Es ist den Lesern schon bekannt, daß Tschitschikow um seine Nachkommen sehr besorgt war. Das ist ein äußerst subtiles Thema! Gar mancher würde vielleicht nicht so tief in eine fremde Tasche greifen, wenn ihm nicht ganz von selbst die Frage käme: »Und was werden die Kinder sagen?« Und der künftige Stammvater schielt wie ein vorsichtiger Kater mit dem einen Auge zur Seite, ob ihn der Hausherr nicht beobachtet, und ergreift eilig alles, was gerade in der Nähe ist: Seife, Kerzen, Speck, oder einen Kanarienvogel, der ihm unter die Pfoten kommt, mit einem Worte, er läßt sich nichts entgehen. So jammerte und weinte unser Held, und doch stand seine Gehirntätigkeit keinen Augenblick still; in seinem Kopfe wollte unablässig etwas entstehen, was nur noch auf einen Plan wartete. Er schrumpfte wieder zusammen, begann wieder hart zu arbeiten, schränkte sich wieder in allen Dingen ein und sank wieder aus der Reinheit und der anständigen Position zu einem schmutzigen und niedrigen Dasein hinab. In Erwartung eines besseren war er gezwungen, den Beruf eines Rechtskonsulenten zu ergreifen – einen Beruf, der sich bei uns noch nicht recht eingebürgert hat: so ein Rechtskonsulent wird von allen Seiten herumgestoßen, von den kleinen Beamten und selbst von seinen Klienten verachtet und ist verurteilt, wie ein Lakai in den Vorzimmern herumzusitzen und jede Grobheit über sich ergehen zu lassen; doch die Not zwang ihn dazu. Unter anderem wurde er mit der Aufgabe betraut, einige hundert Bauern beim Vormundschaftsgericht zu verpfänden. Das Gut war gänzlich ruiniert; die Schuld am Ruin waren Viehseuchen, betrügerische Verwalter, Mißernten, Epidemien, an denen die besten Arbeiter starben, und nicht zuletzt die Dummheit des Gutsbesitzers selbst, der sich in Moskau ein Haus nach der neuesten Mode eingerichtet und für diese Einrichtung sein ganzes Vermögen bis zur letzten Kopeke aufgebraucht hatte, so daß ihm zuletzt nichts zum Essen blieb. Aus diesem Grunde mußte er das letzte ihm noch gebliebene Gut verpfänden. Verpfändungen bei der Krone waren damals noch eine neue Sache, zu der man sich nicht ohne eine gewisse Angst entschloß. Nachdem Tschitschikow als Bevollmächtigter des Gutsbesitzers alle in Betracht kommenden Personen günstig gestimmt hatte (ohne diese Stimmungsmache kann man bei uns bekanntlich nicht mal eine gewöhnliche Auskunft einholen: eine Flasche Madeira pro Kopf ist dabei das mindeste) – nachdem er also alle günstig gestimmt hatte, brachte er unter anderem folgenden Umstand zur Sprache: »Die Hälfte der Bauern ist ausgestorben; ob man nicht deswegen hinterher Schwierigkeiten hat?« – »Aber sie stehen doch noch auf der Revisionsliste?« fragte der Sekretär. – »Ja, auf der Liste stehen sie schon«, antwortete Tschitschikow. – »Was haben Sie dann solche Angst?« sagte der Sekretär. »Der eine stirbt, ein anderer kommt zur Welt, beide taugen gleich fürs Feld.« Der Sekretär verstand offenbar auch in Reimen zu sprechen. Unserem Helden kam aber der genialste Gedanke, der je einem Menschen in den Sinn gekommen ist. »Ach ich Dummkopf!« sagte er zu sich selbst. »Ich suche meine Handschuhe, und die stecken beide in meinem Gürtel! Wenn ich von solchen Gestorbenen vor Einreichung der neuen Revisionslisten, sagen wir, tausend Stück kaufe und sie beim Vormundschaftsgericht zu, sagen wir, zweihundert Rubel verpfände, so habe ich gleich zweihunderttausend Rubel Kapital! Jetzt ist aber die geeignetste Zeit: es hat eben eine Epidemie gegeben, und es sind, Gott sei Dank, genug Menschen gestorben. Die Gutsbesitzer haben ihre Vermögen am Kartentisch verloren, haben ordentlich gebummelt und sind ruiniert; alles geht nach Petersburg und tritt in den Staatsdienst: die Güter sind verlassen und werden elend verwaltet, und den Besitzern wird es mit jedem Jahre schwerer, die Steuern zu bezahlen; ein jeder wird mir darum mit Freuden seine gestorbenen Bauern abtreten, um keine Steuern für sie bezahlen zu müssen; mancher wird mir vielleicht noch was draufzahlen. Das ist natürlich recht schwierig und mühevoll und auch nicht ungefährlich, denn es kann daraus eine neue Geschichte entstehen. Aber dazu hat der Mensch seinen Verstand! Das Gute dabei ist, daß die Sache so unwahrscheinlich klingt und niemand es glauben wollen wird. Allerdings kann man sie ohne Land weder kaufen noch verpfänden. Ich werde sie aber zwecks Übersiedlung kaufen; im Taurischen und Cherssoner Gouvernement bekommt man jetzt Land so gut wie umsonst, wenn man nur Bauern zum Ansiedeln hat. Dort will ich sie auch alle ansiedeln! Ins Cherssoner Gouvernement mit ihnen! Sollen sie da wohnen! Die Übersiedlung kann ich auf vollkommen gesetzliche Weise machen, ganz wie es sich gehört, durch das Gericht. Und wenn sie die Bauern auf ihre Tauglichkeit hin untersuchen wollen, so habe ich nichts dagegen, warum denn nicht? Ich kann auch ein Attest mit eigenhändiger Unterschrift irgendeines Polizeihauptmanns beibringen. Den Besitz kann ich ›Tschitschikows Dorf‹ nennen oder auch nach meinem Taufnamen ›Pawlowskoje‹.« So entstand im Kopfe unseres Helden dieser seltsame Plan; ich weiß nicht, ob meine Leser ihm dafür dankbar sein werden, der Verfasser weiß aber gar nicht, wie er ihm danken soll, denn wäre Tschitschikow nicht auf diesen Gedanken gekommen, so hätte dieses Poem wohl nie erscheinen können.
Nach russischer Sitte bekreuzigte er sich erst und schritt dann an die Ausführung. Unter dem Vorwande, sich einen Wohnort auswählen zu wollen, und auch unter anderen Vorwänden, nahm er sich vor, verschiedene Gegenden unseres Landes aufzusuchen, und zwar in erster Linie solche, die von Unglück, wie Mißernten, Seuchen usw., betroffen waren, mit einem Worte Gegenden, wo er die Leute, die er brauchte, billig kaufen könnte. Er wandte sich nicht aufs Geratewohl an jeden beliebigen Gutsbesitzer, sondern wählte sich die Leute nach seinem Geschmack, d. h. solche, mit denen sich ähnliche Geschäfte mit möglichst wenig Schwierigkeiten machen ließen, wobei er immer zunächst versuchte, mit ihnen bekannt zu werden und sie günstig zu stimmen, um die Bauern womöglich nicht durch Kauf, sondern als Geschenk zu bekommen. Der Leser darf es daher dem Autor nicht übelnehmen, wenn die Personen, die bisher aufgetreten sind, seinem Geschmack nicht entsprechen: das ist Tschitschikows Schuld; er ist hier der Herr, und wir müssen ihm folgen, wohin es ihm beliebt. Und wenn uns vorgeworfen wird, daß die Personen und Charaktere blaß und unscheinbar seien, so werden wir unsererseits sagen, daß man beim Anfang einer Sache niemals ihren weiteren Verlauf und Umfang ermessen kann. Auch der Einzug in eine Stadt, selbst in eine Residenz, ist immer irgendwie blaß: man sieht erst endlose rauchgeschwärzte Werke und Fabriken, und dann erst erscheinen die Ecken der sechsstöckigen Häuser, die Geschäftsläden, Aushängeschilder, die riesenhaften Perspektiven der Straßen voller Glockentürme, Säulen, Statuen, Türme, mit ihrem Glanz, Lärm und Dröhnen und allem, was der Gedanke und die Hand des Menschen geschaffen; haben. Wie die ersten Käufe zustande kamen, hat der Leser schon gesehen; wie die Sache weiter gehen wird, welche Erfolge und Mißerfolge den Helden erwarten, auf welche Weise er schwierigere Hindernisse bewältigen wird, wie gewaltige Bilder auftauchen, wie die verborgenen Hebel der weitläufigen Erzählung in Bewegung treten werden, wie ihr Horizont sich erweitern und wie sie selbst einen majestätischen lyrischen Verlauf nehmen wird – das wird er später sehen. Ein weiter Weg liegt noch vor unserer Reisegesellschaft, die aus dem Herrn mittleren Alters, dem Wagen, wie ihn Junggesellen zu benützen pflegen, dem Lakai Petruschka, dem Kutscher Sselifan und den drei Pferden besteht, die dem Leser auch schon ihren Namen nach, vom »Assessor« bis zum niederträchtigen Schecken, bekannt sind. So steht also unser Held vor uns da! Vielleicht wird man von uns noch einen letzten charakteristischen Pinselstrich verlangen: was ist er in bezug auf seine moralischen Qualitäten? Daß er kein von Tugenden und Vollkommenheiten erfüllter Held ist, ist ohne weiteres klar. Was ist er dann? Ein Schurke? Warum denn Schurke? Warum soll man gegen seine Nächsten so streng sein? Heutzutage gibt es bei uns keine Schurken mehr: es gibt nur wohlgesinnte, angenehme Menschen; aber solche, die mit ihrem Gesicht eine Ohrfeige der gesamten Öffentlichkeit herausfordern, kann man höchstens zwei oder drei finden; und auch diese sprechen heute schon von der Tugend. Am richtigsten wäre Tschitschikow mit guter Hauswirt und Erwerber zu bezeichnen. Der Erwerbssinn ist an allem schuld: er treibt den Menschen zu Geschäften, die die Welt »nicht ganz sauber« nennt. In einem solchen Charakter liegt allerdings etwas Abstoßendes, und der gleiche Leser, der auf seinem Lebenswege mit einem solchen Menschen verkehrt und recht angenehm die Zeit verbringt, wird ihn scheel anblicken, wenn er ihn im Helden eines Dramas oder eines Poems wiedererkennt. Weise ist aber derjenige, der sich von keinem Charakter abstoßen läßt, sondern seinen prüfenden Blick in ihn versenkt und ihn bis zu seinen Urgründen erforscht. So schnell wandelt sich alles im Menschen: ehe man sich’s versieht, ist in seinem Innern ein schrecklicher Wurm gewachsen, der gebieterisch alle seine Lebenssäfte aufsaugt. So oft geschah es schon, daß nicht mal eine große, sondern eine ganz kleine und nichtige Leidenschaft in einem zu besseren Taten geborenen Menschen gewaltig anwuchs und ihn zwang, seine großen und heiligen Pflichten zu vergessen und in wertlosen Narrenschellen Großes und Heiliges zu sehen. Zahllos wie der Sand am Meere sind die menschlichen Leidenschaften, keine gleicht der anderen, und alle, wie die niedrigen so die edlen, die anfangs dem Menschen untertan sind, werden später zu seinen schrecklichen und unumschränkten Gebietern. Selig ist, der sich die schönste der Leidenschaften erkoren hat: seine grenzenlose Seligkeit wächst und verzehnfacht sich von Stunde zu Stunde, und er dringt immer tiefer in das unendliche Paradies seiner Seele ein. Es gibt aber Leidenschaften, deren Wahl nicht vom Menschen abhängt. Sie werden mit ihm in der Stunde seiner eigenen Geburt geboren, und es ist ihm nicht die Kraft gegeben, sich von ihnen zu befreien. Sie werden von höheren Absichten gelenkt, und es ist in ihnen etwas, was ewig ruft und nie im Leben verstummt. Es ist ihnen bestimmt, eine große irdische Laufbahn zu vollenden, ganz gleich, ob in finsterer Gestalt oder als eine die ganze Welt erfreuende lichte Erscheinung vorbeischwebend – sie sind in gleicher Weise zum Wohl der Menschen, das ihnen aber unbekannt ist, heraufbeschworen worden. Vielleicht hängt auch die Leidenschaft, die Tschitschikow treibt, gar nicht von ihm ab, vielleicht steckt in seiner kalten Existenz etwas, was einst den Menschen in den Staub und auf die Knie zwingen wird vor der Weisheit des Himmels. Und es ist noch ein Geheimnis, warum diese Gestalt in diesem, heute erscheinenden Poem auftritt.