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zu verziehen und ohne etwas von seiner Liebenswürdigkeit zu verlieren: »Wollen Sie sich nicht bemühen und ein wenig aufstehen?«, oder: »Wollen Sie sich nicht, gnädige Frau, ins Nebenzimmer begeben? Die Gattin eines unserer Beamten wird mit Ihnen einige Worte wechseln«; oder: »Gestatten Sie, daß ich Ihnen das Unterfutter Ihres Mantels mit meinem Messer ein wenig auftrenne.« Und mit diesen Worten zog er Schals und Tücher hervor, so kaltblütig, wie aus seinem eigenen Koffer. Selbst die Vorgesetzten meinten, er sei ein Teufel und kein Mensch: er fand die Konterbande in Wagenrädern, Deichseln, Pferdeohren und an weiß Gott was für Stellen, in die kein Dichter hineinlangen würde, und in die hineinzulangen es höchstens einem Zollbeamten erlaubt ist; der arme Reisende, der über die Grenze gekommen, blieb dann einige Minuten wie vor den Kopf geschlagen; er wischte sich den Schweiß ab, der seinen ganzen Körper wie ein Ausschlag bedeckte, bekreuzigte sich und sagte bloß: »Na, na!« Seine Lage glich außerordentlich der eines Schuljungen, der eben aus dem geheimen Gemach gelaufen kommt, wohin ihn der Lehrer gerufen, um ihm eine kleine Belehrung zu erteilen und ihm statt dessen ganz unerwartet eine Portion Ruten verabreicht hat. In kürzester Zeit hatte er den Schmugglern das Leben ganz unmöglich gemacht. Er war der Schrecken und die Verzweiflung der ganzen polnischen Judenschaft. Seine Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit waren unüberwindlich, beinahe unnatürlich. Er legte sich nicht einmal ein kleines Kapital aus den konfiszierten Waren und den den Reisenden abgenommenen Gegenständen an, die, zur Vermeidung unnötiger Schreibereien, an den Staat nicht abgeliefert wurden. Solch ein eifriger und uneigennütziger Dienst mußte zum Gegenstand des allgemeinen Staunens werden und schließlich auch der höchsten Behörde zu Ohren kommen. Er erhielt einen Titel, wurde befördert und reichte bald darauf ein Projekt ein, wie man alle Schmuggler einfangen könnte; dabei bat er nur um die Ermächtigung, das Projekt selbst zu verwirklichen. Man erteilte ihm sofort den Oberbefehl und das unbeschränkte Recht, allerlei Untersuchungen anzustellen. Das war alles, was er brauchte. Um jene Zeit hatte sich gerade eine planmäßig organisierte, mächtige Schmugglergesellschaft gebildet; das freche Unternehmen versprach Millionen abzuwerfen. Tschitschikow hatte schon längst Kenntnis von der Sache, und als die Gesellschaft ihn durch Abgesandte zu bestechen versuchte, ging er darauf sogar nicht ein und sagte trocken: »Es ist noch nicht Zeit.« Als er aber alle Vollmachten in Händen hatte, ließ er sofort der Gesellschaft ansagen: »Jetzt ist es Zeit.« Sein Plan war mehr als sicher. Er hatte die Möglichkeit, in einem Jahre mehr zu verdienen als in zwanzig Jahren des eifrigsten Dienstes. Früher wollte er mit den Schmugglern nichts zu tun haben, weil er da nur eine untergeordnete Rolle spielen und nicht viel hätte verdienen können; doch jetzt ... jetzt war es eine ganz andere Sache: jetzt konnte er beliebige Bedingungen diktieren. Damit die Sache glatter vonstatten gehe, überredete er einen anderen Beamten, seinen Kollegen, der, obwohl er schon ergraut war, der Versuchung nicht widerstehen konnte. Das Abkommen wurde geschlossen, und die Gesellschaft machte sich ans Werk. Ihre ersten Schritte hatten den glänzendsten Erfolg. Der Leser hat schon sicher jene, oft wiedererzählte Geschichte von der klug erdachten Reise spanischer Hammel gehört, die die Grenze in doppelten Fellen überschritten und dabei für eine Million Brabanter Spitzen hinüberschmuggelten. Diese Geschichte spielte sich gerade zu der Zeit ab, als Tschitschikow beim Zollamt diente. Wäre er nicht selbst an diesem Unternehmen beteiligt gewesen, so hätte kein Jude in der ganzen Welt diesen Streich verüben können. Nach drei oder vier solchen Grenzüberschreitungen der Hammel hatten die beiden Beamten je vierhunderttausend Rubel Kapital. Tschitschikow soll sogar über fünfhunderttausend gehabt haben, da er geschickter war als der andere. Gott allein weiß, welch eine Riesenziffer diese gesegneten Summen erreicht hätten, wenn nicht ein böser Zufall in die Quere gekommen wäre. Der Teufel nahm den beiden Beamten jede Vernunft: sie wurden einfach verrückt und gerieten ohne jeglichen triftigen Grund in Streit. In einem hitzigen Gespräch, vielleicht auch in einem etwas trunkenen Zustande, nannte Tschitschikow den anderen Beamten einen Popensohn; jener war zwar wirklich ein Popensohn, fühlte sich aber, Gott weiß warum, auf einmal furchtbar verletzt und gab ihm sofort eine außerordentlich scharfe Abfuhr; er sagte nämlich: »Nein, du lügst: ich bin Staatsrat und kein Popensohn; du aber bist ein Popensohn!« Um ihn noch mehr zu ärgern, fügte er hinzu: »Ja, so ist’s!« Obwohl er Tschitschikow auf diese Weise ordentlich seine Meinung gesagt und den beleidigenden Ausdruck mit einer Retourkutsche zurückgegeben hatte, und obwohl die Wendung: »Ja, so ist’s!« stark genug war, begnügte er sich nicht damit und schickte außerdem noch eine geheime Anzeige an die vorgesetzte Behörde. Man sagt übrigens, sie hätten auch ohnehin einen Streit wegen eines frischen jungen Weibes gehabt, das, wie sich die Zollbeamten ausdrückten, so fest wie eine Zaunrübe war; es sollen sogar ein paar Männer gedungen worden sein, um unseren Helden eines Abends in einer dunklen Gasse zu verhauen; die beiden Beamten hätten aber nichts erreicht, und das Weib sei einem gewissen Stabshauptmann Schamscharjow zugefallen. Wie es sich in Wahrheit verhielt, weiß Gott allein; der Leser kann, wenn er Lust hat, die Geschichte selbst weiter ausspinnen. Die Hauptsache aber ist, daß ihre geheimen Verbindungen mit den Schmugglern zu offenbaren wurden. Der Staatsrat ging zwar selbst zugrunde, stürzte aber auch seinen Kollegen ins Verderben. Die Beamten kamen vor Gericht, man beschlagnahmte alles, was sie hatten, und das Ganze kam so unerwartet, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Erst als sie wie aus einem Rausche erwachten, merkten sie, was sie angestellt hatten. Der Staatsrat konnte dem Schicksal nicht standhalten und ging irgendwo in der gottvergessenen Provinz zugrunde, der Kollegienrat aber ging nicht unter. Er verstand es, trotz der feinen Witterung der Beamten, die mit der Untersuchung betraut waren, einen Teil des Geldes auf die Seite zu schaffen; er wandte alle Schliche seiner großen Erfahrung und seiner ganzen Menschenkenntnis an: hier ging er mit seinen angenehmen Manieren vor, dort mit rührenden Reden; hier beräucherte er die Beamten mit Schmeichelei, die niemals schaden kann, dort steckte er einem etwas Geld zu; mit einem Worte, er machte die Sache so, daß er einen weniger entehrenden Abschied bekam als sein Kollege und dem Kriminalgericht entging. Doch vom Kapital und von all den ausländischen Sächelchen blieb ihm so gut wie nichts zurück: für diese Dinge hatten sich andere Liebhaber gefunden. Es blieben ihm nur an die zehntausend Rubel, die er sich für die Stunde der Not zurückgelegt hatte, zwei Dutzend holländische Hemden, der kleine Wagen, wie ihn die Junggesellen zu benutzen pflegen, und zwei Leibeigene: der Kutscher Sselifan und der Lakai Petruschka; außerdem hatten ihm die Zollbeamten aus lauter Herzensgüte fünf oder sechs Stück Seife zur Erhaltung der Frische seiner Wangen gelassen – das war alles. In einer solchen Lage befand sich nun unser Held! Ein so schweres Ungemach war plötzlich über ihn hereingebrochen! Dies nannte er, ein Opfer seiner Redlichkeit sein. Nun hätte man meinen sollen, er würde sich nach diesen Stürmen, Prüfungen, Schicksalsschlägen und Plagen mit den ihm gebliebenen letzten zehntausend Rubelchen in irgendeine entlegene friedliche Kreisstadt zurückziehen und dort in einem Schlafrock aus Kattun vor dem Fenster eines niedrigen Häuschens für immer eintrocknen, an Sonntagen die Raufereien der Bauern vor seinen Fenstern schlichten, oder mal zur Abwechslung einen Spaziergang nach dem Hühnerstall machen, um persönlich das für die Suppe bestimmte Huhn zu betasten und auf diese Weise sein stilles, doch in seiner Art nicht nutzloses Leben beschließen. Es kam aber anders. Man muß seiner unüberwindlichen Charakterstärke jede Anerkennung zollen. Nach allen diesen Erlebnissen, die genügt hätten, um einen Menschen, wenn nicht umzubringen, so doch jedenfalls für immer abzukühlen und zu demütigen, war in ihm seine ungeheure Leidenschaftlichkeit dennoch nicht erloschen. Er härmte sich ab, er ärgerte sich, er murrte gegen die ganze Welt, zürnte dem ungerechten Schicksal, empörte sich über die ungerechten Menschen und konnte sich doch nicht versagen, neue Versuche zu unternehmen. Mit einem Worte, er zeigte eine Geduld, gegen die die hölzerne Geduld des Deutschen, die schon von seinem langsamen Blutumlauf bedingt wird, gar nichts ist. Das Blut Tschitschikows wallte dagegen lebhaft, und er mußte seinen ganzen zielbewußten Willen zusammennehmen, um alles, was sich aus ihm drängte und nach Freiheit lechzte, im Zaume zu halten. Er stellte Betrachtungen an, denen eine gewisse Richtigkeit nicht abzusprechen ist: »Warum mußte ich es sein? Warum ist das Unglück über mich hereingebrochen? Welcher Beamte schläft jetzt und denkt nicht an Erwerb? Ich habe doch keinen Menschen unglücklich gemacht: ich habe keine Witwe beraubt, habe niemand an den Bettelstab gebracht; ich habe nur vom Überflusse geschöpft; ich nahm dort, wo auch jeder andere an meiner Stelle genommen hätte; hätte ich es nicht genommen, so täten es die anderen. Warum sollen die anderen ihr Leben genießen, und warum soll ich wie ein Wurm zugrunde gehen? Was bin ich jetzt? Wozu tauge ich noch? Mit welchen Augen kann ich jetzt einem achtbaren Familienvater ins Gesicht sehen? Wie soll ich keine Gewissensbisse empfinden, wo ich weiß, daß ich die Erde unnütz belaste? Und was werden einmal meine Kinder sagen? – ›Unser Vater,‹ werden sie sagen, ›war ein gemeiner Kerclass="underline" er hat uns gar kein Vermögen hinterlassen!‹«