Indessen erwartete ihn ein anderes Schauspiel. Als die Bauern von der Ankunft ihres Herrn erfuhren, versammelten sie sich alle vor dem Herrenhause. Er sah sich von allerlei Hauben, Kopftüchern, Bauernröcken und malerischen Vollbärten der hübschen Bevölkerung umgeben. Als die Worte erklangen: »Unser Ernährer! Hast dich doch unser erinnert ...« und als viele alten Männer und Frauen, die noch seinen Großvater und Urgroßvater gekannt hatten, unwillkürlich in Tränen ausbrachen, konnte er sich nicht mehr der Tränen enthalten. Und er dachte sich: – Soviel Liebe! Wofür? – Weil ich sie nie gesehen und mich um sie noch nie gekümmert habe? – Und er leistete das Gelübde, mit ihnen alle Arbeit und Mühe zu teilen.
Und er fing an, sein Gut zu verwalten. Er setzte den Erbzins herab und ließ die Bauern weniger Tage für den Gutsbesitzer und mehr Tage für sich selbst arbeiten. Den dummen Verwalter jagte er davon. Er begann, sich selbst um alles zu kümmern: er zeigte sich auf den Feldern, auf der Tenne, in den Getreidespeichern, in den Mühlen, am Landungsplatz beim Laden und bei der Abfahrt der Kähne, so daß die Faulen anfingen, sich den Nacken zu kratzen. Dies dauerte jedoch nicht lange. So ein Bauer ist gar nicht dumm: er begriff bald, daß der Herr zwar mit großem Eifer dabei war und auch den Willen hatte, alles anzufassen, daß er aber noch nicht wußte, wie es anzufassen sei, daß er gebildet rede und ihnen nichts einzupauken versuche. So kam es, daß der Herr und der Bauer – man kann nicht sagen, daß sie sich nicht verstanden – sich aber nicht einander anzupassen und den gleichen Ton zu treffen vermochten.
Tjentjetnikow merkte, daß auf seinem Boden alles viel schlechter gedieh als auf dem der Bauern. Es wurde zwar früher gesät, ging aber später auf; und doch schienen die Bauern ordentlich zu arbeiten. Er wohnte den Arbeiten selbst bei und ließ den Leuten sogar ab und zu ein Glas Schnaps für ihre Mühe reichen. Bei den Bauern aber wogte das Korn schon längst in hohen Halmen, der Hafer war aufgegangen, die Hirse wuchs in dichten Büscheln; bei ihm stand aber das Korn erst in dünnen Halmen mit noch leeren Ähren. Mit einem Worte, der Herr merkte, daß die Bauern trotz aller Erleichterungen einfach schwindelten. Er versuchte ihnen Vorwürfe zu machen, bekam aber folgende Antwort: »Ist’s denn möglich, Herr, daß wir nicht an den Nutzen der Herrschaft dächten? Sie beliebten doch selbst zu sehen, wie wir uns beim Ackern und Säen abgemüht haben – Sie haben uns ja auch je ein Glas Schnaps geben, lassen.« Was konnte er darauf entgegnen?
»Warum ist es nun so schlecht geraten?« fragte der Herr weiter.
»Wer kann das wissen? Die Würmer werden es wohl von unten angenagt haben. Und dann ist auch der Sommer so schlecht: es hat noch keinen Regen gegeben.«
Der Herr sah aber, daß das Getreide der Bauern unten von keinen Würmern angenagt war; auch hatte es so seltsam geregnet, in lauter Streifen: der Regen hatte nur die Felder der Bauern getroffen, aber die des Herrn mit keinem einzigen Tropfen bedacht.
Noch schwerer fiel es ihm, mit den Weibern auszukommen. Sie bettelten fortwährend um Befreiung von der Arbeit und beklagten sich über den schweren Frondienst. Eine merkwürdige Sache: er hatte alle Lieferungen von Leinwand, Beeren, Pilzen und Nüssen abgeschafft und ihre sonstigen Arbeiten um die Hälfte gekürzt, in der Annahme, daß die Weiber diese Zeit ihrem Haushalt widmen, die Kleidung ihrer Männer instand halten und die Gemüsegärten vergrößern würden. Doch gefehlt! Unter dem schönen Geschlecht kamen Faulheit, Schlägereien, Klatsch und Zank auf, so daß die Männer zu ihm jeden Augenblick mit solchen Worten kamen: »Herr, bring doch meine Hexe zur Raison! Sie ist ja ein wahrer Satan und läßt einen gar nicht leben!«
Er wollte schon, wenn auch mit Selbstüberwindung, zur Strenge greifen; wie konnte er aber streng sein? So ein Weib kam zu ihm als echtes Weib; es begann zu heulen, war krank und schwach und hatte ekelhafte, häßliche Lumpen an; wo es diese Lumpen hernahm, das weiß Gott allein. »Geh, geh mir aus den Augen! Gott sei dir gnädig!« sagte der arme Tjentjetnikow und sah gleich darauf, wie die Kranke, nachdem sie zum Tore hinaus war, mit einer Nachbarin wegen einer Rübe in Streit geriet und diese so verprügelte, wie es auch der kräftigste Bauer kaum fertigbringen kann.
Er versuchte für sie eine Schule zu gründen, doch daraus wurde solch ein Unsinn, daß er den Kopf hängen ließ: hätte er es lieber gar nicht angefangen! Wenn er ihre Streitigkeiten zu schlichten hatte, so zeigte es sich, daß ihm alle die juristischen Finessen, die ihm seine philosophischen Professoren beigebracht hatten, nichts nützten. Die eine Partei log, auch die andere Partei log, der Teufel allein konnte sich da auskennen! Er sah, daß einfache Menschenkenntnis viel nützlicher wäre als alle Feinheiten der philosophischen und juristischen Bücher; er sah wohl ein, daß ihm etwas fehlte, doch was, das wußte Gott allein. Und so kam es, was so oft kommt: weder verstand der Bauer den Herrn, noch der Herr den Bauern; der Bauer sah den Herrn von einer unvorteilhaften Seite, ebenso der Herr den Bauern. Dies alles kühlte erheblich den Eifer des Gutsbesitzers ab. Die Feldarbeiten verfolgte er nun ohne jede Aufmerksamkeit. Wenn die Sensen bei der Heuernte leise rauschten, das Heu zu Schobern aufgerichtet oder auf Wagen verladen wurde und die Arbeit sich dicht vor ihm abspielte – so blickten seine Augen in die Ferne; wurde aber die Arbeit in der Ferne verrichtet, so hefteten sich seine Augen auf irgendeinen Gegenstand in der Nähe oder blickten zur Seite; auf irgendeine Windung des Flusses, wo ein Martin mit roter Nase und roten Beinen spazierte, natürlich ein Vogel und kein Mensch. Er sah neugierig zu, wie der Vogel am Ufer einen Fisch fing und, ihn quer im Schnabel haltend, sich überlegte, ob er ihn verschlingen solle oder nicht; zugleich blickte er auf eine andere Stelle des Ufers, wo in der Ferne ein zweiter Eisvogel schimmerte, der noch keinen Fisch gefangen hatte, doch aufmerksam den ersten beobachtete, der schon einen hatte. Oder er kniff die Augen zusammen, wandte das Gesicht den Himmelsräumen zu und überließ es seiner Nase, den Duft der Felder aufzunehmen, und seinen Ohren, sich am Gesang der Bewohner der Lüfte zu erfreuen, der, von überall, vom Himmel und von der Erde kommend, sich zu einem einzigen harmonischen Chore ohne Mißton vereinte. Im Korn schlägt eine Wachtel, im Grase schnarrt ein Wiesenschnarrer, über ihnen zwitschern die Hänflinge, blökt eine in die Höhe gestiegene Sumpfschnepfe, trillert, im Lichte verschwindend, eine Lerche; wie Trompetentöne klingen die Schreie der Kraniche, die hoch in den Lüften ihre dreieckigen Züge bilden. Und alles weckt einen Widerhall in der ganzen Umgegend, die sich in Musik verwandelt hat. O Schöpfer! Wie herrlich ist deine Welt in der Wildnis, im kleinen Dorfe, fern von den gemeinen Landstraßen und Städten! Aber auch dies wurde ihm bald langweilig. Bald hörte er ganz auf, aufs Feld zu gehen, zog sich in seine Zimmer zurück und empfing nicht mal den Verwalter, wenn der mit einem Bericht zu ihm kam.
Früher besuchte ihn ab und zu mancher von seinen Nachbarn: ein Husarenleutnant a.D., ganz von Pfeifenrauch durchräuchert, oder irgendein radikaler Student, der die Studien nicht abgeschlossen und seine Weisheit aus den modernen Broschüren und Zeitschriften geschöpft hatte. Aber auch dies begann ihn zu langweilen. Ihre Gespräche erschienen ihm allzu oberflächlich, ihr europäisch-ungeniertes Benehmen, das Klopfen aufs Knie, ebenso ihre Schmeichelei und Familiarität kamen ihm allzu ungezwungen und unverblümt vor. Er entschloß sich, alle diese Bekanntschaften aufzugeben und machte das auf eine recht schroffe Weise. Als ihn nämlich einmal der in seinen oberflächlichen Gesprächen über alle möglichen Dinge so angenehme Warwar Nikolajewitsch Wischnepokromow, der den im Aussterben begriffenen Typus der draufgängerischen Obersten und zugleich auch die allerneueste Geistesrichtung repräsentierte, besuchte, um mit ihm nach Herzenslust über alles mögliche zu sprechen: über Politik, Philosophie, Literatur, Moral und sogar den Zustand der englischen Finanzen – ließ er ihm sagen, er sei nicht zu Hause, beging aber zugleich die Unvorsichtigkeit, sich am Fenster zu zeigen. Die Blicke des Hausherrn und des Gastes trafen sich. Der eine murmelte natürlich durch die Zähne: »So ein Vieh!«, und der andere rief ihm gleichfalls etwas wie »Schwein« nach. Damit endeten ihre Beziehungen. Seitdem besuchte ihn kein Mensch mehr.