Man kann jedoch nicht behaupten, daß die Natur unseres Helden so rauh und hart, daß seine Gefühle so abgestumpft gewesen wären, daß er weder Mitleid noch Barmherzigkeit gekannt habe. Weder das eine noch das andere Gefühl waren ihm fremd; er wäre sogar bereit, seinen Nächsten zu helfen, doch diese Hilfe durfte nicht in größeren Geldsummen bestehen, denn er wollte um keinen Preis das Geld antasten, das er beschlossen hatte, nicht anzutasten; mit einem Worte, der väterliche Rat: »spare jede Kopeke« trug seine Frucht. Er hing aber am Gelde nicht des Geldes wegen; es waren nicht Geiz und Gier, die ihn bewegten. Er hatte ganz andere Beweggründe: ihm schwebte ein Leben mit allen Genüssen und Freuden vor: Equipagen, ein gut eingerichtetes Haus, schmackhaftes Essen – das war es, was seine Gedanken unausgesetzt beschäftigte. Um später einmal, mit der Zeit, dies alles kosten zu können, sparte er jede Kopeke, die er vorläufig sich selbst und den anderen versagte. Wenn an ihm irgendein reicher Mann in einem schönen Rennwagen, mit Trabern in prunkvollem Geschirr, vorüberfuhr, blieb er wie angewurzelt stehen und sagte später, wie aus einem tiefen Traume erwachend: »Und er war doch ein gewöhnlicher Kontorist und trug das Kopfhaar auf Bauernart geschnitten!« Alles, was nach Reichtum und Wohlstand schmeckte, machte auf ihn einen Eindruck, den er sich selbst nicht zu erklären vermochte. Nachdem er die Schule verlassen, wollte er sich auch nicht die kürzeste Ruhe gönnen: so stark war sein Wunsch, so schnell als möglich an die Arbeit zu gehen und in den Dienst zu treten. Trotz der lobenden Atteste gelang es ihm nur mit großer Mühe, einen Posten am Rentamte zu bekommen: auch in der entlegensten Provinz braucht man nämlich Protektion! Der Posten war recht unbedeutend und mit einem Gehalt von nur dreißig oder vierzig Rubel im Jahre verbunden. Er war aber fest entschlossen, sich mit dem größten Eifer dem Dienste zu widmen, alles zu besiegen und zu überwinden. Er zeigte auch in der Tat eine unerhörte Selbstaufopferung, Geduld und Genügsamkeit. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend saß er, ohne die geringste geistige oder körperliche Ermüdung, in die Kanzleipapiere vertieft und schrieb; er ging nicht nach Hause, schlief auf den Kanzleitischen, aß oft mit den Kanzleidienern zu Mittag und brachte es bei alledem doch fertig, die größte Reinlichkeit zu beobachten, sich anständig zu kleiden, seinem Gesicht einen angenehmen Ausdruck und seinen Bewegungen einen gewissen Adel zu verleihen. Es muß erwähnt werden, daß die Rentamtsbeamten sich durch besondere Unansehnlichkeit und Häßlichkeit auszeichneten. Die Gesichter mancher von ihnen erinnerten an ein schlecht gebackenes Brot; die eine Backe war geschwollen, das Kinn ragte in die entgegengesetzte Seite, die Oberlippe war zu einer Blase aufgedunsen, die zudem auch noch gesprungen war; mit einem Wort, sie sahen gar nicht schön aus. Sie sprachen alle mit rauher Stimme, als wollten sie jemand verprügeln; sie opferten oft dem Gotte Bacchus und zeigten auf diese Weise, daß in der Natur der Slaven noch vieles Heidnische erhalten geblieben ist; sie kamen zuweilen sogar angetrunken in den Dienst, so daß in den Amtsräumen eine unangenehme Stimmung herrschte und die Luft durchaus nicht aromatisch war. Unter solchen Beamten mußte Tschitschikow, der sich von ihnen wie durch sein angenehmes Gesicht, so auch durch die freundliche Stimme und die strengste Abstinenz unterschied und auszeichnete, unbedingt auffallen. Und doch machte er seine Karriere nur mit der größten Mühe. Er bekam einen alten Abteilungsvorstand zum Vorgesetzten, der ein Muster steinerner Gefühllosigkeit und Unerschütterlichkeit war; ewig unnahbar, hatte er noch niemals gelächelt und niemand selbst mit einer einfachen Frage nach dem Befinden begrüßt. Noch niemals hatte ihn jemand anders gesehen, nicht einmal auf der Straße, nicht einmal zu Hause; wenn er doch wenigstens einmal Teilnahme für etwas gezeigt hätte! Wenn er sich doch wenigstens einmal betrunken und im Trunke gelacht hätte! Wenn er sich doch wenigstens einmal der wilden Ausgelassenheit hingegeben hätte, der sich selbst ein Räuber im Rausche hingibt! – Von alledem sah man bei ihm keine Spur. Er war überhaupt aller Eigenschaften bar, wie der bösen, so auch der guten, und dieser Mangel machte einen grauenhaften Eindruck. Sein hartes, wie aus Marmor gemeißeltes Gesicht, das nicht die geringste Unregelmäßigkeit aufwies, erinnerte an kein anderes Menschengesicht; alle seine Züge waren streng proportioniert. Nur die vielen Pockennarben und Unebenheiten, die sein Gesicht übersäten, machten es zu einem jener Gesichter, auf denen, wie der Volksmund sich ausdrückt, der Teufel nachts Erbsen drischt. Man sollte annehmen, daß kein Mensch es fertigbringen könnte, die Neigung dieses Menschen zu gewinnen; aber Tschitschikow machte dennoch einen Versuch. Zuerst bemühte er sich, ihm in allerlei Kleinigkeiten gefällig zu sein: er studierte sorgfältig, wie die Federn zugeschnitten waren, mit denen der Vorgesetzte zu schreiben pflegte, schnitt dann einige Stück auf die gleiche Art zu und legte ihm immer eine hin, so oft er eine brauchte; er blies und wischte den Streusand und Tabak von seinem Tische weg; er schaffte einen neuen Putzlappen für sein Tintenfaß an; er brachte heraus, wo jener seine Mütze, die elendeste Mütze, die es je auf der Welt gegeben hat, hinzuhängen pflegte und legte sie jedesmal einen Augenblick vor Schluß der Amtsstunden neben ihn; er putzte ihm den Rücken, wenn er sich an der Wand mit Kalk beschmiert hatte. Dies alles blieb aber völlig unbemerkt, als wäre es überhaupt nicht unternommen worden. Endlich erfuhr Tschitschikow einiges über das Familienleben seines Vorgesetzten: daß er eine ältliche Tochter hatte mit einem Gesicht, auf dem wohl gleichfalls der Teufel nachts Erbsen zu dreschen pflegte. An diesem Punkte unternahm er nun seinen Angriff. Er stellte fest, welche Kirche diese Tochter an Sonntagen zu besuchen pflegte und pflanzte sich dann immer, sauber gekleidet, mit steif gestärktem Vorhemd, ihr gegenüber auf. Dies hatte Erfolg: der strenge Abteilungsvorstand konnte dem nicht widerstehen und lud ihn zum Tee ein! Ehe die Kanzleikollegen es sich versahen, gedieh die Sache so weit, daß Tschitschikow zu ihm ins Haus zog und darin zum unentbehrlichsten Menschen wurde: er kaufte Mehl und Zucker ein, behandelte die Tochter als seine Braut, nannte den Abteilungsvorstand Papachen und küßte ihm die Hand. Das ganze Rentamt war überzeugt, daß Ende Februar, vor dem großen Fasten, die Hochzeit stattfinden würde. Der strenge Abteilungsvorstand verwendete sich sogar für ihn bei der vorgesetzten Behörde, und Tschitschikow bekam nach einiger Zeit, als es gerade eine Vakanz gab, selbst den Posten eines Abteilungsvorstandes. Darin bestand wohl auch der Hauptzweck seiner Verbindung mit dem alten Abteilungsvorstand; denn er ließ dann sofort seinen Koffer heimlich zu sich nach Hause schaffen und befand sich schon am nächsten Tage in einer anderen Wohnung. Er hörte auf, den Abteilungsvorstand Papachen zu nennen und ihm die Hand zu küssen; und die Hochzeit kam überhaupt nicht mehr zur Sprache, als wäre von ihr überhaupt nie die Rede gewesen. Sooft er aber dem alten Abteilungsvorstand begegnete, drückte er ihm freundlich die Hand und lud ihn zu einer Tasse Tee ein, so daß der Alte trotz seiner ewigen Unbeweglichkeit und verstockten Gleichgültigkeit jedesmal den Kopf schüttelte und in den Bart brummte: »Betrogen, betrogen hat er mich, der Teufelssohn!«