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Sofort vollzog sich im Hause eine Veränderung. Die eine Hälfte, die bisher blind, mit zugenagelten Laden gelegen hatte, wurde plötzlich sehend und hell. In den nun erleuchteten Zimmern fand jedes Ding seinen Platz, und bald nahm alles folgendes Aussehen an: das Zimmer, das zum Schlafzimmer bestimmt war, nahm die Dinge auf, die man für die Nachttoilette braucht; das Zimmer, das zum Kabinett ausersehen war ... zunächst müssen wir aber erwähnen, daß es in diesem Zimmer drei Tische gab: einen Schreibtisch vor dem Sofa, einen Kartentisch zwischen den Fenstern unter dem Spiegel und einen Ecktisch im Winkel zwischen der Schlafzimmertüre und der Türe, die zu dem unbewohnten Saal mit invaliden Möbeln führte, welcher schon seit einem Jahr von niemand betreten worden war und jetzt als Vorzimmer dienen sollte. Auf diesem Ecktische fanden die aus dem Koffer hervorgeholten Kleidungsstücke Platz, und zwar: eine Frackhose, eine neue Hose, eine graue Hose, zwei Samt- und zwei Atlaswesten und ein Rock. Alle diese Gegenstände wurden zu einer Pyramide aufgeschichtet und oben mit einem seidenen Taschentuche zugedeckt. In der anderen Ecke, zwischen der Türe und dem Fenster, wurden in schöner Reihe die Stiefel aufgestellt: ein nicht ganz neues Paar, ein ganz neues Paar, ein Paar Lackhalbschuhe und ein Paar Morgenschuhe. Auch sie wurden schamhaft mit einem seidenen Taschentuch zugedeckt, so daß man von ihnen überhaupt nichts sah. Auf den Schreibtisch kamen in der schönsten Ordnung folgende Gegenstände: die Schatulle, eine Flasche Kölnisches Wasser, ein Kalender und zwei Romane; beides zweite Bände. Die reine Wäsche kam in die Kommode, die sich schon im Schlafzimmer befand; die Wäsche aber, die der Waschfrau übergeben werden sollte, wurde zu einem Bündel zusammengebunden und unter das Bett gesteckt. Auch der nun geleerte Koffer kam unter das Bett. Der Säbel, den er mitzuführen pflegte, um den Dieben Angst einzujagen, kam gleichfalls ins Schlafzimmer, auf einen Nagel in der Nähe des Bettes. Alles sah plötzlich ungewöhnlich sauber und ordentlich aus. Kein Papierchen, kein Federchen, kein Stäubchen lag auf dem Boden. Selbst die Luft wurde gleichsam edler: sie nahm den angenehmen Geruch eines gesunden, frischen Mannes an, der seine Wäsche nicht zu lange trägt, regelmäßig das Dampfbad besucht und sich an Sonntagen mit einem nassen Schwamm abreibt. Im Vorsaale wollte sich schon der Geruch des Lakaien Petruschka festsetzen, aber Petruschka wurde bald, so wie es sich gehörte, in die Küche umlogiert.

In den ersten Tagen fürchtete Andrej Iwanowitsch für seine Unabhängigkeit: der Gast könnte ihm seine Freiheit nehmen, irgendwelche Veränderungen in seine Lebensweise einführen und seine so glücklich aufgestellte Tagesordnung stören; diese Befürchtungen erwiesen sich aber als unbegründet. Unser Pawel Iwanowitsch zeigte eine ungewöhnliche Fähigkeit, sich an alles anzupassen. Er lobte die philosophische Bedächtigkeit seines Gastgebers und sagte, sie verspreche ein Leben von hundert Jahren. Über seine Vereinsamung äußerte er sich sehr glücklich, nämlich in dem Sinne, daß sie die großen Gedanken im Menschen nähre. Nachdem er einen Blick auf die Bibliothek geworfen und sich über die Bücher im allgemeinen sehr lobend ausgesprochen hatte, bemerkte er, daß sie den Menschen vor Müßiggang bewahren. Er verlor nicht viel Worte, aber alles, was er sagte, hatte Hand und Fuß. In seinen Handlungen war er noch tadelloser. Er kam und ging immer zur rechten Zeit; bemühte den Hausherrn mit keinen Fragen, wenn dieser nicht gern sprechen wollte; spielte mit Vergnügen mit ihm Schach und schwieg auch mit dem gleichen Vergnügen. Während der eine den Pfeifenrauch in schönen Wolken aufsteigen ließ, suchte sich der andere, welcher keine Pfeife rauchte, eine entsprechende Beschäftigung: er holte zum Beispiel seine Schnupftabakdose aus Tulasilber hervor, hielt sie zwischen zwei Fingern seiner linken Hand fest und versetzte sie mit einem Finger der rechten Hand in Rotation, die der des Erdballs um seine Achse glich; oder er trommelte auf ihr mit dem Finger und pfiff etwas dazu. Mit einem Wort, er störte den Hausherrn nicht im geringsten. »Ich sehe zum erstenmal einen Menschen, mit dem man leben kann,« sagte sich Tjentjetnikow. »Diese Kunst ist bei uns im allgemeinen wenig verbreitet. Es gibt unter uns wohl genug kluge, gebildete und gute Menschen, aber Menschen von stets gleichmäßigem Charakter, Menschen, mit denen man sein Leben lang auskommen kann, ohne sich mit ihnen zu entzweien – ich weiß nicht, ob es bei uns viele solche Menschen gibt. Dieser ist der erste, den ich sehe.« So äußerte sich Tjentjetnikow über seinen Gast.

Tschitschikow war seinerseits sehr froh darüber, daß er sich für eine Zeitlang bei einem so friedlichen und ruhigen Herrn niedergelassen hatte. Das Zigeunerleben hatte er nun ordentlich satt. Sich wenigstens einen Monat in dem schönen Dorfe, angesichts der Felder und des eben beginnenden Frühjahrs auszuruhen, war sogar in Hinsicht auf die Hämorrhoiden von Nutzen.

Einen schöneren Winkel zum Ausruhen hätte man schwer finden können. Der von Frösten spät aufgehaltene Frühling zeigte sich plötzlich in seiner ganzen Schönheit, und überall regte sich neues Leben. Schon blaute es in den Waldlichtungen, und auf dem frischen Smaragdgrün der Wiesen leuchtete gelber Löwenzahn und neigten lila und rosa Anemonen ihre zarten Köpfchen. Über den Sümpfen zeigten sich Schwärme von Eintagsfliegen und Mengen anderer Insekten; sie wurden schon von den Wasserspinnen gejagt, und allerlei Vögel versammelten sich im trockenen Schilfe. Alles versammelte sich, um einander in der Nähe zu sehen. Plötzlich war die Erde bevölkert, plötzlich waren die Wälder erwacht, und in den Wiesen begann es zu summen und zu tönen. Im Dorfe tanzte man Reigen. Es war ein Vergnügen, sich im Freien aufzuhalten. Wie grell leuchtete das Grün! Wie frisch war die Luft! Wie laut zwitscherten die Vögel in den Gärten! Ein Paradies, ein Jauchzen und Jubilieren der ganzen Kreatur! Das Dorf tönte und sang wie bei einer Hochzeit.

Tschitschikow ging viel spazieren. Für seine Spaziergänge hatte er eine große Auswahl. Bald war sein Ziel die Hochebene über den sich unten breitenden Tälern, auf denen noch überall ganze Seen, Reste der Überschwemmung, lagen und gleich Inseln die noch unbelaubten Wälder dunkelten; oder er ging ins Dickicht, stieg in bewaldete Gräben hinab, wo die von Vogelnestern beschwerten Bäume sich drängten . . . krächzende Raben, die kreuz und quer durch den Himmel flogen und ihn verdunkelten. Auf dem schon trockenen Wege konnte er auch zum Landungsplatz gehen, wo die ersten mit Erbsen, Gerste und Weizen beladenen Barken abgefertigt wurden, während das Wasser sich mit ohrenbetäubendem Dröhnen über die Räder der in Bewegung kommenden Mühle ergoß. Er ging auch hinaus, um den ersten Feldarbeiten beizuwohnen, um zu sehen, wie frisches Ackerland als schwarzer Streifen durch das Grün zog und wie der Sämann, mit der Hand auf das Sieb schlagend, das er auf der Brust hängen hatte, die Saat gleichmäßig ausstreute, ohne auch nur ein Körnchen zuviel auf die eine oder die andere Seite zu werfen.

Tschitschikow kam überall hin. Er führte lange Gespräche mit dem Verwalter, den Bauern und dem Müller. Er erfuhr alles: wie es mit der Wirtschaft gehe, für welchen Betrag Getreide verkauft werde, was man im Frühling und im Herbst am Mahlen von Getreide verdiene, wie jeder Bauer heiße und mit wem er verwandt sei, wo er seine Kuh gekauft habe und womit er sein Schwein füttere; mit einem Wort, er stellte alles fest. Er erkundigte sich auch, wieviel Bauern gestorben waren und erfuhr, daß es nur wenige seien. Als kluger Mensch merkte er sofort, daß die Wirtschaft Andrej Iwanowitschs sich in einem wenig beneidenswerten Zustand befand: vieles war vernachlässigt, es gab genug Schlamperei, Diebstahl und auch Trunksucht! Und er dachte sich: – Was für ein Vieh ist doch dieser Tjentjetnikow! Wie kann man nur so ein Gut so vernachlässigen! Er hätte ja ein Jahreseinkommen von fünfzigtausend Rubeln haben können. –