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Selbstverständlich hörte darauf jeder Verkehr zwischen ihnen auf, und die Liebe endete gleich bei Beginn. Das Licht, das für eine Weile vor ihm aufgeleuchtet hatte, erlosch, und die nun folgende Dämmerung wurde noch düsterer. Sein Leben nahm die Gestalt an, wie es der Leser zu Beginn dieses Kapitels gesehen hat – er verbrachte es im Liegen und im Müßiggang. In seinem Hause kamen Schmutz und Unordnung auf. Die Bodenbürste blieb tagelang mit dem Kehricht mitten im Zimmer. Die Unterhosen zeigten sich selbst im Salon. Auf dem eleganten Tisch vor dem Sofa lagen schmutzige Hosenträger, gleichsam als Präsent für den Gast, und sein ganzes Leben wurde so unbedeutend und verschlafen, daß ihn nicht nur seine Leibeigenen nicht mehr achteten, sondern auch die Hühner nach ihm pickten. Mit der Feder in der Hand vor einem Blatt Papier sitzend, zeichnete er stundenlang Kringel, Häuschen, Hütten, Bauernwagen und Troikas. Zuweilen vergaß sich aber die Feder und zeichnete ganz von selbst, ohne Wissen ihres Herrn, ein kleines Köpfchen mit feinen Zügen, mit einem schnellen, durchdringenden Blick und einer emporfliegenden Haarflechte, und Tjentjetnikow sah mit Erstaunen das Bildnis des Mädchens erstehen, dessen Porträt wohl kein Künstler hätte malen können. Und es wurde ihm noch trauriger zumute; er glaubte, daß ein Glück auf Erden unmöglich sei, und wurde nur noch trauriger und schweigsamer.

So war der Gemütszustand Andrej Iwanowitschs Tjentjetnikows. Als er einmal nach seiner Gewohnheit am Fenster saß und wie immer hinausblickte, hörte er zu seinem Erstaunen weder den Grigorij noch die Perfiljewna, dafür machte sich im Hofe gegenüber eine gewisse Bewegung und Unruhe bemerkbar. Der Küchenjunge und die Spülfrau liefen hinaus, um das Tor zu öffnen. Im Tore zeigten sich Pferde, ganz wie man sie auf Triumphpforten sieht: eine Schnauze nach rechts, eine Schnauze nach links und eine Schnauze in der Mitte. Über ihnen ragten auf dem Bock ein Kutscher und ein Lakai in einem mit einem Taschentuch umgürteten weiten Rock. Hinter ihnen saß ein Herr in Mantel und Mütze, mit einem regenbogenfarbigen Tuch um den Hals. Als die Equipage vor dem Hauseingange umwendete, zeigte es sich, daß es nichts anderes als ein leichter Reisewagen auf Federn war. Der Herr von einem ungewöhnlich angenehmen Äußern sprang mit einer beinahe militärischen Behendigkeit und Gewandtheit aus dem Wagen.

Andrej Iwanowitsch bekam Angst: er hielt den Herrn für einen Beamten von der Regierung. Es muß erwähnt werden, daß er in seiner Jugend in eine sehr dumme Geschichte hineingeraten war. Zwei Philosophen aus dem Husarenstande, die allerlei Broschüren gelesen hatten, ein Ästhet, der seine Studien nicht abgeschlossen hatte, und ein verkrachter Spieler gründeten eine philanthropische Gesellschaft unter dem Vorsitz eines alten Gauners und Freimaurers, der gleichfalls Kartenspieler war, aber eine ungewöhnliche Rednergabe besaß. Die Gesellschaft verfolgte sehr weitgesteckte Ziele: nämlich der ganzen Menschheit von den Themseufern bis Kamtschatka ein dauerndes Glück zu verschaffen. Sie brauchte dazu kolossale Barmittel, und die großmütigen Mitglieder mußten unglaubliche Summen spenden. Was mit diesem Gelde geschah, wußte nur der Oberleiter allein. In diese Gesellschaft wurde Tjentjetnikow von zwei seiner Freunde hereingezogen, die zur Klasse der »verbitterten« Menschen gehörten; sie waren zwar gute Menschen, aber infolge der vielen Toaste auf die Wissenschaft, die Aufklärung und die der Menschheit in Zukunft zu erweisenden Dienste zu richtigen Säufern geworden. Tjentjetnikow kam bald zur Besinnung und trat aus diesem Kreise aus. Doch die Gesellschaft hatte sich schon auf andere Dinge verlegt, die eines Edelmannes unwürdig sind, und so bekam man es mit der Polizei zu tun ... Darum ist es auch kein Wunder, daß er, nach seinem Austritt aus der Gesellschaft und nach Abbruch aller Beziehungen zu ihr, nicht recht ruhig bleiben konnte: sein Gewissen war irgendwie belastet. Nicht ohne Angst blickte er darum auf die Türe, die sich vor ihm öffnete.

Seine Angst verflüchtigte sich aber sofort, als der Gast sich vor ihm mit einer ungewöhnlichen Gewandtheit verbeugte, wobei er den Kopf respektvoll zur Seite geneigt hielt, und ihm in kurzen, doch sicher vorgebrachten Worten erklärte, daß er, wie in Geschäften, so auch von Wißbegierde getrieben, schon seit längerer Zeit Rußland bereise; daß unser Reich, von der Verschiedenheit der Gewerbe und Bodenarten ganz abgesehen, eine ungeheure Menge von bemerkenswerten Dingen aufzuweisen habe; daß ihn die malerische Lage seines Gutes bezaubert habe; daß er aber trotz dieser malerischen Lage sich niemals erlaubt hätte, ihn mit seinem ungelegenen Besuch zu belästigen, wenn nicht seine Equipage infolge der Frühlingsüberschwemmung und der schlechten Straßen einen Bruch erlitten hätte, der die Hilfe von Schmieden und anderen Handwerkern erfordere; und daß er, selbst wenn mit seiner Equipage nichts passiert wäre, sich dennoch nicht das Vergnügen hätte versagen können, ihm persönlich seine Hochachtung zu bezeugen.

Nachdem der Gast diese Rede beendigt hatte, schlug er mit einer bezaubernden Anmut die Hacken seiner in eleganten Halbschuhen aus Glacéleder mit Perlmutterknöpfen steckenden Füße zusammen und prallte gleich darauf, trotz seiner Körperfülle, mit der Leichtigkeit eines Gummiballs etwas zurück.

Andrej Iwanowitsch wurde ruhig und sagte sich, daß es wohl ein wißbegieriger gelehrter Professor sei, der Rußland bereise, um vielleicht irgendwelche Pflanzen oder vielleicht auch Fossilien zu sammeln. Er erklärte sich sofort bereit, ihm in allen Dingen behilflich zu sein; er stellte ihm seine eigenen Handwerker, Wagenbauer und Schmiede zur Verfügung; bat ihn, sich’s so bequem zu machen wie im eigenen Hause; setzte ihn in einen bequemen Großvatersessel und machte sich bereit, seinen Vortrag über irgendein naturwissenschaftliches Thema anzuhören.

Der Gast berührte jedoch vorwiegend Erscheinungen der inneren Welt. Er verglich sein Leben mit einem Schiffe mitten im Meere, das von allen Seiten von unbeständigen Winden herumgetrieben wird; er erwähnte, daß er genötigt gewesen sei, mehrere Berufe zu wechseln, daß er für die Wahrheit viel Ungemach erlitten, daß ihm sogar seitens seiner Feinde Lebensgefahr gedroht habe; er erzählte noch viele andere Dinge, die eher von einem Mann des praktischen Lebens zeugten. Zum Schlüsse seiner Rede schneuzte er sich in ein weißes Batisttaschentuch so laut, wie es Andrej Iwanowitsch noch nie gehört hatte. Zuweilen gibt es im Orchester so eine verdammte Trompete: wenn die einen Ton von sich gibt, glaubt man, er sei nicht im Orchester, sondern im eigenen Ohre entstanden. Ein ähnlicher Ton erdröhnte in den aus dem Schlafe erwachten Zimmern, und gleich darauf verbreitete sich der Wohlgeruch von Kölnischem Wasser, der wohl unsichtbar dem Batisttaschentuch, mit dem der Gast fächelte, entströmte.

Der Leser hat vielleicht schon erraten, daß der Gast niemand anders war als unser verehrter, von uns schon so lange verlassener Pawel Iwanowitsch Tschitschikow. Er war etwas gealtert: diese Zeit war an ihm wohl nicht ohne Stürme und Unruhe vorübergegangen. Selbst sein Frack schien etwas abgetragen zu sein, auch der Wagen, der Kutscher, der Lakai, die Pferde und das Geschirr sahen etwas abgerieben aus. Man hatte den Eindruck, daß auch seine Finanzlage nicht beneidenswert sei. Doch der Gesichtsausdruck, der feine Anstand und die angenehmen Manieren waren noch dieselben. Er zeigte vielleicht sogar noch mehr Anmut, wenn er, sich in den Sessel setzend, die Füße kreuzte. In seiner Aussprache war noch mehr Weichheit, in seinen Worten und Wendungen noch mehr vorsichtige Mäßigung; er zeigte ein noch feineres Benehmen und noch mehr Takt in allen Dingen. Weißer und reiner als Schnee waren sein Kragen und Vorhemd, und obwohl er direkt aus dem Reisewagen stieg, war an seinem Frack auch nicht ein Federchen zu sehen: man könnte ihn auf der Stelle zu einem Geburtstagsessen einladen. Seine Wangen und sein Kinn waren so sorgfältig rasiert, daß nur ein Blinder ihrer angenehmen Fülle und Rundung seine Bewunderung versagen würde.