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Das leicht entzündliche Herz eines ehrgeizigen Knaben pochte lange beim bloßen Gedanken, daß er endlich in diese Abteilung geraten würde. Unserem Tjentjetnikow konnte man einen besseren Erzieher gar nicht wünschen. Da mußte aber gerade um die Zeit, als er in die Abteilung dieser Auserwählten versetzt werden sollte, wonach er sich so sehr sehnte – der ungewöhnliche Erzieher eines plötzlichen Todes sterben! Was war das für ein harter Schlag! Wie schrecklich war dieser erste Verlust! Es war ihm, als hätte . . . Nun wurde in der Schule alles anders.

An Stelle des Alexander Petrowitsch kam ein gewisser Fjodor Iwanowitsch. Dieser verlegte sofort das Schwergewicht auf lauter Äußerlichkeiten und verlangte von den Kindern Dinge, die man nur von Erwachsenen verlangen darf. In ihrer freien Ungezwungenheit erblickte er Zügellosigkeit. Wie aus Bosheit gegen seinen Vorgänger erklärte er gleich am ersten Tage, daß der Verstand und die guten Fortschritte für ihn nichts bedeuten, daß er nur auf gutes Betragen Gewicht legen werde. Aber seltsam: gerade dieses gute Betragen vermochte Fjodor Iwanowitsch nicht durchzusetzen. Die Schüler gewöhnten sich verschiedene Laster an. Bei Tage ging alles wie am Schnürchen, doch bei Nacht gab es wüste Bummeleien.

Auch mit den Wissenschaften geschah etwas Sonderbares. Man stellte neue Lehrer mit neuen Prinzipien und neuen Gesichtspunkten und Gesichtswinkeln an. Sie erdrückten ihre Schüler mit einer Masse von neuen Fachausdrücken und Worten; sie zeigten zwar in ihrem Unterrichtssystem logische Zusammenhänge, eine Vertrautheit mit den neuesten Errungenschaften und das Fieber ihrer eigenen Begeisterung, doch eines fehlte ihrer Wissenschaft: nämlich das Leben. Die tote Wissenschaft klang aus ihrem Munde tot. Mit einem Worte, alles wurde anders. Der Respekt vor der Obrigkeit ging verloren; sie spotteten über ihre Lehrer und Erzieher; dem Direktor gaben sie die Spitznamen: »Fedjka«, »Semmel« und dergleichen. Sie gewöhnten sich Laster an, die nicht mehr kindlich waren: es kamen solche Dinge auf, daß man viele ausschließen mußte. In zwei Jahren war die Lehranstalt nicht mehr wiederzuerkennen.

Andrej Iwanowitsch hatte ein sanftes Gemüt. Die nächtlichen Orgien seiner Kameraden, die sich direkt vor den Fenstern der Direktorswohnung ein Dämchen hielten, und ihre blasphemischen Redensarten über das Allerheiligste aus dem bloßen Grunde, weil sie einen nicht allzu klugen Popen zum Religionslehrer hatten – vermochten ihn nicht mitzureißen. Nein, seine Seele fühlte selbst im Schlafe ihren himmlischen Ursprung. Es gelang den anderen nicht, ihn zu verderben; er ließ aber die Nase hängen. Sein Ehrgeiz war schon erregt, aber er hatte kein Feld, um ihn zu betätigen. Es wäre besser gewesen, wenn man ihn gar nicht geweckt hätte. Er hörte die Vorträge der Professoren, die auf dem Katheder aus der Haut fuhren, und gedachte seines früheren Lehrers, der es verstand, ohne sich zu ereifern, verständlich zu sprechen. Was hörte er nicht alles für Gegenstände und Kurse! Medizin, Philosophie, selbst Rechtswissenschaft und die allgemeine Geschichte der Menschheit in einem so gewaltigen Umfang, daß der Professor in den ersten drei Jahren nur mit der Einleitung und der Entwicklungsgeschichte einiger deutscher Stadtgemeinden fertig wurde – Gott allein weiß, was er nicht alles hörte! Doch alles ließ in seinem Kopfe nur formlose Bruchstücke zurück. Dank seinem angeborenen Verstand fühlte er, daß man die Wissenschaften ganz anders hätte vortragen sollen, doch wie – das wußte er nicht. Und er gedachte oft des verstorbenen Alexander Petrowitsch, und es wurde ihm dann so traurig zumute, daß er gar nicht wußte, was in seinem Gram anzufangen.

Die Jugend ist aber schon darum so glücklich, weil sie eine Zukunft hat. Je näher der Tag, an dem er die Schule verlassen sollte, heranrückte, um so heftiger pochte sein Herz. Er sagte sich: »Das ist ja noch nicht das Leben; es ist nur die Vorbereitung zum Leben; das echte Leben beginnt erst im Staatsdienste: da kann man Heldentaten vollbringen.« Ohne einen Blick auf den herrlichen Winkel zu werfen, der jeden Gast und Besucher in Erstaunen versetzte, ohne selbst die Gräber seiner Eltern besucht zu haben, eilte er wie alle ehrgeizigen Menschen nach Petersburg, wo bekanntlich die feurige Jugend aus allen russischen Gauen zusammenströmt – um zu dienen, zu brillieren, Karriere zu machen oder auch nur um den Rahm der farblosen, eiskalten, trügerischen gesellschaftlichen Bildung abzuschöpfen. Das ehrgeizige Streben Andrej Iwanowitschs wurde jedoch gleich am Anfang von seinem Onkel, dem wirklichen Staatsrat Onufrij Iwanowitsch gehemmt. Dieser erklärte, daß die Hauptsache eine gute Handschrift und nichts anderes sei und daß man ohne diese unmöglich Minister oder Staatsmann werden könne. Mit großer Mühe und dank der Protektion des Onkels bekam er endlich Stellung in irgendeinem Departement. Als man ihn in einen prachtvollen hellen Saal mit Parkettfußboden und lackierten Schreibtischen brachte, der den Eindruck erweckte, als säßen hier die ersten Würdenträger des Staates, die über das Schicksal des ganzen Reiches zu entscheiden hätten; als er Legionen hübscher schreibender Herren erblickte, die, den Kopf auf die Seite geneigt, mit ihren Federn einen großen Lärm machten; als man ihn selbst an einen Tisch setzte und beauftragte, irgendein Papier abzuschreiben, das zufällig einen ganz unbedeutenden Inhalt hatte – es war ein amtlicher Briefwechsel, der schon ein halbes Jahr währte und irgendwelche drei Rubel zum Gegenstand hatte –, da überkam den unerfahrenen Jüngling ein sehr merkwürdiges Gefühclass="underline" alle die Herren, die um ihn saßen, kamen ihm wie Schuljungen vor! Um diese Ähnlichkeit zu vervollständigen, lasen manche von ihnen dumme, aus fremden Sprachen übersetzte Romane, die sie in den großen Aktenbogen versteckt hielten; sie taten dabei so, als seien sie in ihre Arbeit vertieft und zuckten zusammen, sobald ein Vorgesetzter in den Saal trat. So seltsam kam ihm dies alles vor, so viel bedeutsamer erschien ihm seine bisherige Tätigkeit als diese neue, die Vorbereitung zum Staatsdienst schöner – als der Staatsdienst selbst! Er empfand Sehnsucht nach seiner Schule. Plötzlich stand Alexander Petrowitsch wie lebendig vor seinen Augen, und er fing beinahe zu weinen an. Das Zimmer drehte sich um ihn im Kreise, die Tische und die Beamten flimmerten ihm vor den Augen, und nur mit Mühe konnte er sich eines Ohnmachtsanfalls erwehren. »Nein,« sagte er sich, als er wieder zu sich kam, »ich will ans Werk gehen, wie unbedeutend es mir auch anfangs erscheinen mag!« Er faßte sich ein Herz und beschloß, den Staatsdienst wie die anderen Beamten zu versehen. Wo ist die Stadt, die keine Genüsse hätte? Auch in Petersburg sind sie trotz des düsteren, unfreundlichen Aussehens dieser Stadt zu finden. Draußen wütet ein böser Frost von dreißig Grad; es heult die Ausgeburt des Nordens, der teuflische Schneesturm, alle Bürgersteige mit Schnee verwehend, alle Augen blendend und die Pelzkragen, die Schnurrbärte der Männer und die zottigen Schnauzen der Tiere weiß überpudernd; doch durch die einander kreuzenden Schneeflocken leuchtet freundlich hoch oben in einem dritten Stock irgendein Fenster: in einem gemütlichen Zimmer wird hier beim Lichte bescheidener Stearinkerzen, beim Summen des Samowars ein das Herz und die Seele erwärmendes Gespräch geführt, ein herrliches Stück aus einem der durchgeistigten russischen Dichter vorgelesen, mit denen Gott Rußland gesegnet hat, und das Jünglingsherz bebt so begeistert und feurig, wie man es selbst unter dem Himmel des Südens nicht oft antrifft.