Plötzlich wurde aber an Stelle der alten Schlafmütze ein neuer Vorgesetzter ernannt, ein strenger Herr vom Militär, ein Feind jeder Bestechlichkeit und Unredlichkeit. Gleich am ersten Tage nach seiner Ernennung jagte er allen Beamten ohne Ausnahme Angst ein, verlangte Rechenschaftsberichte, stellte auf Schritt und Tritt Fehlbeträge fest, entdeckte sofort auch die Häuser von der schönen bürgerlichen Architektur – und das Spiel ging los. Die Beamten wurden entlassen; die Häuser kamen an den Staat und wurden in allerlei wohltätige Anstalten und Kantonistenschulen umgewandelt; alles wurde zerrupft, und Tschitschikow bekam mehr als die anderen ab. Sein Gesicht mißfiel plötzlich trotz seiner angenehmen Züge dem Vorgesetzten – warum eigentlich, weiß Gott allein: zuweilen geschieht so was ohne jeglichen Grund – und er fing an, Tschitschikow wie den Tod zu hassen. Der unerbittliche Vorgesetzte wütete entsetzlich. Da er aber immerhin ein Militär war und folglich alle Schliche des Zivildienstes nicht kannte, so gelang es bald anderen Beamten mit Hilfe ihres ehrlichen Aussehens und der Kunst, ihm gefällig zu sein, seine Gnade zu erwerben, und der General geriet bald in die Gewalt noch größerer Schurken, die er aber gar nicht für solche hielt; er war sogar zufrieden, daß er die richtigen Leute gefunden hatte, und prahlte sogar ernsthaft mit seiner Kunst, fähige Menschen zu entdecken. Die Beamten erfaßten schnell seinen Charakter und seinen Geist. Alle seine Untergebenen wurden zu verschworenen Gegnern jeder Unredlichkeit; sie verfolgten sie in allen Dingen so, wie der Fischer mit seiner Harpune einen fetten Hausen verfolgt; sie verfolgten sie mit solchem Eifer, daß ein jeder von ihnen bald ein Kapital von mehreren tausend Rubel beisammen hatte. Um diese Zeit bekehrten sich auch viele von den früheren Beamten zur Redlichkeit und wurden wieder in den Dienst genommen. Tschitschikow allein gelang es nicht, wieder in den Dienst zu treten; wie sehr sich für ihn auch der erste Sekretär des Generals, der es wunderbar verstand, seinen Vorgesetzten an der Nase herumzuführen, unter dem Einflusse der Empfehlungsbriefe des Fürsten Chowanskij einsetzte – in diesem Falle konnte er nichts ausrichten. Der General war ein Mensch, der sich wohl an der Nase herumführen ließ (doch ohne sein Wissen); wenn sich aber ein Gedanke in seinem Kopf festsetzte, so saß er darin so fest wie ein eiserner Nagel und ließ sich mit keiner Zange herausziehen. Alles, was der kluge Sekretär ausrichten konnte, war, daß Tschitschikows alte beschmutzte Dienstliste vernichtet wurde; und auch das hatte er beim General nur durch einen Appell an sein Mitleid erreicht, indem er ihm in den lebhaftesten Farben das rührende Schicksal der unglücklichen Familie Tschitschikows ausmalte, die jener glücklicherweise gar nicht besaß.
»Was ist da zu machen!« sagte Tschitschikow: »Die Sache ist einmal vorbeigelungen – punktum! Weinen nützt nichts, man muß handeln.« Und er entschloß sich, seine Karriere von neuem zu beginnen, sich aufs neue mit Geduld zu wappnen, sich wieder in allen Dingen einzuschränken, so angenehm sein Leben vorher auch war. Er mußte in eine andere Stadt ziehen und sich dort berühmt machen. Das wollte ihm lange Zeit nicht gelingen. Zwei oder drei Posten mußte er schnell hintereinander wechseln. Diese Posten waren irgendwie schmutzig und erniedrigend. Es muß hier festgestellt werden, daß Tschitschikow der reinlichste und heikelste Mensch auf Erden war. Obwohl er anfangs auch in einer unsauberen Gesellschaft hatte verkehren müssen, bewahrte er seine Seele doch immer rein, hielt darauf, daß in den Kanzleien lackierte Tische waren und daß alles anständig aussah. Niemals erlaubte er sich im Gespräch ein unanständiges Wort und fühlte sich immer verletzt, wenn er in den Worten der anderen den schuldigen Respekt vor Titel und Würden vermißte. Ich glaube, es wird dem Leser angenehm sein, zu erfahren, daß er jeden zweiten Tag die Wäsche wechselte, im Sommer aber, während der heißesten Monate, sogar jeden Tag: jeder irgendwie unangenehme Geruch beleidigte ihn. Aus diesem Grunde pflegte er sich jedesmal, wenn Petruschka erschien, um ihm beim Auskleiden behilflich zu sein und die Stiefel auszuziehen, eine Gewürznelke in die Nase zu stecken; in vielen Dingen waren seine Nerven so empfindlich wie die eines jungen Mädchens; darum fiel es ihm so schwer, wieder in die Gesellschaftsschichten hinabzusteigen, wo es nach Schnaps und schlechten Manieren roch. So sehr er sich auch zusammennahm, er magerte infolge dieser Widerwärtigkeiten ab und bekam sogar eine grünliche Gesichtsfarbe. Hatte er ja schon angefangen, dick zu werden und die rundlichen und angenehmen Formen anzunehmen, mit denen ihn der Leser kennengelernt hat; gar oft hatte er schon bei einem Blick in den Spiegel an allerlei Angenehmes gedacht: an ein junges Weibchen, an eine Kinderstube, und diesen Gedanken folgte stets ein Lächeln; als er aber jetzt einmal zufällig in den Spiegel blickte, konnte er sich nicht des Ausrufes enthalten: »Heilige Mutter Gottes! Wie garstig ich geworden bin!« Nachher wollte er lange Zeit nicht mehr in den Spiegel blicken. Doch unser Held trug alles tapfer und geduldig; schließlich bekam er eine Stellung beim Zollamt. Es ist zu erwähnen, daß diese Tätigkeit schon längst der Gegenstand seiner geheimen Gedanken war. Er sah, was die Zollbeamten sich für elegante ausländische Sächelchen zulegten, was für Porzellan und Batist sie ihren Gevatterinnen, Tanten und Schwestern schickten. Mehr als einmal hatte er schon seufzend ausgerufen: »Ach, wenn ich da eine Anstellung bekommen könnte: man sitzt dicht an der Grenze und hat mit gebildeten Menschen zu tun, und was für feine holländische Hemden kann man sich da anschaffen!« Es muß hinzugefügt werden, daß er dabei auch noch an eine gewisse Sorte französischer Seife dachte, welche der Haut eine ungewöhnliche Weiße und den Wangen eine herrliche Frische verlieh; wie diese Seife hieß, weiß Gott allein, er vermutete aber, daß sie an der Grenze anzutreffen war. Er wollte also schon längst in den Zolldienst treten, wurde aber noch von verschiedenen augenblicklichen Vorteilen an der Baukommission festgehalten; er sagte sich mit Recht, daß das Zollamt allenfalls doch nur eine Taube auf dem Dache, die Kommission aber der Sperling in der Hand sei. Jetzt aber wollte er, koste es, was es wolle, im Zolldienste unterkommen, und er erreichte es auch. Er machte sich ans Werk mit ungewöhnlichem Eifer. Das Schicksal selbst schien ihn zum Zollbeamten bestimmt zu haben. Eine solche Geschicklichkeit, einen solchen Scharfblick hatte man nicht nur niemals gesehen, man hatte von ihnen nicht mal gehört. Nach drei, vier Wochen hatte er sich bereits eine solche Tüchtigkeit in der Zollbranche angeeignet, daß er rein alles wußte: ohne zu messen und zu wiegen, erkannte er schon nach der Faktur, wieviel Ellen Tuch oder anderen Stoff ein Ballen enthielt; wenn er ein Paket bloß in die Hand nahm, konnte er sofort sagen, wieviel Pfund es wog. Was aber die Durchsuchung des Gepäcks betrifft, so hatte er darin, wie sich selbst seine Kollegen ausdrückten, die Nase eines Spürhundes: man mußte staunen, wenn man die Geduld sah, mit der er jeden Knopf betastete; und dies alles machte er mit einer geradezu mörderischen Kaltblütigkeit und einer unerhörten Höflichkeit. Während die von ihm durchsuchten Reisenden vor Wut rasten, aus der Haut fuhren und die böse Lust verspürten, ihm sein angenehmes Gesicht durch Nasenstüber zu verunstalten, sagte er nur, ohne das Gesicht zu verziehen und ohne etwas von seiner Liebenswürdigkeit zu verlieren: »Wollen Sie sich nicht bemühen und ein wenig aufstehen?«, oder: »Wollen Sie sich nicht, gnädige Frau, ins Nebenzimmer begeben? Die Gattin eines unserer Beamten wird mit Ihnen einige Worte wechseln«; oder: »Gestatten Sie, daß ich Ihnen das Unterfutter Ihres Mantels mit meinem Messer ein wenig auftrenne.« Und mit diesen Worten zog er Schals und Tücher hervor, so kaltblütig, wie aus seinem eigenen Koffer. Selbst die Vorgesetzten meinten, er sei ein Teufel und kein Mensch: er fand die Konterbande in Wagenrädern, Deichseln, Pferdeohren und an weiß Gott was für Stellen, in die kein Dichter hineinlangen würde, und in die hineinzulangen es höchstens einem Zollbeamten erlaubt ist; der arme Reisende, der über die Grenze gekommen, blieb dann einige Minuten wie vor den Kopf geschlagen; er wischte sich den Schweiß ab, der seinen ganzen Körper wie ein Ausschlag bedeckte, bekreuzigte sich und sagte bloß: »Na, na!« Seine Lage glich außerordentlich der eines Schuljungen, der eben aus dem geheimen Gemach gelaufen kommt, wohin ihn der Lehrer gerufen, um ihm eine kleine Belehrung zu erteilen und ihm statt dessen ganz unerwartet eine Portion Ruten verabreicht hat. In kürzester Zeit hatte er den Schmugglern das Leben ganz unmöglich gemacht. Er war der Schrecken und die Verzweiflung der ganzen polnischen Judenschaft. Seine Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit waren unüberwindlich, beinahe unnatürlich. Er legte sich nicht einmal ein kleines Kapital aus den konfiszierten Waren und den den Reisenden abgenommenen Gegenständen an, die, zur Vermeidung unnötiger Schreibereien, an den Staat nicht abgeliefert wurden. Solch ein eifriger und uneigennütziger Dienst mußte zum Gegenstand des allgemeinen Staunens werden und schließlich auch der höchsten Behörde zu Ohren kommen. Er erhielt einen Titel, wurde befördert und reichte bald darauf ein Projekt ein, wie man alle Schmuggler einfangen könnte; dabei bat er nur um die Ermächtigung, das Projekt selbst zu verwirklichen. Man erteilte ihm sofort den Oberbefehl und das unbeschränkte Recht, allerlei Untersuchungen anzustellen. Das war alles, was er brauchte. Um jene Zeit hatte sich gerade eine planmäßig organisierte, mächtige Schmugglergesellschaft gebildet; das freche Unternehmen versprach Millionen abzuwerfen. Tschitschikow hatte schon längst Kenntnis von der Sache, und als die Gesellschaft ihn durch Abgesandte zu bestechen versuchte, ging er darauf sogar nicht ein und sagte trocken: »Es ist noch nicht Zeit.« Als er aber alle Vollmachten in Händen hatte, ließ er sofort der Gesellschaft ansagen: »Jetzt ist es Zeit.« Sein Plan war mehr als sicher. Er hatte die Möglichkeit, in einem Jahre mehr zu verdienen als in zwanzig Jahren des eifrigsten Dienstes. Früher wollte er mit den Schmugglern nichts zu tun haben, weil er da nur eine untergeordnete Rolle spielen und nicht viel hätte verdienen können; doch jetzt ... jetzt war es eine ganz andere Sache: jetzt konnte er beliebige Bedingungen diktieren. Damit die Sache glatter vonstatten gehe, überredete er einen anderen Beamten, seinen Kollegen, der, obwohl er schon ergraut war, der Versuchung nicht widerstehen konnte. Das Abkommen wurde geschlossen, und die Gesellschaft machte sich ans Werk. Ihre ersten Schritte hatten den glänzendsten Erfolg. Der Leser hat schon sicher jene, oft wiedererzählte Geschichte von der klug erdachten Reise spanischer Hammel gehört, die die Grenze in doppelten Fellen überschritten und dabei für eine Million Brabanter Spitzen hinüberschmuggelten. Diese Geschichte spielte sich gerade zu der Zeit ab, als Tschitschikow beim Zollamt diente. Wäre er nicht selbst an diesem Unternehmen beteiligt gewesen, so hätte kein Jude in der ganzen Welt diesen Streich verüben können. Nach drei oder vier solchen Grenzüberschreitungen der Hammel hatten die beiden Beamten je vierhunderttausend Rubel Kapital. Tschitschikow soll sogar über fünfhunderttausend gehabt haben, da er geschickter war als der andere. Gott allein weiß, welch eine Riesenziffer diese gesegneten Summen erreicht hätten, wenn nicht ein böser Zufall in die Quere gekommen wäre. Der Teufel nahm den beiden Beamten jede Vernunft: sie wurden einfach verrückt und gerieten ohne jeglichen triftigen Grund in Streit. In einem hitzigen Gespräch, vielleicht auch in einem etwas trunkenen Zustande, nannte Tschitschikow den anderen Beamten einen Popensohn; jener war zwar wirklich ein Popensohn, fühlte sich aber, Gott weiß warum, auf einmal furchtbar verletzt und gab ihm sofort eine außerordentlich scharfe Abfuhr; er sagte nämlich: »Nein, du lügst: ich bin Staatsrat und kein Popensohn; du aber bist ein Popensohn!« Um ihn noch mehr zu ärgern, fügte er hinzu: »Ja, so ist’s!« Obwohl er Tschitschikow auf diese Weise ordentlich seine Meinung gesagt und den beleidigenden Ausdruck mit einer Retourkutsche zurückgegeben hatte, und obwohl die Wendung: »Ja, so ist’s!« stark genug war, begnügte er sich nicht damit und schickte außerdem noch eine geheime Anzeige an die vorgesetzte Behörde. Man sagt übrigens, sie hätten auch ohnehin einen Streit wegen eines frischen jungen Weibes gehabt, das, wie sich die Zollbeamten ausdrückten, so fest wie eine Zaunrübe war; es sollen sogar ein paar Männer gedungen worden sein, um unseren Helden eines Abends in einer dunklen Gasse zu verhauen; die beiden Beamten hätten aber nichts erreicht, und das Weib sei einem gewissen Stabshauptmann Schamscharjow zugefallen. Wie es sich in Wahrheit verhielt, weiß Gott allein; der Leser kann, wenn er Lust hat, die Geschichte selbst weiter ausspinnen. Die Hauptsache aber ist, daß ihre geheimen Verbindungen mit den Schmugglern zu offenbaren wurden. Der Staatsrat ging zwar selbst zugrunde, stürzte aber auch seinen Kollegen ins Verderben. Die Beamten kamen vor Gericht, man beschlagnahmte alles, was sie hatten, und das Ganze kam so unerwartet, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Erst als sie wie aus einem Rausche erwachten, merkten sie, was sie angestellt hatten. Der Staatsrat konnte dem Schicksal nicht standhalten und ging irgendwo in der gottvergessenen Provinz zugrunde, der Kollegienrat aber ging nicht unter. Er verstand es, trotz der feinen Witterung der Beamten, die mit der Untersuchung betraut waren, einen Teil des Geldes auf die Seite zu schaffen; er wandte alle Schliche seiner großen Erfahrung und seiner ganzen Menschenkenntnis an: hier ging er mit seinen angenehmen Manieren vor, dort mit rührenden Reden; hier beräucherte er die Beamten mit Schmeichelei, die niemals schaden kann, dort steckte er einem etwas Geld zu; mit einem Worte, er machte die Sache so, daß er einen weniger entehrenden Abschied bekam als sein Kollege und dem Kriminalgericht entging. Doch vom Kapital und von all den ausländischen Sächelchen blieb ihm so gut wie nichts zurück: für diese Dinge hatten sich andere Liebhaber gefunden. Es blieben ihm nur an die zehntausend Rubel, die er sich für die Stunde der Not zurückgelegt hatte, zwei Dutzend holländische Hemden, der kleine Wagen, wie ihn die Junggesellen zu benutzen pflegen, und zwei Leibeigene: der Kutscher Sselifan und der Lakai Petruschka; außerdem hatten ihm die Zollbeamten aus lauter Herzensgüte fünf oder sechs Stück Seife zur Erhaltung der Frische seiner Wangen gelassen – das war alles. In einer solchen Lage befand sich nun unser Held! Ein so schweres Ungemach war plötzlich über ihn hereingebrochen! Dies nannte er, ein Opfer seiner Redlichkeit sein. Nun hätte man meinen sollen, er würde sich nach diesen Stürmen, Prüfungen, Schicksalsschlägen und Plagen mit den ihm gebliebenen letzten zehntausend Rubelchen in irgendeine entlegene friedliche Kreisstadt zurückziehen und dort in einem Schlafrock aus Kattun vor dem Fenster eines niedrigen Häuschens für immer eintrocknen, an Sonntagen die Raufereien der Bauern vor seinen Fenstern schlichten, oder mal zur Abwechslung einen Spaziergang nach dem Hühnerstall machen, um persönlich das für die Suppe bestimmte Huhn zu betasten und auf diese Weise sein stilles, doch in seiner Art nicht nutzloses Leben beschließen. Es kam aber anders. Man muß seiner unüberwindlichen Charakterstärke jede Anerkennung zollen. Nach allen diesen Erlebnissen, die genügt hätten, um einen Menschen, wenn nicht umzubringen, so doch jeden