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Doch das ist nicht traurig, daß man mit unserem Helden unzufrieden sein wird; traurig ist, daß in der Seele die Gewißheit wohnt, daß die Leser mit dem gleichen Tschitschikow auch zufrieden sein könnten. Hätte der Autor ihm nicht so tief in die Seele geblickt, hätte er nicht daran gerührt, was der Aufmerksamkeit der Welt entgeht und sich verbirgt, hätte er nicht die geheimsten Gedanken enthüllt, die kein Mensch einem anderen anvertraut, hätte er ihn so gezeigt, wie er der ganzen Stadt, Manilow und den anderen erschienen war – so wären alle höchst zufrieden und hielten ihn für einen interessanten Menschen. Sein Antlitz, seine Gestalt wären dann allerdings nicht so lebendig; dafür wäre die Seele des Lesers nach der Lektüre durch nichts erregt, und alle könnten sich wieder dem Kartentisch zuwenden, dem Trost des ganzen russischen Landes. Ja, meine guten Leser, ihr wollt die menschliche Dürftigkeit nicht gerne enthüllt sehen. »Wozu?« fragt ihr. »Wozu das alles? Wissen wir denn nicht selbst, daß es im Leben viel Verächtliches und Dummes gibt? Auch ohnehin müssen wir oft Dinge sehen, die gar nicht tröstlich sind. Zeigt uns doch lieber das Schöne, das Anziehende. Wir wollen uns lieber vergessen!« – »Warum erzählst du mir, daß die Wirtschaft schlecht geht, Bruder?« sagt der Gutsbesitzer zum Verwalter. »Das weiß ich auch ohne dich, Bruder; weißt du mir denn nichts anderes zu erzählen? Laß mich doch dies alles vergessen, es nicht wissen – dann bin ich glücklich.« Und nun wird das Geld, das die Wirtschaft einigermaßen in Ordnung bringen könnte, zu verschiedenen Mitteln verwendet, die dem Gutsbesitzer helfen sollen, sich zu vergessen; das Gut kommt aber plötzlich zur öffentlichen Versteigerung – und der Gutsbesitzer kann sich nun am Bettelstab vergessen, mit einer Seele, die zu Gemeinheiten fähig ist, vor denen er früher selbst erschauert wäre.

Der Autor wird sich auch noch Vorwürfe seitens der sogenannten Patrioten zuziehen, die ruhig zu Hause hocken und sich mit den gleichgültigsten Dingen abgeben, indem sie sich Vermögen erwerben und ihr Schicksal auf Kosten der anderen gestalten; sobald aber etwas geschieht, was nach ihrer Meinung das Vaterland beleidigt, wenn irgendein Buch erscheint, das manche bittere Wahrheit enthält – so kommen sie aus allen ihren Ecken gelaufen, wie die Spinnen, wenn sie sehen, daß eine Fliege in ihr Netz geraten ist, und sie erheben ein Geschrei: »Ist es denn gut, dies ans Tageslicht zu bringen, es offen zu verkünden? Alles, was hier beschrieben ist, gehört ja uns – ist das gut? Was werden die Ausländer sagen? Ist es denn angenehm, ungünstige Meinungen über sich selbst zu hören? Man denkt wohl, es tue uns nicht weh? Man denkt wohl, daß wir keine Patrioten seien?« Auf diese weisen Einwendungen, insbesondere hinsichtlich der Ausländer, weiß ich nichts zu antworten. Höchstens folgendes: In einem entlegenen Winkel Bußlands lebten einmal zwei Bürger. Der eine war ein Familienvater, namens Kifa Mokijewitsch, ein Mann von sanftem Gemüt, der sein ganzes Leben im Schlafrocke verbrachte. Um seine Familie kümmerte er sich nicht viel; sein Dasein war mehr spekulativ und mit folgender Frage, die er eine philosophische nannte, beschäftigt: »Man nehme zum Beispiel das Tier«, sagte er, in seinem Zimmer auf und ab gehend: »Das Tier wird ganz nackt geboren. Warum nackt? Warum anders als der Vogeclass="underline" warum schlüpft es nicht aus einem Ei? Es ist wirklich seltsam ... wenn man in die Natur tiefer eindringt, kann man sie gar nicht begreifen!« So dachte der Bürger Kifa Mokijewitsch. Aber das ist noch nicht die Hauptsache. Der andere Bürger war Mokij Kifowitsch, sein leiblicher Sohn. Er war das, was man in Rußland einen Helden nennt, und während sein Vater sich mit der Geburt des Tieres beschäftigte, wollte sich dieser zwanzigjährige, breitschulterige Mensch entfalten und austoben. Er verstand keine Sache leicht anzufassen: entweder ging jemand der Arm entzwei, oder eine Nase bekam eine Beule. Zu Hause und in der Nachbarschaft liefen alle, von dem leibeigenen Mädel bis zum Hofhund, wenn sie ihn sahen, davon; selbst sein eigenes Bett im Schlafzimmer haute er in Stücke. So war dieser Mokij Kifowitsch beschaffen, sonst war er aber eine gute Seele. Doch auch das ist noch nicht die Hauptsache. Die Hauptsache ist folgendes: »Ach bitte, Väterchen, gnädiger Herr, Kifa Mokijewitsch,« sagten zum Vater die eigenen und die fremden Leibeigenen, »was hast du für einen Mokij Kifowitsch? Er läßt niemand in Ruhe, dieser Bedrücker!« – »Ja, etwas mutwillig ist er schon«, pflegte der Vater darauf zu sagen: »Aber was soll ich mit ihm anfangen? Hauen kann ich ihn nicht mehr, dazu ist er zu groß, auch würde man mir Grausamkeit vorwerfen; er ist aber empfindlich und ehrgeizig: wenn ich ihm in Gegenwart eines oder zweier Menschen einen Vorwurf mache, wird er gleich ruhiger werden; aber die Öffentlichkeit ist so eine Sache – ein wahres Unglück! Wenn die Stadt es erfährt, werden ihn alle einen Hund nennen. Denken sich die Leute, daß mir das nicht weh tut? Bin ich nicht sein Vater? Folgt denn daraus, daß ich mich mit Philosophie beschäftige und zuweilen auch keine Zeit habe, daß ich nicht sein Vater bin? Aber ich bin doch sein Vater! Sein Vater, hol’ mich der Teufel! Mokij Kifowitsch sitzt mir hier im tiefsten Herzen!« Kifa Mokijewitsch schlug sich bei diesen Worten kräftig auf die Brust und geriet in Ekstase. »Wenn er schon als Hund dastehen soll, so sollen es die Menschen nicht von mir erfahren, und ich will nicht sein Verräter sein!« Und nachdem er ein so starkes väterliches Gefühl zeigte, ließ er Mokij Kifowitsch seine Heldentaten fortsetzen und wandte sich wieder seiner Lieblingsbeschäftigung zu, indem er sich wieder eine ähnliche Frage vorlegte: »Nun, wenn der Elefant aus einem Ei ausschlüpfte, so müßte die Eierschale so dick sein, daß man sie auch mit einer Kanone nicht zertrümmern könnte; man müßte ein neues Geschütz erfinden.« So verbrachten ihr Leben diese beiden Bewohner eines friedlichen Winkels, die am Schlusse unseres Poems so unerwartet aus dem Fenster blicken, und zwar eigens, um ihre bescheidene Antwort auf den Vorwurf gewisser hitziger Patrioten zu geben, die sich vorläufig ruhig mit irgendeiner Philosophie oder mit Bereicherung auf Kosten des von ihnen so zärtlich geliebten Vaterlandes abgeben und nicht darum besorgt sind, daß man nichts Böses tue, sondern nur darum, daß die Menschen nicht sagen, sie täten etwas Böses. Doch nein, weder der Patriotismus noch jenes erste Gefühl sind der Grund der Anklagen; hinter ihnen steckt etwas anderes. Warum sollte ich es auch verheimlichen? Wer soll die heilige Wahrheit aussprechen, wenn nicht der Autor? Ihr fürchtet einen tiefen, auf euch gerichteten Blick, ihr fürchtet, auch selbst einen durchdringenden Blick auf etwas zu richten, ihr liebt es, mit den Augen gedankenlos über die Dinge zu gleiten. Ihr werdet auch über Tschitschikow von Herzen lachen; vielleicht werdet ihr sogar den Autor loben und sagen: »Das hat er aber wirklich fein beobachtet! Er muß doch sicher ein lustiger Herr sein!« Nach diesen Worten werdet ihr euch mit doppeltem Stolze euch selbst zuwenden, ein selbstzufriedenes Lächeln wird eure Lippen umspielen, und ihr werdet hinzufügen: »Man muß doch zugeben, daß es in gewissen Provinzen höchst seltsame und höchst drollige Menschen gibt und recht große Schurken dabei!« Wer von uns wird aber, von christlicher Demut erfüllt, nicht laut, sondern in aller Stille, allein, während seiner einsamen Zwiegespräche mit sich selbst in der Tiefe seiner eigenen Seele diese schwere Frage stellen: »Steckt nicht auch in mir ein Stück von diesem Tschitschikow?« Warum nicht gar! Wenn in diesem Augenblick einer seiner Bekannten, der weder ein allzu hohes noch ein allzu niedriges Amt bekleidet, an ihm vorbeigeht, so wird er sofort seinen Nachbar anstoßen und ihm sagen, vor Lachen beinahe wiehernd: »Schau, schau, da ist Tschitschikow, Tschitschikow ist eben vorübergegangen!« Dann wird er ihm, jeden Anstand vergessend, den er seinem Range und seinen Jahren schuldig ist, wie ein Kind nachlaufen und ihn necken: »Tschitschikow! Tschitschikow! Tschitschikow!«