe zu lassen; weil das Wort »tugendhafter Mensch« unnütz von allen Lippen gesprochen wird; weil man den tugendhaften Menschen schon längst zu einem Pferd gemacht hat und es keinen Schriftsteller gibt, der nicht fortwährend auf ihm herumritte und ihn mit der Peitsche und jedem anderen Gegenstand antriebe; weil man den tugendhaften Menschen dermaßen müde gehetzt und ausgehungert hat, daß an ihm nicht mal ein Schatten der Tugend zu sehen ist und nur noch Rippen und Haut statt eines Körpers geblieben sind; weil man den tugendhaften Menschen nur noch mit heuchlerischen Lippen anruft; weil man den tugendhaften Menschen mißachtet. Nein, es ist endlich Zeit, auch mal einen Schurken vorzuspannen. Also wollen wir einen Schurken vorspannen!